Bochum. . Der finnische Konzern Outokumpu lässt den Tarifvertrag nicht mehr gelten: Das Bochumer Werk der ehemals zu Thyssen-Krupp gehörenden Edelstahlsparte soll bereits 2014, also zwei Jahre früher, schließen. Die IG Metall kündigt juristische Schritte gegen die Entscheidung an.

Schon im Januar 2012 beschlich viele Edelstahlkocher ein ungutes Gefühl. Genau 100 Jahre nach der Patentanmeldung des „nie rostenden Stahls“ besiegelte damals Thyssen-Krupp den Verkauf der legendären Nirosta an den finnischen Konkurrenten Outokumpu. Konzernchef Heinrich Hiesinger sprach von einem „großen Erfolg“, nicht zuletzt, weil der Kaufpreis von 2,7 Milliarden Euro stimmte.

Für die damals in Deutschland 6000 Beschäftigten der Edelstahlsparte Inoxum, zu der Nirosta gehört, hatte die IG Metall einen Tarifvertrag ausgehandelt, der bereits damals heftige Einschnitte enthielt. Keine zwei Jahre später lassen die Finnen auch diesen Vertrag nicht mehr gelten. Ihre deutsche Tochter soll noch drastischer zusammenschrumpfen.

450 Mitarbeiter in Bochum trifft es besonders hart

Am härtesten trifft es das Bochumer Schmelzwerk mit seinen 450 Arbeitern. Bis zuletzt hatte Outokumpu stets betont, sich an die geltenden Verträge zu halten. Sprich, das Werk bis mindestens Ende 2016 zu erhalten und 2015 zu prüfen, ob es auch darüber hinaus produzieren kann.

Am Dienstag hieß es zur Überraschung der IG Metall, es sei bereits eine Prüfung erfolgt – mit dem Ergebnis, dass es nun schon 2014 geschlossen werden soll. „Uns liegen diese Zahlen nicht vor“, heißt es bei der IG Metall. Sie hatte bereits während der nervenaufreibenden Verhandlungen 2012 beklagt, die Finnen würden die Mitbestimmung in Deutschland nicht allzu ernst nehmen.

„Die pure Provokation“

Darin sehen sich die Gewerkschafter nun bestätigt und betonen, Vertrag sei Vertrag. Die IG Metall werde eine eigene Wirtschaftlichkeitsprüfung in Bochum vornehmen, kündigte Knut Giesler, Chef der IG Metall in NRW, an. „Was das Unternehmen jetzt vor hat, ist die pure Provokation. Das werden wir nicht hinnehmen“, sagte er.

Auch andere Nirosta-Standorte sollen schließen oder schrumpfen. Das Werk in Düsseldorf mit 480 Beschäftigten soll nach wie vor ins Krefelder Werk integriert werden. Einige sollen nach Krefeld wechseln, wahrscheinlich aber nicht mehr viele. Denn die Produktion in Krefeld und im hessischen Dillenburg soll von 800 000 auf bis zu 450 000 Tonnen pro Jahr gedrosselt, also fast halbiert werden. In das von Düsseldorf nach Krefeld verlagerte Spezial-Werk wollen die Finnen auch nur noch 100 statt ursprünglich 244 Millionen Euro investieren.

Insgesamt will Outokumpu in Deutschland 800 weitere Stellen streichen, davon laut IG Metall 330 in Krefeld und dazu viele in der Verwaltung und im Service. Outokumpu-Chef Mika Seitovirta sagte, es sei zu früh zu sagen, wie viele Stellen wo abgebaut werden. Er schloss auch Kündigungen nicht aus, zeigte sich aber „optimistisch, dass wir mit der Gewerkschaft eine gute Verhandlungslösung hinbekommen“. Er wisse, wie wichtig Tarifverträge seien und würde sie auch gerne eingehalten. Er müsse aber nun entschlossen handeln, um „das Unternehmen zu retten“, sagte Seitovirta. Das liege auch im Interesse der Gewerkschaft und der Arbeitnehmer.

Drei Milliarden Euro Schulden

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Von Stefan Schulte, Pirkko Gohlke und Wilfried Goebels

Als Grund für die Verschärfung des Sparkurses nannte der Outokumpu-Chef das schwache Edelstahlgeschäft in Europa, das unter dem billigen Import-Edelstahl aus Fernost und enormen Überkapazitäten von 1,5 Millionen Tonnen leide. Outokumpu hatte zuletzt deutlich mehr Weltmarktanteile verloren als erwartet. Den Konzern drücken nach eigenen Angaben drei Milliarden Euro Schulden.

Die Strompreise, bei denen das Bochumer Werk seit diesem Jahr nicht mehr von der Ökostromumlage befreit wird, seien auch relevant für die schwierige Gesamtlage, aber nicht der Auslöser für die Werksschließung in Bochum, sagte Seitovirta. Hier gehe es allein um Überkapazitäten.

Mit dem Kauf von Nirosta waren die Finnen zum Weltmarktführer für Edelstahl aufgestiegen, leiden aber weiter unter anhaltenden Verlusten. Mit dem neuen Programm, das dem Konzern 2015 rund 380 Millionen Euro sparen soll, will Seitovirta Outokumpu zurück in die schwarzen Zahlen führen.

Unklar bleibt, wie der Stellenabbau vonstatten gehen soll. Thyssen-Krupp hatte sich verpflichtet, 600 Beschäftigte von Nirosta zu übernehmen. 200 sind bereits zurück beim alten Mutterkonzern. Thyssen-Krupp Stahl erklärte gestern, diese Zusage einzuhalten, aber nicht, ob die Übernahmen vorgezogen werden können. Da weitere 800 Stellen gestrichen werden, kann Thyssen-Krupp ohnehin nur noch einen kleinen Teil auffangen.

Das sagen Outokumpu-Mitarbeiter

Atilay Güven (34) arbeitet seit 15 Jahren im Bochumer Werk:
Atilay Güven (34) arbeitet seit 15 Jahren im Bochumer Werk: "Ich bin traurig und habe große Angst um meinen Arbeitsplatz. Ich bin gerade vor zwei Wochen Vater einer kleinen Tochter geworden – und dann so eine Nachricht. Ich weiß nicht, ob ich demnächst auf der Straße stehe. Gleichzeitig bin ich sauer über das arrogante Auftreten der Outokumpu-Führungsetage gegenüber uns Mitarbeitern." © Tim Schulz / WAZ FotoPool
Udo Beckmann (56) arbeitet seit 38 Jahren im Bochumer Werk:
Udo Beckmann (56) arbeitet seit 38 Jahren im Bochumer Werk: "Nicht nur mein Herz, mein ganzes Leben hängt an dem Werk. Was Outokumpu mit uns macht, ist eine bodenlose Sauerei, weil wir gültige Verträge haben. Ich bin fassungslos und wütend über die Entscheidung. Das Werk in Bochum zu schließen ist wirtschaftlicher Unsinn. Wir sind absolut konkurrenzfähig und der bessere Standort als Finnland.“ © Tim Schulz / WAZ FotoPool
Ute Hickler (33) arbeitet seit 15 Jahren im Bochumer Werk:
Ute Hickler (33) arbeitet seit 15 Jahren im Bochumer Werk: "Wir sind alle wütend. Aber mich überrascht diese neue Entwicklung nicht, das hat sich doch schon angebahnt. Ich finde, der Konzern Outokumpu geht menschenverachtend mit uns, seinen Mitarbeitern, um. Wir müssen jetzt weiter kämpfen und streiken, das ist das einzige Mittel, das die Unternehmensspitze trifft." © Tim Schulz / WAZ FotoPool
Halit Kanik (52) arbeitet seit 33 Jahren im Bochumer Werk:
Halit Kanik (52) arbeitet seit 33 Jahren im Bochumer Werk: "Die Finnen wollen nur eine Marktbereinigung machen. Die haben uns, den Marktführer, platt und die Belegschaft psychisch krank gemacht. Bis jetzt haben wir alles mitgemacht, aber gestern hat der Kampf begonnen. Ich habe als Vertrauensmann Verantwortung für die Belegschaft und nun Magenschmerzen. Ich bin wütend." © Tim Schulz / WAZ FotoPool
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