Essen. Die Leiharbeit hat zum Aufschwung am Arbeitsmarkt erheblich beigetragen. Doch Skandale wie bei Amazon und Niedriglöhne prägen ihr Image. Während die Politik über höhere Leiharbeitslöhne diskutiert, droht der Branche eine neue Niedriglohn-Konkurrenz: Wo Unternehmen selbst Leiharbeit zu teuer ist, greifen sie zu „Werkverträgen“.

Das muss Zufall sein: Ein Jahr, nachdem Rot-Grün 2003 die Zeitarbeit liberalisiert hat, hielt die „Schmuddelecke“ Einzug in den Duden. Seitdem klebt die Branche in dieser Ecke fest. Die Unternehmen haben sich organisiert, Tarifverträge geschlossen, sich einen Mindestlohn gegeben. Dass die Volksseele ihnen dennoch misstraut, liegt an Auswüchsen wie jetzt bei Amazon. Der Zeitarbeits-Dachverband BAP kann sich von diesen Vorgängen noch so sehr distanzieren – was bleibt, sind die ARD-Bilder von zusammengepferchten, unterbezahlten und überwachten Menschen in der Schmuddelecke der deutschen Arbeitswelt.

Der neuerliche Imageschaden ist enorm. Dabei hatte sich einiges getan. Dumpingverträge mit Christlichen Gewerkschaften wurden ungültig. In Westdeutschland gilt für Leiharbeiter ein Mindestlohn von 8,19 Euro pro Stunde. Das ist nicht viel, aber auch nicht weit weg von jenen 8,50 Euro, die SPD und Gewerkschaften als flächendeckenden Mindestlohn fordern.

Nur für Auftragsspitzen?

Das Problem ist ein anderes: Eigentlich, so will es das Gesetz, müssen Leiharbeiter und Stammkräfte gleich bezahlt werden. Es sei denn, es wird ein Zeitarbeits-Tarif gezahlt. Diese Ausnahme ist zur Regel geworden: Der Mindestlohn verhindert zumeist, dass gleiche Arbeit gleich bezahlt wird. Und das auf unbegrenzte Zeit. Die Maxime, dass Leiharbeiter nur Auftragsspitzen abfedern sollen, kann damit unterlaufen werden. Auch wird die Begründung für niedrigere Löhne – Leiharbeiter müssten erst angelernt werden – bei Verleihzeiten von teils mehreren Jahren im selben Betrieb ad absurdum geführt.

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Diese Schlupflöcher versuchen die Gewerkschaften nun auf eigene Faust zu schließen. IG Metall und IGBCE haben in ihren Branchen eine bessere Bezahlung nach gewissen Verleihzeiten durchgesetzt. Damit wird der Einarbeitungszeit Rechnung getragen, der Lohn auf lange Sicht aber angehoben. Solche Regeln für alle zu finden, wäre eigentlich Aufgabe der Politik.

Statistisch hat die Leiharbeit erheblich zum deutschen „Jobwunder“ beigetragen. Seit der Liberalisierung hat sich die Zahl der Leiharbeiter auf in der Spitze 900.000 verdoppelt. Die meisten waren zuvor arbeitslos. Die Frage, was nun besser ist: mehr mäßig bezahlte Leiharbeiter oder mehr Arbeitslose, mag jeder selbst beantworten. Ein Leiharbeiter verdient im Schnitt 1400 Euro, kaum mehr als die Hälfte eines Festangestellten. Der gewünschte Beschäftigungseffekt ist jedoch objektiv eingetreten.

SPD will die Entleihdauer auf ein Jahr begrenzen

Seit 2012 stockt der Boom. Als die Aufträge ausblieben, sank die Zahl wieder auf 800.000. Das spricht dafür, dass Leiharbeiter zumindest in der Mehrzahl doch für Arbeitsspitzen geheuert werden – und alsbald wieder gehen müssen. Die Hälfte der Beschäftigungen wird bereits in den ersten drei Monaten wieder beendet. Das ist schlecht für die Betroffenen. Wer aber wie die Gewerkschaften den Dauereinsatz von Leiharbeitern beklagt, kann nicht gleichzeitig anprangern, dass sie in Krisen als erste gehen müssen. Genau diese Flexibilität ist der Kern der Leiharbeit.

Doch es gibt immer wieder Auswüchse wie nun bei Amazon, die alte Forderungen emporbringen. Die SPD will die Entleihdauer wieder auf ein Jahr begrenzen und gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

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Während die Politik über höhere Leiharbeitslöhne diskutiert, droht der Branche eine neue Niedriglohn-Konkurrenz: Wo Unternehmen selbst Leiharbeit zu teuer ist, greifen sie zu „Werkverträgen“. Tätigkeiten werden ausgelagert und als „Werk“ von Fremdfirmen eingekauft. So lassen Supermärkte ihre Regale füllen oder Schlachthäuser Rinder zerlegen. Die Fremdfirmen zahlen meist noch weniger als Zeitarbeitsfirmen. Der Dienstleistungsverband ILS etwa hat einen Tarif-Stundenlohn von 6,63 Euro ausgehandelt. Mittlerweile fordert er selbst einen Mindestlohn für seine Branche, weil viele Dienstleister diesen Lohn noch unterböten.

SPD und CDU wollen das Thema Werkverträge angehen, etwa durch mehr Mitsprache für Betriebsräte. Doch für Mitarbeiter von Fremdfirmen ist das kaum umzusetzen. Die Leiharbeit wieder zu regulieren, ohne die Werkverträge zu regeln, würde das Problem jedoch nur weiterschieben – in die nächste Schmuddelecke.