Mainz. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis sich die Lage rund um den Mainzer Hauptbahnhof verbessert. Die Bahn kündigte zwar auf einem Krisengipfel Verbesserungen an, aber erst in der letzten Augustwoche ist wieder mit Vollbetrieb zu rechnen, hieß es.
Die Deutsche Bahn will die massiven Probleme im Zugverkehr am Mainzer Hauptbahnhof bis Ende des Monats lösen. Ab dem Abend des 30. August solle der "gesamte Verkehr im Bahnhof Mainz wieder nach dem Regelfahrplan fahren", sagte der Chef der zuständigen Bahn-Tochter DB Netz, Frank Sennhenn, am Dienstag nach einem Krisentreffen mit der rheinland-pfälzischen Landesregierung in Mainz.
Ab kommendem Montag würden Züge zwischen und 6 und 20 Uhr zu 15 Prozent nicht fahren, kündigten die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und DB Netz-Chef Frank Sennhenn am Dienstag nach einem Krisengipfel in Mainz an. Ab 17. August solle an Wochenenden wieder der Normalfahrplan gelten. In der letzten Augustwoche wolle die Bahn zum Vollbetrieb zurückkehren, falls es nicht zusätzliche Krankmeldungen der Fahrdienstleiter gebe. "Es gibt Linderung", sagte Dreyer. Sie zeigte sich aber nicht zufrieden. Außerdem solle das Personal im Bahn-Stellwerk Mainz um neun Stellen aufgestockt werden.
Sennhenn räumte ein, dass die personelle Lage in anderen Stellwerken der Deutschen Bahn ähnlich angespannt ist wie in Mainz. Es gebe "sechs bis sieben Stellwerke, die wir im besonderen Fokus haben", sagte Sennhenn. Die Bahn wolle nun die personelle Besetzung in allen Stellwerken bundesweit prüfen. DB Netz wolle in diesem Jahr 600 neue Mitarbeiter einstellen.
Kritik von Dreyer am Bund
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) kritisierte den Bund als Eigentümer der Deutschen Bahn für seinen zurückhaltenden Kurs angesichts der Probleme in Mainz. "Es kann nicht sein, dass der Bund als Eigentümer sich nicht mit solch essenziellen Sachen beschäftigt" wie den Problemen in Mainz, sagte Dreyer. Um der Bahn Luft für nötige Investitionen zu geben, müsse der Bund auf seine jährlich Dividende in Höhe von einer halben Milliarden Euro verzichten und hier "für ein, zwei Jahre auf die Bremse" treten.
Die Probleme in Mainz zeigten, dass der Bund und die Deutsche Bahn aus den Problemen mit der Berliner S-Bahn vor einigen Jahren "relativ wenig gelernt" hätten, kritisierte Dreyer. Etwaige Schadenersatz-Ansprüche an die Bahn aber habe das Bundesland "noch nicht umfassend geprüft". Die Bahn betreibt den Nah- und Regionalverkehr im Auftrag der Länder und wird für eine vereinbarte Leistung von diesen bezahlt. (afp)
Eisenbahn-Bundesamt macht Druck auf Deutsche Bahn
Die Bahntochter DB Netz hat zum Bahn-Krisengipfel eine Entspannung der kritischen Situation am Mainzer Hauptbahnhof angedeutet. "Ich glaube, dass wir ein Stück Aufklärung leisten können und ein Stück weiterkommen", sagte der Vorstandschef der DB Netz AG, Frank Sennhenn, am Dienstag vor Beginn des Treffens in Mainz. Nach Angaben des Vorsitzenden der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Alexander Kirchner, gibt es bereits einen weiteren Fahrdienstleiter im Mainzer Stellwerk. "Das hat die Probleme ja nicht entschärft", kritisierte er.
Seit über einer Woche plagen den Mainzer Hauptbahnhof Zugausfälle und Umleitungen, weil von 15 Fahrdienstleitern etwa die Hälfte krank oder im Urlaub ist. Bahnchef Rüdiger Grube macht die Personalprobleme zur Chefsache und wird an diesem Mittwoch mit dem Vorstand der Gewerkschaft in Frankfurt darüber sprechen, erfuhr die dpa.
Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) hat nach den massiven Problemen am Mainzer Hauptbahnhof den Druck auf die Deutsche Bahn erhöht. Mit Bescheid vom Montag sei die Bahn angewiesen worden, "unverzüglich" den uneingeschränkten Betrieb des Stellwerks Mainz wieder aufzunehmen, bestätigte eine Sprecherin der Behörde am Dienstag einen entsprechenden Bericht des "Handelsblattes". Unverzüglich bedeute dabei ein Handeln ohne "schuldhaftes Zögern". Die Bahn müsse zudem künftig verhindern, dass Ausfälle durch fehlendes Personal ausgelöst werden können. (dpa)
Laut Gewerkschaft fehlen bei der Bahn auch 800 Lokführer
Bei der Deutschen Bahn AG fehlen nach Ansicht der Gewerkschaft GDL auch mindestens 800 Lokführer. Man werde im nächsten Tarifvertrag mit dem Unternehmen eine verbindliche Personalplanung vereinbaren, kündigte der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Claus Weselsky, am Dienstag im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa an.
Die bislang vereinbarten Einstellungsquoten reichten nicht aus, um die Abgänge der kommenden Jahre zu kompensieren, sagte der GDL-Chef in Frankfurt. In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Überstunden bei den aktuell rund 22 500 Lokführern auf mehr als 3 Millionen Stunden in diesem Jahr angewachsen. Auch bei den privaten Bahnen mit rund 4500 Lokführern fehlten rund 200 Stellen.
Eine Sprecherin der DB AG verwies auf die intensivierten Anstrengungen des Unternehmens, neue Lokführer auszubilden. So befänden sich derzeit rund 1000 Nachwuchskräfte in der dreijährigen Ausbildung. Weitere 620 künftige Lokführer absolvierten die sieben bis acht Monate langen Funktionsausbildung, die Leuten mit bereits abgeschlossener Berufsausbildung vorbehalten ist. Sie sollten künftig im Regional, Fern- und Güterverkehr eingesetzt werden.
Die Engpässe auch in anderen Bereichen der DB AG wie zuletzt im Stellwerk Mainz kämen nicht unerwartet, sondern hätten ihre Ursache in überzogenen Renditeerwartungen, meinte Weselsky. Um diese zu erfüllen, sei der Einfachheit halber beim Personal gespart worden. Hauptproblem sei nicht der Deckungsbeitrag von 500 Millionen Euro für den Bundeshaushalt, sondern die Erwartung eines ständig steigenden Gewinns in der Aktiengesellschaft. (dpa)
Bahn-Chaos wird zum Wahlkampfthema
Das Chaos am Mainzer Bahnhof hat sechs Wochen vor der Bundestagswahl einen Schlagabtausch der Parteien provoziert. Aus der Opposition wurde der Bundesregierung am Dienstag vorgeworfen, viel zu spät auf die angespannte Personallage der Bahn reagiert zu haben. "Das ist ein absolutes Versagen der Bundesregierung", sagte der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Roger Lewentz (SPD) in der ARD. Der Bund sei Eigentümer und müsse das regeln. SPD-Vize-Fraktionschef Florian Pronold verlangte eine Sondersitzung des Bundestags-Verkehrsausschusses. Verkehrsminister Peter Ramsauer konterte umgehend: Es seien die früheren SPD-Minister für Verkehr und Finanzen, Wolfgang Tiefensee und Peer Steinbrück, gewesen, die den Bahn-Börsengang vorangetrieben und das Unternehmen kostenmäßig ausgeblutet hätten.
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Der Grünen-Politiker Volker Beck verlangte von Ramsauer, dieser müsse seinen Urlaub abbrechen. Der Verkehrsminister trage Schuld an der Misere. "Es kann doch nicht sein, dass Ramsauer seinen Skandal irgendwo faul am Strand aussitzt, während einfache Bahn-Mitarbeiter sich für ihren Urlaub rechtfertigen müssen", sagte er "Handelsblatt-Online".
Ramsauer sagte, der jetzige SPD-Spitzenkandidat Steinbrück habe den Bahn-Börsengang nur wegen der schlechten Lage der Finanzmärkte 2008 verschoben. "Die christlich-liberale Bundesregierung hat die Scherben aufgekehrt und den Kurswechsel hin zur kundenorientierten Deutschen Bahn vollzogen."
Netz-Sparte besonders vom Stellenabbau betroffen
Im Zuge der jahrelangen Sanierung und des geplanten Börsengangs hatte die Bahn unter Ex-Chef Hartmut Mehdorn einen Sparkurs gefahren. Über Jahre wurden gerade in der Netz-Sparte jährlich Tausende Stellen abgebaut. Zugleich wurden allerdings die Stellwerke wegen verzögerter Investitionen im Zuge des geplanten Börsengangs 2008 langsamer als zunächst vorgesehen durch moderne vollelektronische Anlagen ersetzt, was zu einer Personalentlastung geführt hätte. SPD-Verkehrsminister Tiefensee hatte ein Mitprivatisierung der Netz-Sparte wie von Mehdorn gewünscht möglich machen wollen, hatte sich auf einem Parteitag damit aber nicht durchsetzen können. Die Union und vor allem die FDP hatten sich gegen einen Börsengang des staatlich finanzierten Netzes ausgesprochen.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle machte das Bahn-Management für die Engpässe in Mainz und anderswo verantwortlich. Offenbar funktionierten die einfachsten Dinge bei der Personalplanung nicht, sagte er Reuters TV. "Ich bin erschüttert wie ein solches Unternehmen geführt wird." (rtr)