Duisburg/Essen. Mit den Plänen von Thyssenkrupp Steel wird der Hochofen-Standort Hamborn in Duisburg Geschichte. Die Einschnitte folgen einer Logik.
Den Hochofen 8 hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch im vergangenen Jahr angeschaut. Das Staatsoberhaupt kam in einer Zeit, in der Aufbruchstimmung am Stahlstandort Duisburg herrschte. Thyssenkrupp schien den Aufbau einer neuen Grünstahl-Produktion beherzt anzugehen. Entsprechend gut gelaunt gesellten sich im Mai 2023 Thyssenkrupp-Beschäftigte zum Präsidenten, um Erinnerungsfotos zu ergattern. Steinmeier lobte die Vorreiterrolle des Revierkonzerns. „In Deutschland wollen wir, vielleicht müssen wir den Beweis erbringen, dass klimafreundliche, klimagerechte Stahlerzeugung in dieser Welt möglich ist und dass der auf diese Weise erzeugte Stahl auch am Markt absetzbar ist“, sagte er.
Dieser Tage bietet Thyssenkrupp ein anderes Bild: Zu sehen ist vor allem ein Konzern, der sich auf dem Rückzug befindet. Der Hochofen 8 steht vor dem Aus. Auch den benachbarten Hochofen 9 will das Thyssenkrupp-Management bis zum Jahr 2030 stilllegen. Damit erlischt das Feuer am traditionsreichen Duisburger Hochofen-Standort Hamborn gänzlich – in Sichtweite der Konzernzentrale endet eine Ära.
Bleiben sollen lediglich zwei der bislang vier Thyssenkrupp-Hochöfen in Duisburg – und zwar am Standort Schwelgern. Nur die großen Hochöfen haben eine Zukunft, die kleineren Anlagen nicht. Schwelgern, so heißt es, sei mit der dortigen Kokerei für die Stahlproduktion „ein sehr wettbewerbsfähiger Standort“. Und wenn sich Thyssenkrupp mit dem „8er“ und dem „9er“ in Hamborn von gleich zwei Hochöfen verabschiede, seien erhebliche Kostensenkungen möglich. Mehr Effizienz in der Stahlsparte fordert Konzernchef Miguel López schon seit Monaten.
Erwägungen für den Abschied von einem dritten Hochofen
Es ist ein Umbau von historischem Ausmaß für Thyssenkrupp. Perspektivisch könnte ein weiterer Hochofen durch einen Elektrolichtbogenofen ausgetauscht werden. Dieses Verfahren dient dem Recycling von Eisenschrott. Ein Betrieb mit Ökostrom könnte Thyssenkrupp eine Alternative zum Bau einer kostspieligen Direktreduktionsanlage auf Wasserstoff-Basis bieten. Festlegen in der Sache will sich das Management aber noch nicht. Eine Entscheidung falle erst zu einem späteren Zeitpunkt – und „unter den dann gültigen wirtschaftlichen, technologischen und politischen Rahmenbedingungen“, heißt es bei Thyssenkrupp Steel.
Dass zumindest die erste geplante Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) für Grünstahl aus Duisburg tatsächlich gebaut werden soll, beteuert das Stahl-Management dieser Tage eisern. Im neuen „Stahl-Plan“ von Spartenchef Dennis Grimm wird die DRI-Anlage als Ersatz für die Hochöfen 8 und 9 angeführt. Mit der neuen Anlage, zu der auch zwei sogenannte Einschmelzer gehören, lassen sich laut Thyssenkrupp etwa 2,2 Millionen Tonnen der angestrebten Produktionskapazität von 8,7 bis neun Millionen Tonnen im Jahr darstellen.
Zwei Milliarden Euro für Thyssenkrupp aus der Staatskasse
Zwei Milliarden Euro aus Steuergeldern hatten die Bundesregierung und das Land NRW für die DRI-Anlage zugesagt. Der Landesanteil – bis zu 700 Millionen Euro – ist dabei die größte Einzelförderung, die es jemals in NRW gegeben hat, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) betonte. Etwa eine Milliarde Euro hat Thyssenkrupp zunächst für das Großprojekt eingeplant. Ob das ursprünglich veranschlagte Geld ausreicht, ist zweifelhaft.
Der Bau mindestens einer zweiten Direktreduktionsanlage bis zum Jahr 2030 war unter dem mittlerweile geschassten Stahl-Management um Bernhard Osburg fest eingeplant. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte dafür bereits finanzielle Unterstützung aus der Staatskasse signalisiert. Doch von einer zweiten DRI-Anlage ist im neuen „Stahl-Plan“ von Thyssenkrupp keine Rede mehr. Das Ausstiegsszenario ist präziser als die Zukunftsvision.
Die IG Metall hatte angesichts der absehbaren Einschnitte am Stahlstandort Duisburg eindringlich vor einer „Halbierung der Hütte“ gewarnt. Gemessen an den Produktionskapazitäten der Hochöfen kommt es dazu nicht. 1,6 Millionen Tonnen kann der Hochofen 8 pro Jahr herstellen, beim Hochofen 9 sind es 2,1 Millionen Tonnen. Im Vergleich dazu sind die Anlagen in Schwelgern deutlich leistungsstärker – mit 3,6 Millionen und 4,1 Millionen Tonnen.
Der „schwarze Riese“ von Thyssenkrupp soll bleiben
Wie lange die Laufzeit der verbleibenden Hochöfen sein könnte, ist eine spannende Frage. In die Karten schauen lässt sich der Konzern hier nicht. Der Hochofen 1 in Schwelgern, der auch der „schwarze Riese“ genannt wird, ist erst vor drei Jahren modernisiert worden, der Hochofen 2 schon vor zehn Jahren. Eine „Ofenreise“, wie es in der Sprache der Stahlarbeiter heißt, kann je nach Anlage zwischen zehn und 20 Jahre dauern. Ohne eine Erneuerung des Hochofens wäre dann Schluss.
Der Hochofen 8, der vor dem Aus steht, ist übrigens noch recht jung: Erst im Jahr 2007 ging er erstmals in Betrieb. Den Hochofen 9 hat Thyssenkrupp vor zwölf Jahren erneuert.
Viele Fragen zum gigantischen Umbau am Stahlstandort Duisburg sind offen. Ob die Industrie-Kolosse in Hamborn demontiert werden? Sollte Thyssenkrupp keinen Käufer für die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Süden Duisburgs finden, stünde auch hier die Schließung von zwei Hochöfen an.
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