Essen. Günstige Preise und kostenlose Lieferung verheißt der Internethändler Amazon seinen Kunden. Leidtragende dieses Billig-Systems sind vor allem ausländische Leiharbeiter. Wie eine Dokumentation am Mittwoch in der ARD aufdeckte, werden sie nicht nur zu Dumpinglöhnen angestellt, sondern auch rund um die Uhr von einem aggressiven Security-Dienst überwacht. Amazon will die Vorwürfe prüfen.

Immer mehr Kunden shoppen beim Versandhändler Amazon: Allein in Deutschland machte das Unternehmen 2012 einen Umsatz von über sechs Milliarden Euro. Doch Amazons Erfolg hat eine Schattenseite, die vor allem ausländische Hilfskräfte trifft, wie am Mittwochabend die ARD-Dokumentation „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“ aufdeckte: Lohndumping, 24-Stunden-Überwachung, Repressionen. Der Online-Riese will die Vorwürfe prüfen.

Im Zentrum der Reportage stand ein Logistikzentrum im hessischen Bad Hersfeld, aber Amazon hat zahlreiche weitere deutsche Standorte, unter anderem zwei in NRW (Werne und Rheinberg). Hunderte von Leiharbeitern beschäftigte der Onlinehändler allein in Bad Hersfeld im Weihnachtsgeschäft 2012. Die meisten davon kamen aus Spanien, darunter auch viele Akademiker - eine Folge der Rezession im Süden Europas.

Spaniern werden deutschsprachige Verträge vorgesetzt

Wie die ARD-Doku aufdeckt, waren die Spanier aber nicht bei Amazon direkt angestellt, sondern bei der Zeitarbeitsagentur „trenkwalder“. Das erfuhren die Hilfsarbeiter aber erst, als sie in Deutschland ankamen. Auch der zuvor vereinbarte Lohn war plötzlich zwölf Prozent geringer. Die Verträge konnten die ausländischen Leihkräfte nicht verstehen: Sie waren auf Deutsch.

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Trotzdem nahmen die Spanier die Arbeit an. Warum sich keiner über die falschen Versprechungen Amazons beschwerte, erklärt Norbert Faltin, Amazon-Vorarbeiter in Koblenz, den Reportern Diana Löbl und Peter Onneken: „Man traut sich einfach nicht darüber zu sprechen.“

Heiner Reimann von Verdi ergänzt: „Die ausländischen Leiharbeitnehmer haben keine Stimme, deswegen glaube ich, dass sie faktisch rechtlos sind." Zudem sei die Angst der Arbeiternehmer „riesengroß“ ohne Lohn in ihre Heimat zurückgeschickt zu werden.

Laut Recherchen des Reporterteams soll Amazon systematisch die Arbeitnehmerrechte aushöhlen – mutmaßlich auch in NRW. „Solange sich keiner beklagt, kommt Amazon damit durch“, betont Verdi-Vertreter Reimann.

Kommt der Bus zu spät, verlieren die Leiharbeiter Lohn 

Zu den Logistikzentren werden die Hilfsarbeiter mit Bussen gebracht. Die Reporter sprachen mit einem der Busfahrer, der Erschreckendes zu berichten weiß: Komme der Bus zu spät, müssten die Menschen nicht nur in der winterlichen Kälte ausharren, sondern auch Lohnabzüge hinnehmen, falls sie nicht pünktlich zur Arbeit erschienen.

Untergebracht seien die Leiharbeiter in abgeschiedenen Ferienananlagen - ohne Internet, Handyempfang und öffentliche Verkehrsmittel. Die Reporter Löbl und Onneken buchen sich in die Ferienanlage Seepark in der Nähe des Logistikzentrums in Bad Hersfeld ein. Dort wohnen auch hunderte spanische Hilfsarbeiter. Schnell stellen die Reporter fest: Die Arbeitskräfte werden rund um die Uhr von einem Sicherheitsdienst überwacht.

Sicherheitsdienst überwacht Hilfskräfte 24 Stunden am Tag

Eine Kunstlehrerin aus Spanien berichtet von Zimmerkontrollen durch die Security-Bediensteten. Auf einem Zettel am schwarzen Brett steht: „Stichpunktartige Taschenproben sind durch die Security möglich“. Krankenschwester Maria erzählt, wie sie von dem Sicherheitsdienst bedroht und verfolgt worden sei. Als die Security-Leute die Reporter entdecken, fordern sie die Aushändigung aller Aufnahmen und setzen die Journalisten fest. Unter Polizeischutz können diese schließlich den Ferienpark verlassen.

Den Reportern fällt vor allem das Aussehen der Sicherheits-Mitarbeiter auf: Kurzhaarfrisur, Springerstiefel und Kleidung der Marke Thor Steinar, die in der rechten Szene beliebt ist. Aus eben diesem Grund wird die Kleidung von Amazon selbst nicht mehr verkauft.

Auf schriftliche Anfragen der Reporter reagierte Amazon nicht. Erst nach der Ausstrahlung in der ARD am Mittwochabend nimmt das Unternehmen zumindest zu den Vorfällen mit dem Security-Dienst Stellung: "Auch wenn das Sicherheitsunternehmen nicht von Amazon beauftragt wurde, prüfen wir derzeit selbstverständlich den von den Redakteuren gemachten Vorwurf bezüglich des Verhaltens des Sicherheitspersonals und werden umgehend geeignete Maßnahmen einleiten", teilte Amazon am Donnerstag auf Anfrage mit.

In den sozialen Netzwerken wird zum Amazon-Boykott aufgerufen

Im Internet rufen derweil immer mehr Nutzer zum Amazon-Boykott auf. So schreibt Bruno Boscarin auf Facebook: "Was ich auf ARD gesehen habe ist erschreckend, und menschenunwürdig. Werde nie wieder was über Amazon Bestellen." Sebastian Philipp wendet sich direkt an das Unternehmen und postet: "Ich bin langjähriger Kunde bei Amazon und finde es beschämend, wie Ihr Unternehmen mit Leiharbeitern umgeht. Nutzer Annuntio schreibt auf Twitter:

<blockquote class="twitter-tweet" lang="de"><p>Für ein paar Euro Ersparnis finanziere ich nicht mehr Amazons menschenunwürdige Praktiken. <a href="http://t.co/UD5CtZsi" title="http://goo.gl/03FDB">goo.gl/03FDB</a><a href="https://twitter.com/search/%23amazon">#amazon</a></p>&mdash; Annuntio (@ThomasOrthmann) <a href="https://twitter.com/ThomasOrthmann/status/301817878066388993">13. Februar 2013</a></blockquote>

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Es gibt aber auch Nutzer, die verwundert auf die jetzt aufbrandende Kritik am Internethändler reagieren. Daniel Richter schreibt auf Facebook: "Ich verstehe nicht, dass sich manche so aufregen. Der Markt (d.h. die Verbraucher) will es doch so." Und Christian Maertin twittert:

<blockquote class="twitter-tweet" lang="de"><p>Großer Twitter-Aufschrei wg. <a href="https://twitter.com/search/%23amazon">#amazon</a> - was habt Ihr denn bislang gedacht, warum die Produkte so günstig sind???</p>&mdash; Christian Maertin (@CristianMaertin) <a href="https://twitter.com/CristianMaertin/status/301815012631121921">13. Februar 2013</a></blockquote>

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Währenddessen fordern die hessischen Grünen die Landesregierung in Wiesbaden dazu auf, die Arbeitsbedingungen bei Amazon sofort prüfen zu lassen. „Das Unternehmen nutzt die Not insbesondere osteuropäischer oder spanischer Arbeitsloser skrupellos aus, um Personalkosten zu drücken", sagt Kai Klose, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion. (mit dpa)