Berlin. Karstadt, Neckermann, Metro und eventuell auch Opel: Mehrere große Unternehmen haben in letzter Zeit tausende Jobs gestrichen. Trotzdem rechnen Arbeitsmarktexperten nicht damit, dass Deutschland vor Massenentlassungen steht. Dafür seien die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu gut.

Rollt auf Deutschland eine Entlassungswelle zu? Experten warnen davor, Schreckensmeldungen über Jobverluste bei einigen Firmen als Orakel für eine Trendwende am Arbeitsmarkt zu deuten. "Die aktuellen Entlassungen sind für den Arbeitsmarkt als ganzen nicht als Hiobsbotschaft zu werten", sagte der Prognosechef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Enzo Weber, am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters.

Ihm pflichtete Oliver Stettes bei, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln: "Es handelt sich um Unternehmen, die schon seit längerem in Schwierigkeiten sind, die nichts mit der Konjunkturlage zu tun haben." Dennoch gilt: Die Erfolgsmeldungen über das deutsche Jobwunder neigen sich dem Ende zu.

Risiken für den deutschen Konjunkturmotor haben abgenommen

Die Risiken für den Konjunkturmotor in Deutschland haben zuletzt zugenommen. Darauf deuten Indikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima, die ZEW-Konjunkturerwartungen und die Auftragseingänge hin. Auch der Arbeitsmarkt schwächelte: Dreimal hintereinander stieg die Arbeitslosenzahl saisonbereinigt leicht an, die Arbeitskräftenachfrage ging zurück - wenn auch auf hohem Niveau. Für Juli ist ferienbedingt absehbar, dass die unbereinigte Arbeitslosenzahl voraussichtlich steigt, womöglich wie in den Vorjahren um einige Zehntausend.

Dennoch ist die Arbeitslosenzahl mit rund 2,8 Millionen so gering wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) geht davon aus, dass sich das Blatt in diesem Jahr auch nicht mehr wendet. BA-Chef Frank-Jürgen Weise verweist darauf, dass für 2012 eine nachlassende Dynamik erwartet worden sei: "Genau das beobachten wir."

Karstadt, Neckermann, eventuell Opel: In Deutschland fallen tausende Jobs weg

Mehrere Firmen haben binnen weniger Tage den Abbau von einigen tausend Jobs angekündigt: Der Warenhauskonzern Karstadt will 2000 Stellen streichen, Neckermann und die Baumarktkette Praktiker setzen den Rotstift an, der Energiekonzern RWE verlängert seine Streichliste um mindestens 2000 Jobs, bei Opel stehen weitere Arbeitsplätze auf der Kippe. Die Deutsche Bank trennt sich von 1000 Investmentbankern. Der Versicherer Axa Deutschland schließt nicht aus, dass er mehr als 1600 Vollzeitstellen hierzulande abbaut. Und die Schlecker-Pleite machte 25.000 Beschäftigte arbeitslos.

Auf den Fluren der Arbeitsagenturen macht sich dies aber kaum bemerkbar. Jeden einzelnen Monat registrieren sie Hunderttausende neue Arbeitslose, allein im Juni waren es 521.000. "So ein Fall von 1000 Entlassungen ist tragisch, aber für den Gesamtarbeitsmarkt ist das kein Zeichen", sagt IAB-Experte Weber. Die angekündigten Stellenstreichungen seien weder ein Anzeichen für Entlassungswellen noch dafür, "dass jetzt die Eurokrise auf den deutschen Arbeitsmarkt durchschlägt".

Arbeitslosigkeit nimmt nur langsam ab

Weder das IAB als Denkfabrik der BA noch das arbeitgebernahe IW sehen Anlass für ernste Sorgen. "Die konjunkturelle Lage ist im Moment nicht besonders gut. Trotzdem sieht es nicht schlecht aus", sagt Weber. "In Deutschland ist die Lage im Grunde ganz robust. Dass es jetzt noch wesentlich weiter runtergeht, erwarten wir nicht." IW-Experte Stettes verweist darauf, dass die Unternehmen bei den Einstellungen zurückhaltender würden: "Der Arbeitsmarkt entwickelt sich weiterhin robust positiv, aber der Abbau der Arbeitslosigkeit verlangsamt sich."

Auch das Barometer Kurzarbeit, mit der Auftragsflauten ohne Entlassungen überbrückt werden können, ist weit von der Fieberkurve der Jahre 2008/2009 entfernt. Damals schwoll die Zahl der Beschäftigten in der konjunkturellen Zwangspause auf gut 1,4 Millionen an. Derzeit sind es nach Hochrechnungen der BA gut 80.000, eine seit einigen Monaten kaum gestiegene Zahl.

Zahl der Erwerbstätigen fast auf Rekordhöhe

Das IW geht daher für das laufende Jahr weiter von einem Rückgang der Arbeitslosenzahl auf weniger als 2,8 Millionen und einem Aufbau der Beschäftigtenzahl um 500.000 aus. Die Zahl der Erwerbstätigen lag mit zuletzt knapp 41,6 Millionen ohnehin fast auf Rekordhöhe, ebenso wie die Zahl von fast 29 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Auch IAB-Prognosechef Weber bleibt zuversichtlich. Im Frühjahr war sein Institut von 2,84 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt ausgegangen. Im September gibt es eine neue Prognose. "Was die Arbeitslosigkeit angeht, wird die nächste Prognose nicht besser sein, aber auch nicht wesentlich schlechter", kündigte Weber an. Anders sehe es bei der Entwicklung der Erwerbstätigkeit aus. "Was die Beschäftigung angeht, ist die Entwicklung immer noch sehr gut. Es kommen mehr Menschen in Beschäftigung als die Arbeitslosigkeit verlassen. Es könnte sein, dass da unsere Prognose auch noch besser wird." (rtr)