Duisburg/Essen. Vorstand von Thyssenkrupp Steel macht im Ringen um Jobs und Standorte Druck: Auf dem Spiel stehe „das langfristige Überleben der Firma“.

Dennis Grimm hat einen Plan vorgestellt, der tiefe Einschnitte bei Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel vorsieht: 11.000 Arbeitsplätze will der Vorstand abbauen oder abgeben. Zwei Hochöfen in Duisburg und ein Werk in Südwestfalen sollen schließen. Einem Bochumer Standort droht ein früheres Aus. Dennis Grimm, der Vorstandssprecher von Thyssenkrupp Steel, verteidigt in seinem ersten Interview nach der Veröffentlichung seiner Strategie das harte Vorgehen. „Es ist fünf vor zwölf“, sagt er. „Die Marktlage hat sich in den vergangenen Monaten nochmals deutlich verschlechtert, und Besserung ist nicht in Sicht.“ Daher müsse das Management handeln. „Es geht darum, das langfristige Überleben der Firma sicherzustellen“, mahnt Grimm. Wie es nun in Duisburg, Bochum und Südwestfalen weitergehen soll und wie er zum Vorwurf steht, er und seine Vorstandskollegen seien „Marionetten“ von Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López und Miteigentümer Daniel Kretinsky, sagt Dennis Grimm in unserem ausführlichen Interview.

Herr Grimm, die IG Metall hat Widerstand gegen Ihren Stahl-Plan angekündigt und lehnt Verhandlungen ab. Sind Ihnen als Management nun die Hände gebunden, weil Sie in einem montanmitbestimmten Konzern die Zustimmung der Arbeitnehmer benötigen?

Grimm: Wir werden in den nächsten Wochen das industrielle Konzept, das wir entwickelt haben, weiter konkretisieren und das Gespräch mit den Arbeitnehmervertretern suchen. Die Eckpunkte sehen unter anderem einen Abbau von circa 5000 Stellen durch Anpassungen in Produktion und Verwaltung vor. Außerdem sollen weitere 6000 Arbeitsplätze durch Ausgliederungen auf externe Dienstleister oder den Verkauf von Geschäftstätigkeiten überführt werden.

Die IG Metall hat aber kategorisch ausgeschlossen an den Verhandlungstisch zu kommen, wenn weiterhin betriebsbedingte Kündigungen oder Standortschließungen drohen.

Grimm: Wir müssen alle verstehen: Es ist fünf vor zwölf. Wir müssen jetzt ins Handeln kommen. Das geht nur gemeinsam. Ich bin mir sicher, dass wir in den Dialog kommen werden, weil wir in den Dialog kommen müssen. Die Marktlage hat sich in den vergangenen Monaten nochmals deutlich verschlechtert, und Besserung ist nicht in Sicht. Wir können vor der Realität nicht die Augen verschließen.

Wollen Sie sagen, die Lage sei so ernst, dass eine Blockadehaltung der IG Metall den Konzern in seiner Existenz bedroht?

Grimm: Klar ist: Es geht uns nicht darum, vorhandene Gewinne weiter zu maximieren. Wir befinden uns in einer ernsten wirtschaftlichen Lage und müssen überhaupt erst einmal dahin kommen, genügend Geld zu verdienen, um uns selbst zu finanzieren. Daher haben wir nicht viel Spielraum – und auch nicht viel Zeit. Die vorgestellten Maßnahmen erstrecken sich über viele Jahre – bis 2030. Wir haben einen langen Weg vor uns. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt schnell starten, um ans Ziel zu kommen.

Dennis Grimm in der Duisburger Hauptverwaltung von Thyssenkrupp Steel, im Hintergrund ein Hochofen in Hamborn.
Dennis Grimm in der Duisburger Hauptverwaltung von Thyssenkrupp Steel, im Hintergrund ein Hochofen in Hamborn. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Sind Ihre Pläne in Stein gemeißelt? Erwägen Sie Zugeständnisse an die Arbeitnehmervertreter?

Grimm: Wir haben bewusst nicht einen fertigen Business-Plan präsentiert, sondern Eckpunkte für ein industrielles Zukunftskonzept. Über diese Punkte möchten wir mit den Arbeitnehmervertretern ins Gespräch kommen. Selbstverständlich sind wir als Stahlvorstand von diesem Konzept überzeugt.

Von den derzeit rund 27.000 Arbeitsplätzen bei Thyssenkrupp Steel blieben nur noch 16.000, wenn Sie Ihre Vorstellungen vollständig umsetzen. Können Sie nachvollziehen, wenn die Arbeitnehmervertreter sagen, dies sei mit ihnen nicht zu machen?

Grimm: Wir möchten mit Argumenten punkten. Es geht uns nicht um einen Rückzug, sondern das Gegenteil ist der Fall: eine Perspektive für die Zukunft. Dafür müssen wir eine erheblich wettbewerbsfähigere Kostenposition erreichen, als wir sie heute haben.

Das Gehaltsniveau möchten Sie um zehn Prozent senken – unter anderem durch Einschnitte bei Bonus-Zahlungen, künftig soll es auch weniger leitende Angestellte im Konzern geben.

Grimm: Wenn wir uns mit unseren Wettbewerbern – auch in Europa – vergleichen, sehen wir: Unsere Personalkosten sind zu hoch. Auch sind unsere Anlagen nicht so effizient ausgelastet, wie es erforderlich ist.

Zwei der vier Hochöfen in Duisburg wollen Sie schließen: die Hochöfen 8 und 9 in Hamborn. Bleiben sollen zunächst die Hochöfen 1 und 2 in Schwelgern. Warum treffen die Einschnitte Hamborn?

Grimm: Wir müssen uns fokussieren. Im Werksbereich Schwelgern haben wir zwei Hochöfen, die – auch aufgrund ihrer Größe und der Anbindung an den Hafen sowie die Kokerei – sehr wettbewerbsfähig sind. Mit den Anlagen in Schwelgern sind wir in der Lage, die Mengen herzustellen, die wir anstreben. Was Hamborn angeht: Es ist von Vorteil, beide Hochöfen gemeinsam stillzulegen, weil die Aggregate teils miteinander verbunden sind und wir so erhebliche Fixkosten sparen können. Wir beenden den Betrieb der Hochöfen in Hamborn aber erst, wenn die Direktreduktionsanlage läuft.

Wann wird auch der letzte Hochofen von Thyssenkrupp Steel stillgelegt?

Grimm: Für eine Antwort auf diese Frage ist es noch zu früh. Das langfristige Ziel ist eine klimaneutrale Produktion spätestens im Jahr 2045. Bis 2030 sieht unser Plan die Stilllegung der beiden Hochöfen in Hamborn vor. Danach geht es um die Nachfolge für einen der beiden Hochöfen in Schwelgern. Wir halten weiterhin an unserem Plan fest, die geplante Direktreduktionsanlage für eine klimafreundliche Stahlproduktion in Duisburg zu bauen.

In Ihrem Konzept ist von einer zweiten Direktreduktionsanlage, die eigentlich bis 2030 kommen sollte, keine Rede mehr. Haben Sie diese Pläne begraben?

Grimm: Wir gehen technologieoffen vor und prüfen fortlaufend, was am sinnvollsten ist. Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass der nächste Schritt ein Elektroofen sein könnte – als Nachfolge für den Hochofen 2 in Schwelgern.

Als letzter Hochofen in Duisburg soll der „schwarze Riese“ bleiben

Als letzter Hochofen bleibt dann noch der Hochofen in Betrieb, der im Volksmund „schwarzer Riese“ genannt wird?

Grimm: Genauso ist es, hier haben wir aber noch kein Enddatum für eine Ablösung definiert.

Der „schwarze Riese“ von Thyssenkrupp Steel in Duisburg-Schwelgern soll als letzter Hochofen im Unternehmen laufen.
Der „schwarze Riese“ von Thyssenkrupp Steel in Duisburg-Schwelgern soll als letzter Hochofen im Unternehmen laufen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Bundeskanzler Scholz mahnt, die Stahlproduktion in Deutschland dürfe auch aus strategischen Gründen nicht immer kleiner werden, da Stahl nicht nur für die Autoindustrie, sondern auch für Rüstungsgüter wichtig sei. Gibt Ihnen das zu denken?

Grimm: Uns ist es enorm wichtig, die Stahlerzeugung in Deutschland zu erhalten. Genau deswegen müssen wir jetzt handeln. Es geht darum, unser Unternehmen zukunftsfest aufzustellen. Unsere Pläne sehen eine jährliche Produktion von bis zu neun Millionen Tonnen vor. Das ist das Niveau, das wir heute faktisch haben. Unser Anspruch ist also hoch. Unser industrielles Konzept fokussiert sich auf ein nachhaltig werthaltiges Portfolio, bei dem wir eine starke Wettbewerbsposition innehaben. Unser Stahl ist Ausgangspunkt für viele Branchen und Industrien, zum Beispiel für die Mobilitäts- und Energiewende, für Verpackungsstahl, für Haushaltsgeräte und Elektromotoren von klein bis groß. Somit tragen wir dazu bei, Deutschlands und Europas Resilienz zu stärken.

Verlieren Sie durch die geplanten Einschnitte den Status als Deutschlands größter Stahlkonzern?

Grimm: Wir sind Deutschlands größter Stahlhersteller und wollen das auch bleiben. Unser Konzept sieht vor, dass wir Marktanteile in wichtigen Branchen halten. Wir wollen zudem auch als Stahlhersteller eine Starke Nummer zwei in Europa bleiben.

Die IG Metall ist in Sorge, dass Teile der Produktion aus Deutschland abwandern, weil Sie Material zukaufen angesichts der geplanten Hochofen-Stilllegungen. Um welche Mengen handelt es sich?

Grimm: Die Mengen sind überschaubar. Unsere derzeitige Planung sieht vor, dass wir wenige hunderttausend Tonnen pro Jahr auf dem Weltmarkt zukaufen. Dieses Material wird dann in unseren Anlagen weiterverarbeitet und zu hochwertigsten Stahlprodukten veredelt.

Dennis Grimm, der Vorstandssprecher von Thyssenkrupp Steel: „Unser erklärtes Ziel ist es, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, das haben wir immer betont.“
Dennis Grimm, der Vorstandssprecher von Thyssenkrupp Steel: „Unser erklärtes Ziel ist es, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, das haben wir immer betont.“ © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Den südwestfälischen Standort Eichen wollen Sie schließen. Warum hat es dieses Werk erwischt?

Grimm: Wir haben uns sehr genau angesehen, wie profitabel und ausgelastet unsere jeweiligen Standorte sind. Dabei hat eine ausführliche Analyse unseres gesamten Produktionsnetzes ergeben, dass eine Schließung von Eichen betriebswirtschaftlich notwendig ist. Wir verlieren dort Geld ohne Aussicht auf nachhaltige Besserung. Hinzu kommt, dass wir die Produkte, die in diesem Werk hergestellt werden, größtenteils an andere Standorte verlagern können. Das hat nichts mit dem Einsatz der Mitarbeitenden und der Qualität ihrer Arbeit vor Ort zu tun.

Manager verteidigt Plan für vorgezogene Werksschließung in Bochum

In Bochum wollen Sie die eigentlich für das Jahr 2030 vorgesehene Schließung des Standorts an der Castroper Straße auf das Jahr 2027 vorziehen.

Grimm: Ja, denn wir sehen aufgrund der Marktlage, dass es notwendig ist, nochmal mit den Arbeitnehmervertretern ins Gespräch zu gehen.

Wirkt sich hier die Krise der Elektromobilität auf Bochum aus?

Grimm: Das ist ein Grund, aber nicht der einzige. Generell ist der Standort Castroper Straße nicht gut genug ausgelastet. Wir investieren mehrere hundert Millionen Euro, um die von unseren Kunden geforderten Güten auf modernen Anlagen in Bochum an der Essener Straße und in Duisburg zu produzieren. An unserem Kompetenzzentrum für Elektromobilität halten wir natürlich fest.

Die Hochöfen von Thyssenkrupp Steel prägen das Bild der Stadt Duisburg.
Die Hochöfen von Thyssenkrupp Steel prägen das Bild der Stadt Duisburg. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Wenn Sie die Schließung vorziehen wollen, müssen Sie aber einen bestehenden Tarifvertrag ändern.

Grimm: Das ist richtig. Auch darüber möchten wir mit den Vertretern der Mitbestimmung sprechen.

Werden Sie den Beschäftigten an den Duisburger Hochöfen und an den Standorten in Bochum und im Siegerland, die Sie schließen wollen, Alternativ-Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp Steel anbieten?

Grimm: Das streben wir nach Möglichkeit an. Uns ist bewusst, dass wir den betroffenen Beschäftigten viel zumuten. Daher bemühen wir uns, gute Lösungen zu finden. Aber auch der Anteil altersbedingter Ausstiege wird über die nächsten Jahre einen Teil dazu beitragen.

Gilt der im Ruhrgebiet bekannte Grundsatz: Niemand fällt ins Bergfreie?

Grimm: Unser erklärtes Ziel ist es, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, das haben wir immer betont.

Tausende Arbeitsplätze sollen durch Outsourcing bei Thyssenkrupp Steel verschwinden. Welche Bereiche habe Sie im Blick?

Grimm: Wir wollen und müssen uns auf unser Kerngeschäft fokussieren. Dabei leitet uns die Frage: Was können andere besser als wir? Wir haben eine detaillierte Liste, die wir in den nächsten Wochen gemeinsam durchgehen.

Thyssenkrupp-Stahlchef: „Es geht darum, das langfristige Überleben der Firma sicherzustellen“

Thyssenkrupp-Chef Miguel López hat seit Monaten einen neuen „Business-Plan“ für den Stahl gefordert. Geht es dabei vor allem darum, die Stahl-Sparte auf einen Verkauf an den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky vorzubereiten?

Grimm: Es geht darum, das langfristige Überleben der Firma sicherzustellen, Thyssenkrupp Steel fit für die Zukunft zu machen und viele gute Arbeitsplätze im Stahl zu erhalten.

Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López hat seit Monaten einen „Stahl-Plan“ vom Sparten-Management in Duisburg gefordert.
Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López hat seit Monaten einen „Stahl-Plan“ vom Sparten-Management in Duisburg gefordert. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Ist es ein Zufall, dass Sie gerade jetzt mit Ihrem Konzept kommen – kurz nach dem Einstieg von Kretinsky, der bereits 20 Prozent der Anteile an Thyssenkrupp Steel übernommen hat und im Stahl-Aufsichtsrat vertreten ist?

Grimm: Das, was wir hier tun, machen wir unabhängig von der Eigentümerstruktur. Richtig ist: Unsere Eigentümer unterstützen das Konzept.

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, Sie und Ihre Vorstandskollegen seien Marionetten von López und Kretinsky.

Grimm: Als Vorstand von Thyssenkrupp Steel bin ich für den Stahl, für dieses Unternehmen verantwortlich. Mit dem Plan, den wir als Stahlvorstand erarbeitet haben, wollen wir den Stahl zukunftsfest aufstellen. Nichts anderes ist das Ziel. Und wie schon gesagt: Es ist fünf vor zwölf. Wir müssen ins Handeln kommen.

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