Bochum. Völlig überrascht wurde die Frühschicht des Bochumer Edelstahlwerks von Outokumpu am Dienstagmorgen. Schon im nächsten Jahr will der finnische Stahlkocher das Werk mit seinen 450 Beschäftigten schließen. Eigentlich sichert ein Tarifvertrag den Bestand bis 2016 zu. Die IG Metall kündigt Widerstand an.
Als der Mann vom Werksschutz die Nachricht erfährt, dass schon im nächsten Jahr das Zeitalter der Stahlproduktion in der alten Stahlstadt Bochum enden soll, lässt ihn das nicht kalt: „Das ist doch Scheiße“. 450 Stahlarbeiter verlieren im nächsten Jahr ihren Job.
Und da kommen sie schon. Müde sehen sie aus, die rund 100 Männer und ein paar wenige Frauen der Frühschicht, die gerade erfahren haben, dass im fernen Finnland entschieden wurde, die Nirosta-Edelstahlschmelze, die Outokumpu erst vor knapp zwei Jahren von Thyssen-Krupp übernommen hat, zu schließen. Kampfbereit sieht anders aus. Dafür sitzt wahrscheinlich der Schock noch zu tief, ist die Enttäuschung zu groß.
Ein paar rote Fähnchen
Zwar flattern ein paar rote IG Metall-Fähnchen, doch vor der Fahrt zur Zentral-Veranstaltung in Krefeld gibt es fast nur müde, traurige Gesichter. Übernächtigt mitten unter ihnen, steht der Betriebsratsvorsitzende Frank Klein. „Wir fahren jetzt zu einer Informationsveranstaltung, weitere werden folgen.“ Von Streik darf er nicht reden, da sind der Gewerkschaft die Hände gebunden.
Doch er redet vom Montag, dem Tag der Betriebsrätevollversammlung bei Outokumpu, „Da haben sie uns noch zugesagt, den Tarifvertrag voll zu halten.“ Vor Zeugen, Vertreter aller deutschen Werke waren anwesend. Jener Tarifvertrag, der dem Bochumer Stahlwerk eigentlich bis 2016 Bestandsschutz zusicherte, erst 2015 sollte nach einer Wirtschaftlichkeitsprüfung über die Zukunft der Schmelze entschieden werden.
Offenbarer Vertragsbruch
Doch als später in der Aufsichtsratsvorbesprechung der Arbeitnehmervertreter wieder und wieder die Sprache auf Bochum kam, schwante den Bochumer Vertretern nichts Gutes. Spät am Abend sickerte dann durch, dass die Finnen das Werk schließen wollen, „Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung ergab, dass mit der Schließung von Bochum eindeutig höhere Kosteneinsparungen erzielt werden, als mit jedem anderen Szenario“, heißt es in der Mitteilung des Konzerns.
Was Frank Klein, dessen Vater schon bei Krupp-Stahl arbeitete, besonders ärgert ist neben dem offenbaren Vertragsbruch, die Art und Weise: „Über das Intranet unserer Firma haben wird davon erfahren, dass unser Werk geschlossen werden soll.“ Er habe schon den ganzen Montag über ein ungutes Gefühl gehabt. Es sei „totaler Wahnsinn“, was jetzt passiere.
Eva Kerkemeier, 1. Bevollmächtigte der IG Metall, kündigt entschlossenen Widerstand gegen die Politik der Finnen an. „Das ist eine bodenlose Unverschämtheit. In Finnland scheint es nach der Devise ‘Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern’, zuzugehen.“ Für die nächsten Tage sind Aktionen geplant.
Die Produktion im Stahlwerk ruht
Die Nachtschicht handelt kurzentschlossen. So ein Riesenschmelzofen lässt sich nicht einfach mit einem Schalter ausknipsen. Kontrolliert runtergefahren wird die Anlage. Am Morgen steht nur noch ein dünner Faden Rauch über dem Werk. Die Produktion ruht. Was schon bald spürbar sein dürfte im Riesenwalzwerk von Thyssen-Krupp-Stahl (TKS) gleich nebenan. Denn rund ein Drittel des Vormaterials kommt vom Stahlwerk.
TKS-Betriebsratsvorsitzender Klaus Pachulski: „Das ist ein Schlag ins Kontor. Wir kämpfen doch zur Zeit um jede Tonne Stahl.“ Geschockt äußerte sich auch Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz: „Für die Beschäftigten in Bochum ist diese Entscheidung ein Schlag ins Gesicht. Es gibt eine verbindliche Zusage, die plötzlich nicht mehr gilt. Welchen Wert haben dann Absprachen?“ Ähnlich wie Pachulski ist sie besorgt darüber, dass mit dieser Entscheidung die Auslastung des benachbarten Thyssen-Krupp-Walzwerkes nicht mehr gegeben sein könnte und dort weitere Arbeitsplätze gefährdet seien. Dort arbeiten insgesamt mehr als 2300 Menschen.
„Die Nase vom Finnenkapitalismus voll“
„Jetzt hab’ ich aber vom Finnen-Kapitalismus die Nase voll“, raunzt Bochums SPD-Vorsitzender und Landtagsabgeordneter Thomas Eiskirch. Der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer (SPD) kündigte an, aus Solidarität direkt ins Werk zu fahren.
Aber auch aus der CDU gibt es klare Worte. Fraktionsvorsitzender Klaus Franz: „Für die Outokumpu-Beschäftigten ist diese Nachricht ein schwerer Schicksalschlag. Wir versetzen uns in die Lage der betroffenen Mitarbeiter, für die schnellstens Alternativen gefunden werden müssen.“
Die Bochumer Linken werfen Outokumpu Vertragsbruch vor: „Das erinnert mich sehr an Opel. So geht man nicht mit Beschäftigten um“, so der Fraktionsvorsitzende Uwe Vorberg.