Duisburg. Ihre Vollversammlung in Duisburg nutzen die Betriebsräte von Thyssenkrupp Steel zur Abrechnung mit der Streichliste. Wie es jetzt weitergehen kann.

Bei einer außerordentlichen Vollversammlung der Betriebsräte aller Standorte von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) hat sich der komplette Stahl-Vorstand am Mittwoch im Huckinger Steinhof den Belegschaftsvertretern gestellt. Die nutzen die Gelegenheit zu einer vierstündigen Abrechnung mit dem Eckpunkte-Papier des Vorstands.

Der Stahl-Vorstand hatte am Montag mitgeteilt, dass er den Abbau von bis zu 5.000 Arbeitsplätzen und die Ausgliederung von 6000 weiteren Jobs bis 2030 plane, die Schließung des Standorts Kreuztal-Eichen (Siegerland). Auch durch Lohnverzicht der Belegschaft sollen die Personalkosten um zehn Prozent sinken, die Produktionskapazität von 11,5 auf 9 Millionen Jahrestonnen reduziert werden.

Wut von 240 Betriebsräten entlädt sich in Duisburg

Die Wut der 240 Betriebsräte entlud sich so lautstark, dass die wartenden Journalisten Teile der nichtöffentlichen Aussprache mühelos mithören konnten. Sie seien „Marionetten des Konzernvorstands“ war noch die freundlichste Bezeichnung, die Vorstandssprecher Dennis Grimm, Technik-Vorständin Marie Jaroni und Finanzchef Philipp Conze zu hören bekamen.

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Grimm, der erst im Juli für den plötzlich ausgeschiedenen Dr. Arnd Köfler von der HKM in den TKSE-Vorstand aufgerückt war und im August dem geschassten Bernhard Osburg nachfolgte, hatte vergeblich versucht, deutlich zu machen, dass es ihm nach 20 Jahren im Konzern ebenso wie der Belegschaft um die Zukunftsfähigkeit von TKSE geht.

Dennis Grimm: Businessplan soll Eckpunkte-Papier folgen

„Die Emotionen sind verständlich. Man merkt, dass uns allen das Unternehmen am Herzen liegt“, sagt er im Anschluss, „wir müssen gemeinsam eine Zukunft finden. Ich bin als Vorstand von Thyssenkrupp Steel entsprechend verantwortlich“. Ziel sei es, „ab Januar mit der Mitbestimmung in die weiteren Gespräche zu gehen.“ Grundlage dafür soll ein Businessplan sein, der dem Eckpunkte-Papier bis dahin folgen soll.

Diplomatisch äußerte sich TKSE-Vorstandssprecher Dennis Grimm nach der Kritik der Betriebsräte: „Die Emotionen sind verständlich.“
Diplomatisch äußerte sich TKSE-Vorstandssprecher Dennis Grimm nach der Kritik der Betriebsräte: „Die Emotionen sind verständlich.“ © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Anschließend gehen auch Knut Giesler, NRW-Bezirksleiter der IG Metall, und der Vorsitzende des Thyssenkrupp-Gesamtbetriebsrats, Tekin Nasikkol, hart mit den Vorständen ins Gericht. „Das Management hat versagt“, so Giesler, „wir sind bereit, über eine Restrukturierung zu reden, die Sinn macht. Aber dazu erwarten wir ein wirkliches Zukunftskonzept, mit dem man Märkte gewinnen kann.“ Im aktuellen Vorstand mangele es dazu an Expertise.

IG Metall: Vorstand darf rote Linien nicht überschreiten

Betriebsrat und IG Metall bleiben dabei: Keine Verhandlungen, solange der Vorstand nicht den Verzicht auf Standortschließungen und betriebsbedingte Kündigungen erklärt. Das beinhalte ausdrücklich auch die Belegschaft der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) für den Fall, dass die Verkaufsgespräche mit CE Capital Partners (Hamburg) scheitern. „Unprofessionell, weder seriös noch akzeptabel“, sei das Papier, kritisiert Nasikkol und Giesler kündigt an: „Im Stahl-Aufsichtsrat werden wir über das Papier am 10. Dezember nicht abstimmen.“

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Eine Frist werde man nicht setzen, sagt Tekin Nasikkol. „Der Vorstand ist am Zug.“ Die Auseinandersetzung werde ein Marathon, sagt Giesler bereits seit ihrem Beginn. Zum Streik darf die Gewerkschaft nicht aufrufen. Die IG Metall kündigt daher „kreativen Protest“ an, der über die Mahnwache vor dem Tor 1 in Bruckhausen hinausgeht.

Betriebsräte kündigt „kreative Protestaktionen“ an

Einen Sternmarsch im Siegerland plant Helmut Renk für den 11. Dezember. Die vom Vorstand geplante Schließung des Werks Kreuztal-Eichen sei „betriebswirtschaftlicher Schwachsinn“, so der Betriebsratsvorsitzende des Standorts. „Auch der Duisburger Weihnachtsmarkt kann für Aktionen ein geeigneter Ort sein. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen“, sagt Tekin Nasikkol.

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Als Chef des Gesamtbetriebsrats trägt er Verantwortung für alle Beschäftigten im Konzern. Es sei deshalb wichtig, dass eine tragfähige Lösung für die Verselbständigung der Stahlsparte gefunden werde, „die im Konzern nicht gut gelitten ist“. TKSE sei keinesfalls der Mühlstein, der Thyssenkrupp in den Abgrund reißt, betont Nasikkol: „Doch wenn der Stahl nicht ausreichend ausgestattet wird, fällt das dem Konzern auf die Füße.“

Wut und Empörung prägten die Stimmung nach der außerordentlichen Betriebsrätevollkonferenz von TKSE am Mittwoch im Steinhof.
Wut und Empörung prägten die Stimmung nach der außerordentlichen Betriebsrätevollkonferenz von TKSE am Mittwoch im Steinhof. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Investor Křetínský: Keine Antworten auf Fragen des Betriebsrats

Während der Streit über die Höhe der „Mitgift“ durch ein unabhängiges Gutachten geklärt wird, versuche der Betriebsrat mit Daniel Křetínský ins Gespräch zu kommen. Einen vierseitigen Fragenkatalog zu seinem industriellen Konzept lasse der tschechische Milliardär seit zwei Monaten unbeantwortet, berichtet Nasikkol: „Wir kennen seine Absichten nicht.“

Einen möglichen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel, von der NRW-SPD immer wieder ins Gespräch gebracht, ist für Kurt Giesler kein Thema: „Eine schöne Idee, die aber im Moment nicht zur Debatte steht und auch kein aktuelles Problem löst.“

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>> STAHLARENA: KANZLERKANDIDATEN NACH DUISBURG

  • Zu einer „Stahlarena“ will Tekin Nasikkol die drei Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl nach Duisburg einladen.
  • Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (CDU) und Robert Habeck (Grüne) sollen in einer Diskussion ihre Position zur Zukunft der Stahilindustrie darlegen.
  • Knut Giesler fordert die Politik auf, noch vor der Bundestagswahl Beschlüsse zur Entlastung für die Unternehmen von den hohen Energiekosten zu beschließen. „Das darf nicht im Parteienklüngel und Wahlkampf untergehen“, mahnt der Bezirksleiter der IG Metall.
  • In Brüssel müsse die neue EU-Kommission nun schnell Schutzmechanismen gegen Billigstahl-Importe in Kraft setzen, ergänzt Tekin Nasikkol. „Und wenn wir es schaffen, die E-Mobilität anzuschieben, ist das gut für TKSE.“