Essen. Karstadt steigt auf Zeit aus dem Tarifvertrag aus. Gibt es in der Branche ein Lohnplus, kommt es bei den Mitarbeitern des Kaufhaus-Konzerns nicht an. Es gebe keine Karstadt-Krise, versichert die Unternehmens-Spitze. Doch wirft die Entscheidung Schatten auf die anstehende Tarifrunde im Einzelhandel.
Als die Runde machte, dass der Essener Warenhauskonzern Karstadt seine Betriebsräte überraschend zu einem Treffen eingeladen hatte, war schnell von einem „Krisentreffen“ die Rede. Nicht einmal ein Jahr ist vergangen, seit Karstadt-Geschäftsführer Andrew Jennings überraschend den Abbau von 2000 Arbeitsplätzen verkündete. Sollte es nun erneut eine Hiobsbotschaft für die Beschäftigten geben? Ruhe war nie wirklich eingekehrt bei dem jahrelang angeschlagenen Traditionskonzern, den der deutsch-amerikanische Milliardär Nicolas Berggruen 2010 aus der Insolvenz heraus gekauft hatte. Unruhe aber ist schlecht fürs Geschäft, gerade in einer sensiblen Branche wie dem Handel. Entsprechend wurde im Umfeld des Konzerns Gelassenheit demonstriert. Ja, die Lage sei ernst. Aber es gebe keine Karstadt-Krise.
Von Gelassenheit konnte auf Seiten der Gewerkschaft Verdi keine Rede sein. In der Berliner Verdi-Zentrale wurde der Abschied von Karstadt aus der Tarifbindung als Kampfansage verstanden. Das Kürzel „OT“ – ohne Tarifbindung – steht naturgemäß bei Arbeitnehmervertretern auf dem Index. Dass es auch bei aufstrebenden Handelsfirmen wie Amazon oder Zalando keine Tarifgehälter gebe, sei keine Rechtfertigung für das Vorgehen von Karstadt, heißt es bei Verdi. Für den Warenhauskonzern sei der Konkurrent Kaufhof der Maßstab. Hier werde nach Tarif bezahlt.
Arbeitgeber fordern neues Lohngefüge
Karstadt-Arbeitsdirektor Kai-Uwe Weitz nennt es „einen eigenen, pragmatischen Weg“, den die Kaufhauskette in der gegenwärtigen Tarifrunde gehen wolle. „Für die vollständige Gesundung des Unternehmens werden wir eine ‚Tarifpause‘ einlegen“, sagte er. Ziel sei aber eine „erneute Tarifbindung bis 2015“. Für die rund 20 000 Karstadt-Beschäftigten bedeutet das: Vorerst müssen sie vermutlich auf Gehaltssteigerungen verzichten.
Karstadts Ausstieg aus dem Flächentarif wirft auch neue große Schatten auf die gerade begonnene Tarifrunde im Einzelhandel. Die Arbeitgeber haben die Manteltarife gekündigt und fordern ein ganz neues Lohngefüge. Der Einzelhandelsverband begründet dies vor allem damit, dass wegen der veralteten Verträge immer mehr Unternehmen aus dem Tarifverbund ausstiegen. Erst im März hatte sich die saarländische Kaufhauskette Globus mit rund 32 000 Beschäftigten aus dem Flächentarif verabschiedet. Nun folgt mit Karstadt das zweite Schwergewicht.
Die Forderung, bei den Löhnen mehr zwischen einfachen und qualifizierten Tätigkeiten zu unterscheiden, lehnt Verdi ab und will nur über Tariferhöhungen verhandeln. Die Arbeitgeber warnen, dadurch gehe die Tarifbindung noch weiter zurück. „Uns fliegt der Laden um die Ohren“, mahnte Peter Achten, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands NRW.
„Nicht unter den Status quo“
Der Ausstieg des Kaufhaus-Riesen stärkt die Verhandlungsposition der Arbeitgeber, schwächt aber die Tarifpartnerschaft als Ganzes. Gewerkschaft und Arbeitgeber handeln Löhne aus, die für immer weniger Menschen gelten. Schon heute hält sich nicht einmal mehr jeder zweite Betrieb an den Flächentarif.
„Es ergeben sich keine Kürzungen“, betonte Personalchef Weitz mit Blick auf die Gehälter bei Karstadt. Kurzfristig mag das stimmen, langfristig wohl eher nicht, schon allein aufgrund der Inflation. Alle Sonderzuwendungen und das Urlaubsgeld seien sicher, heißt es bei Karstadt. Es gehe nur um künftige Gehaltsentwicklungen: „Wir gehen nicht unter den Status quo.“ Außerdem garantiere das Unternehmen konzernweit einen Mindestlohn von 8,50 Euro.