Essen. . Der ehemalige Henkel-Chef Ulrich Lehner gilt nach dem Rückzug von Gerhard Cromme als Favorit für den Aufsichtsratsvorsitz bei Thyssen-Krupp. Lehner ist nicht unumstritten. Aktionärsschützer sprechen sich für einen Cromme-Nachfolger aus, der von außen kommt. Was für und was gegen Lehner spricht.

Krise? Bei diesem Wort wird Ulrich Lehner ganz gelassen. „Auf und Ab – das ist etwas ganz Normales“, sagt er dann. „Deshalb sollten wir Krisen gelassener hinnehmen, als wir es in vielen Fällen tun.“ Entscheidend sei, aus Krisen zu lernen.

Es könnte auch diese Einstellung sein, die den ehemaligen Chef des Düsseldorfer Henkel-Konzerns („Persil“, „Pritt“, „Pattex“) zu einem Favoriten für den Aufsichtsratsvorsitz bei der angeschlagenen Traditionsfirma Thyssen-Krupp macht. Kaum ein Manager in Deutschland dürfte krisenerprobter sein als der 66-jährige Lehner.

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Ein Beispiel ist die Telekom, wo er im Jahr 2008 als Nachfolger des über eine Steueraffäre gestolperten Klaus Zumwinkel den Aufsichtsratsvorsitz übernommen hat. Auch hier ging es darum, den durch Affären und Skandale erschüttert Konzern in ruhiges Fahrwasser zu bringen. Als Aufsichtsrat von Porsche war Lehner hautnah dabei, als die Übernahmeschlacht um Volkswagen tobte. Und durch sein Mandat beim Eon-Konzern wird er praktisch täglich mit den Folgen der Energiewende konfrontiert.

Der Fall Novartis

Eine kommunikative Krise besonderer Art erlebte Lehner gerade in der Schweiz. Als Verwaltungsratschef des Pharmakonzerns Novartis genehmigte er, dass der scheidende Konzernchef Daniel Vasella eine Abfindung von rund 58 Millionen Euro erhalten sollte, was einen Sturm der Entrüstung auslöste. Dabei gilt Lehner nicht als Abnicker, sondern als kritischer Kopf. Er gibt sich bodenständig und betont in Gesprächen nicht mit jeder Silbe, dass er zu den einflussreichsten Managern Deutschlands gehört. Insofern könnte Lehner zu Heinrich Hiesinger passen, der als Vorstandschef bei Thyssen-Krupp eine neue Unternehmenskultur etablieren möchte.

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Es heißt, Lehner genieße das Vertrauen des 99-jährigen Konzernpatriarchen Berthold Beitz, auf dessen Votum es entscheidend ankommt bei der Suche nach einem Nachfolger für den scheidenden Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Auch Hans-Peter Keitel, der frühere Hochtief-Chef und ehemalige BDI-Präsident, gilt als möglicher Kandidat. Allerdings gehören sowohl Lehner als auch Keitel seit Jahren schon dem Thyssen-Krupp-Aufsichtsrat an und haben die milliardenschweren Fehlinvestitionen in Brasilien und Alabama mitgetragen. Aktionärsschützer sprechen sich daher für einen Cromme-Nachfolger aus, der von außen kommt. Nur so könne ein wirklicher Neubeginn gelingen, hieß es bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

Fritz Pleitgen weist Spekulationen zurück

Für Lehner spricht, dass er als ehemaliger Henkel-Chef Erfahrung damit hat, die Interessen einer traditionsbewussten Eigentümerfamilie ebenso zu beachten wie die Bedürfnisse des Kapitalmarkts. An dieser Stelle gleichen sich Henkel und Thyssen-Krupp. Außerdem hat Lehner in den 80er-Jahren bei Krupp gearbeitet, bringt also einen gewissen Stallgeruch mit. Beitz soll es aber nicht so sehr schätzen, wenn Manager durch Ämterhäufung glänzen. Es gelte vielmehr das Motto: „Man kann nicht mehr als ein Zuhause haben.“ Ob Multi-Aufsichtsrat Lehner bereit wäre, für die Aufgabe bei Thyssen-Krupp auf andere Mandate zu verzichten?

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Cromme, der seinen Aufsichtsratsposten Ende März abgibt, hatte noch eine Doppelrolle. Er war Chefkontrolleur des Konzerns und galt zugleich als Kronprinz von Beitz in der Krupp-Stiftung, die mit 25,3 Prozent wichtigster Eigentümer von Thyssen-Krupp ist. Die Ämter in der Firma und in der Stiftung will Beitz nun wohl trennen. Im Kuratorium sitzen zwölf Mitglieder, darunter seit kurzem auch der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen. Spekulationen, er könne an die Spitze der Stiftung rücken, wies Pleitgen zurück. Ohnehin scheint Beitz keine Zeitnot zu verspüren, rasch die Nachfolgefrage in der Stiftung zu beantworten. Beitz erfreue sich bester Gesundheit, ist zu hören. Zunächst einmal gehe es darum, die Feiern für den 100. Geburtstag im September zu planen.