Essen. Die Vier-Tage-Woche gewinnt in Europa an Bedeutung, in Deutschland bisher nicht. Die IG Metall will sie nun im Stahl durchsetzen. Das plant sie.

Von Großbritannien und Schweden über Belgien bis Portugal wird derzeit europaweit mit der Vier-Tage-Woche experimentiert, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. In Deutschland tut man sich traditionell schwer damit, wenn, probieren es einzelne Betriebe aus. Das will die größte Gewerkschaft nun mit all ihrer Macht ändern: Die IG Metall ist fest entschlossen, in der kommenden Tarifrunde für die Stahlindustrie die Einführung einer Vier-Tage-Woche durchzusetzen. Das sagte Knut Giesler, NRW-Chef der Gewerkschaft, unserer Zeitung.

Er ist Verhandlungsführer in der nordwestdeutschen Stahlindustrie (NRW, Niedersachsen, Hessen und Bremen) und erzielt in aller Regel zugleich den Pilotabschluss. Denn mit 68.000 Beschäftigten arbeitet in diesem Bezirk die große Mehrheit der rund 90.000 Stahlarbeiter in Deutschland. „Wir wollen eine echte Entlastung für die Beschäftigten erreichen, ohne dass sie deshalb weniger verdienen“, sagte Giesler. Für die Lebensqualität und die Gesundheit wäre das ein großer Fortschritt.

IG Metall: Ausgesprochen positive Rückmeldungen

Die bisherigen Rückmeldungen aus den Stahlbelegschaften dazu seien ausgesprochen positiv. Gleichzeitig würde die Vier-Tage-Woche die Stahlindustrie attraktiver für junge Menschen machen, die beim Umbau der kohlebasierten Schwerindustrie hin zu grünem Stahl in den kommenden Jahren dringend benötigt würden: „Wir brauchen dafür junge, intelligente Leute – und um die konkurrieren wir mit vielen anderen Branchen“, meint Giesler:

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Konkret schwebt ihm für die Einführung der Vier-Tage-Woche in der Stahlindustrie die Senkung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden vor, bei vollem Lohnausgleich. Was in der Verwaltung und im Zwei-Schicht-Betrieb deutlich einfacher umzusetzen sei, werde im Drei-Schicht-Betrieb schwieriger. Hier gibt es in jedem Betrieb viele verschiedene Schichtmodelle, in vielen arbeitet ein größerer Teil der Stahlkocher sechs Tage in Folge mit zwei Früh-, zwei Mittags- und zwei Spätschichten, anschließend haben sie vier Freischichten.

In diesen so genannten Vollkontischichten ist eine Vier-Tage-Woche schwer und schon gar nicht über Nacht umsetzbar. Deshalb gehe es hier eher um den Wegfall der ungeliebten „Verfügungsschichten“, die derzeit anfallen, um den Wochenschnitt von 35 Stunden zu erreichen. Und um den Aufbau von Freischichten, was den Beschäftigten mehr Spielräume in der Freizeitgestaltung bringen würde.

Früher Vorstoß: Stahl-Tarifrunde beginnt erst im November

Giesler will seinen Vorstoß für die Vier-Tage-Woche im Stahl Ende April in die Auftaktsitzung der Tarifkommission für die kommende Runde einbringen. Das ist ungewöhnlich früh, denn der Tarifvertrag läuft noch bis November. Er tut das, um eine breitestmögliche Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Betriebsräte zu erreichen. „Damit haben wir zuletzt vor allem in der Stahlrunde 2022, aber auch in der Metall- und Elektroindustrie sowie der Textilindustrie sehr gute Erfahrungen gemacht und viele Mitglieder gewonnen“, sagt Giesler.

Knut Giesler, IG Metall-Bezirksleiter in NRW, will in den kommenden Stahl-Tarifverhandlungen die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich durchsetzen.
Knut Giesler, IG Metall-Bezirksleiter in NRW, will in den kommenden Stahl-Tarifverhandlungen die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich durchsetzen. © picture alliance / Caroline Seidel/dpa | Caroline Seidel

Er möchte bis zu den Sommerferien Klarheit haben, wie genau die Gewerkschaft ihre Vier-Tage-Forderung ausgestaltet. Hierfür sollen die Beschäftigten im Mai und Juni befragt werden. Die Lohnforderung werde erst später, möglichst kurz vor den Anfang November beginnenden Verhandlungen aufgestellt.

Löhne und Arbeitszeiten sollen getrennt verhandelt werden

Zumal eine Arbeitszeitreduzierung um drei Stunden, was in der Stahlindustrie 8,5 Prozent ausmacht, bei vollem Lohnausgleich bereits eine satte Erhöhung der Stundenlöhne mit sich brächte. Allerdings geht die IG Metall davon aus, dass diese Reduzierung eine längere Zeit, womöglich mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird, auch, um die Arbeitgeber bei der Umstellung der Dienst- und Schichtpläne nicht zu überfordern. „Wir brauchen hier längere Einschleichzeiten“, sagt Giesler. Parallel zu den schrittweisen Arbeitszeit-Absenkungen werde dann auch eine Entgeltforderung in den jeweiligen Lohnrunden gestellt, die unabhängig vom Arbeitszeit-Tarifvertrag laufen würden.

Gieslers Selbstbewusstsein, die Vier-Tage-Woche im Stahl durchsetzen zu können, kommt auch aus den vielen Erfahrungen der vergangenen Jahre. Ein brancheneigener, 2016 abgeschlossener und seitdem stets verlängerter Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung wird nämlich von den Arbeitgebern gern und breit genutzt, so dass aktuell ohnehin nur eine Minderheit auf die regulären 35 Stunden kommt. Bei Thyssenkrupp etwa können die Beschäftigten ihre Wochenarbeitszeit zwischen 33 und 35 Stunden selbst wählen, bei Arcelor Mittal in Bremen geht es bereits bis auf 32 Stunden herunter. „Mir kann also niemand erzählen, dass das nicht geht“, sagt Giesler, „wir wissen ja, dass es funktioniert“.

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Ein großes Traditionsunternehmen in NRW dürfte der Vorstoß der IG Metall auf dem falschen Fuß erwischen: Die Deutschen Edelstahlwerke (DEW) mit Sitz in Witten wollen ihre Beschäftigten länger arbeiten lassen – konkret fordert ihre Schweizer Mutter Swiss Steel eine 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich. Der Edelstahlproduzent mit Werken in Witten, Hagen, Siegen, Hattingen und Krefeld kämpft seit Jahren mit roten Zahlen.

Giesler zu DEW: Werden nirgends auf 40-Stunden-Woche gehen

Nun will Swiss Steel 400 der rund 4000 Arbeitsplätze in NRW abbauen, den Beschäftigten erneut Urlaubs- und Weihnachtsgeld streichen und gleichzeitig die Arbeitszeiten verlängern. Dazu sagt Gewerkschaftschef Giesler: „In der Stahlindustrie haben wir kaum Abweichungen bei der Arbeitszeit nach oben. Und wir werden sicher in keinem Unternehmen, egal in welcher Branche, auf die 40-Stunden-Woche gehen.“

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Dem Bezirksleiter der IG Metall NRW ist wichtig, mit einer Reduzierung der Arbeitszeit auch den drohenden Wegfall weiterer Arbeitsplätze in der Stahlindustrie aufzufangen. In dieser vom Strukturwandel und der Globalisierung besonders gebeutelten Schwerindustrie ist die Zahl der Beschäftigten in den vergangenen 50 Jahren von 280.000 auf weniger als ein Drittel zusammengeschrumpft. Der Umstieg in der Produktion auf grünen Stahl wird weitere Arbeitsplätze kosten. Wenn die Kohle als Brennstoff von Wasserstoff ersetzt wird, braucht es irgendwann keine Kokereien mehr. Zudem werden die neuen Hochofentypen effizienter und damit weniger personalintensiv werden.

Vier-Tage-Woche kann Arbeitsplatzabbau verhindern

„Wir müssen die Transformation der Stahlindustrie sozial begleiten“, sagt Giesler. „Mit einer Vier-Tage-Woche und flexibleren Arbeitszeitkonten können wir viel besser auf die Veränderungen reagieren und auch den Wegfall von Arbeit auffangen, ohne dass die Beschäftigten um ihre Jobs bangen müssen.“

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Um eine bessere Balance zwischen Arbeit und Freizeit, zufriedenere, gesündere und motiviertere Beschäftigte geht es in den meisten europäischen Ländern, die Modelle für eine Vier-Tage-Woche testen oder bereits eingeführt haben. Anders als in der deutschen Stahlindustrie ging dabei der Impuls aber nicht von den Gewerkschaften aus, sondern vom Staat oder Forschungsgruppen.

100 Prozent Leistung in 80 Prozent der Zeit

Die bekannteste heißt „4 Day Week Global“, sie hat in Großbritannien, Irland und den USA Versuche durchgeführt. Im bisher größten testeten 61 britische Unternehmen mit 2900 Beschäftigten aus verschiedenen Branchen die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Damit das wirtschaftlich bleibt, sollten die Belegschaften in 80 Prozent der Zeit dieselbe Arbeit schaffen – also deutlich produktiver werden. Das schafften sie in fast allen Betrieben, fühlten sich mehrheitlich trotzdem weniger gestresst.

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Mehr als neun von zehn Unternehmen behielten deshalb die Vier-Tage-Woche nach dem Experiment bei – sicher auch, weil ihre Beschäftigten sich deutlich seltener krank meldeten oder kündigten, die Umsätze bei einigen sogar stärker stiegen als im Vergleichszeitraum. Ähnlich positive Ergebnisse zeitigten weitere, kleinere Versuche von „4 Day Week Global“ in den USA und Irland.

Viele Tests bei Bürojobs, wenige in Industrie

Die meisten dieser Tests konzentrierten sich freilich auf Dienstleistungs- und Verwaltungsjobs, nicht auf die Industrie. In Island arbeiten bereits heute vier von fünf Angestellten nur noch vier Tage die Woche, ihre Arbeitgeber registrieren seit dem 2015 gestarteten Versuch deutlich weniger Burnouts und andere psychische Erkrankungen unter ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Kein Erfolg war dagegen ein schwedischer Versuch im gleichen Zeitraum im staatlichen Gesundheits- und Pflegesektor. Weil die Arbeitszeitsenkung bei vollem Lohnausgleich zu teuer wurde, kehrten fast alle Krankenhäuser und Altenheime wieder zur alten Fünf-Tage-Woche zurück.

Belgien erteilt Recht auf Vier-Tage-Woche

Aus Sorge vor Produktivitätsverlusten setzt daher Belgien auf die Vier-Tage-Woche bei täglich entsprechend längerer Arbeitszeit. Wer will, kann dort nun an vier Tagen je 9,5 Stunden arbeiten und ins lange Wochenende gehen. So machen es auch viele Unternehmen in der Schweiz, wo es keine gesetzliche Regelung dazu gibt. Portugal will in diesem Sommer einen Vier-Tage-Versuch mit 35 statt 40 Wochenstunden starten. Dort ist es der Staat, der Gewerkschaften und Arbeitgeber dazu auffordert, dies ein halbes Jahr lang zu probieren.