Essen. . Der Stahl- und Technologiekonzern will nach einer ganzen Reihe von Kartell- und Korruptionsvorwürfen weitere böse Überraschungen vermeiden. Konzernchef Heinrich Hiesinger ruft seine Mitarbeiter auf, Regelverstöße zu melden – und will sie dafür nicht bestrafen.

Nach einer Reihe von Kartell- und Korruptionsvorwürfen strebt Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger einen Befreiungsschlag an. Er will weitere böse Überraschungen vermeiden. Wenn es noch irgendwo Regelverstöße im Unternehmen gegeben hat, sollen diese nun ans Licht kommen. Zu diesem Zweck ruft Hiesinger ein konzerninternes „Amnestie-Programm“ aus. Erklärtes Ziel ist es, reinen Tisch zu machen.

Der Konzern appelliert an Mitarbeiter, die zur Aufklärung von Korruptions- oder Kartellfällen aus der Vergangenheit beitragen wollen, sich bis zum 15. Juni zu melden. Wer „freiwillig, wahrheitsgemäß und umfassend“ aussage und „uneingeschränkt mit dem Unternehmen“ kooperiere, erhalte im Gegenzug die Zusage, dass Thyssen-Krupp auf Schadenersatzansprüche oder Kündigungen verzichte. Ausgenommen sind hohe Führungskräfte wie Konzern- und Bereichsvorstände. Das „Amnestie-Programm“ des Unternehmens schützt mögliche Täter natürlich nicht vor einer strafrechtlichen Verfolgung durch die Behörden.

Hoher Schaden für den Konzern

Hiesinger reagiert mit dem Vorstoß auf eine Serie von Vorfällen im Konzern. Nach unerlaubten Absprachen im Geschäft mit Rolltreppen und Aufzügen hatte ein Schienenkartell für Aufsehen gesorgt. Mittlerweile ermittelt das Kartellamt gegen Thyssen-Krupp auch wegen eines Kartellverdachts im Geschäft mit Auto-Stahl. Sollte es zutreffen, dass es schon seit 15 Jahren Preisabsprachen zulasten großer Autohersteller gab, drohen Thyssen-Krupp millionenschwere Schadenersatzforderungen durch die betroffenen Unternehmen.

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Hinzu könnte eine Strafe durch das Kartellamt kommen. Das neue Verfahren stehe zwar noch am Anfang, habe aber schon jetzt „einen gewaltigen Imageschaden“ für Thyssen-Krupp verursacht, heißt es in Konzernkreisen. „Wir werden immer wieder von den Fehlern der Vergangenheit eingeholt.“ Die „Verstöße einzelner Mitarbeiter“ seien so gravierend, dass sie den „Konzern existenziell bedrohen“.

Es gilt als sicher, dass auf Thyssen-Krupp neue finanzielle Belastungen zurollen. „Insbesondere das Schienenkartell wird uns in Zukunft weiter beschäftigen und zu erheblichen Schäden führen“, wird in Konzernkreisen eingeräumt. Zwischen 2001 und 2011 sollen Thyssen-Krupp und weitere Stahlproduzenten die Preise für Weichen und Gleise abgesprochen haben. Die Deutsche Bahn schätzt dem Vernehmen nach, dass ihr ein Schaden in Höhe von 750 Millionen Euro entstanden ist. Von Thyssen-Krupp fordert die Bahn angeblich 400 Millionen Euro.

Verstärkung von außen

Um das „Amnestie-Programm“ umzusetzen, holt sich Thyssen-Krupp auch Verstärkung von außen. Der Jurist Dietrich Max aus der internationalen Kanzlei Taylor Wessing nimmt seine Arbeit als Ombudsmann auf. Andere deutsche Großkonzerne hatten bei vergleichbaren Korruptionsvorwürfen auf prominente Köpfe gesetzt. So überwachte Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel vier Jahre lang die Aufarbeitung der Korruptionsaffäre bei Siemens. Daimler holte die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt in den Vorstand.

Durch das „Amnestie-Programm“ will Thyssen-Krupp einen „Selbstreinigungsprozess“ anstoßen. Für die Zukunft verfolgt Konzernchef Hiesinger mit Blick auf Kartelle und Korruption eine „Null-Toleranz-Strategie“. Aus seinem Umfeld kommt die klare Ansage: „Wer dabei nicht mitzieht, hat bei uns nichts zu suchen.“