Essen. Der „Fortschrittsmonitor Energiewende“ von EY und dem BDEW zieht ein ernüchterndes Zwischenfazit: Alle Ausbauziele werden bisher weit verfehlt.
Deutschland agiert viel zu träge bei seiner Energiewende, der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze geht zu langsam voran, die Realität hinke den ehrgeizigen Zielen weit hinterher – so in etwa lässt sich die Bestandsaufnahme der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) zusammenfassen. Sie haben einen ersten „Fortschrittsmonitor Energiewende“ für den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) erstellt und am Montag veröffentlicht.
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In dem Bericht lassen die EY-Experten vor allem Zahlen wie diese sprechen: Damit Deutschland seine Ausbauziele vor allem für Ökostrom und Übertragungsnetze erreicht, müssten bis 2030 jedes Jahr mindestens 54 Milliarden Euro investiert werden – doch zuletzt floss mit 14,5 Milliarden nur rund ein Viertel dessen, was nötig wäre. Die Vorgabe der Bundesregierung, bis zum Ende des Jahrzehnts 80 Prozent des Strombedarfs mit Erneuerbaren Energien zu decken, lasse sich so nicht annähernd erreichen. Im vergangenen Jahr stieg der Ökostrom-Anteil zwar auf einen neuen Rekordwert, doch der liegt bei nur 47 Prozent.
Ernst & Young: Alle Sektoren liegen hinter den Zielen
Grüne Energien sollen aber nicht nur den Strombedarf der Zukunft decken, sondern auch in der Wärmeerzeugung, etwa mit Wärmepumpen, und im zu elektrifizierenden Verkehrssektor die entscheidende Rolle spielen. „In allen Sektoren liegt der Ausbaustatus deutlich hinter den Zielen“, lautet die Bestandsaufnahme von EY, die nun jährlich für den BDEW aktualisiert werden soll. Über allem steht das Ziel der Regierung, in Deutschland den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent zu senken. Allerdings stiegen die Treibhausgasemissionen 2021 wieder an und stagnierten 2022 – „die Ziele sind gefährdet“, heißt es in der Studie.
Das meiste Geld wird für den Ökostrom-Ausbau benötigt – insgesamt 351 Milliarden Euro bis 2030. Der als Voraussetzung für den Stromtransport benötigte Übertragungsnetzausbau verschlingt 126 Milliarden Euro, drittgrößter Posten ist der Bau neuer Kraftwerke und der Verteilnetze mit 104 Milliarden Euro. Um die Schwankungen des Ökostroms aus Wind und Sonne auszugleichen, setzt die Bundesregierung vor allem auf den Neubau von Gaskraftwerken, die später mit grünem Wasserstoff befeuert werden sollen. Dass sich die Konzerne wie RWE noch schwer tun, sich für Neubauten zu entscheiden, liegt an den bisher fehlenden Rahmenbedingungen. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) will sie in der ersten Jahreshälfte auf den Weg bringen.
„Die Energiewende ist ein Mammutprojekt – und vermutlich das größte Investitionsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Bislang aber kommen wir längst nicht so schnell voran, wie es möglich und nötig wäre“, sagte EY-Partner Metin Fidan. „Um die für 2030 anvisierten Ziele zu erreichen, müsste die installierte Leistung bei Photovoltaik mehr als verdoppelt, bei Onshore-Wind sogar mehr als verdreifacht werden. Dass dies mit der aktuellen Ausbaugeschwindigkeit gelingt, ist höchst unwahrscheinlich“, so der Energiewende-Experte von Ernst & Young.
BDEW-Studie: Es fehlen auch Fachkräfte und Rohstoffe
Der Branchenverband BDEW fordert die Bundesregierung auf, Hemmnisse zu beseitigen, Genehmigungen zu beschleunigen, mehr Flächen etwa für Windkraft- und Photovoltaikanlagen zu öffnen und bessere Anreize für Investitionen zu setzen. Zudem mangelt es der Studie zufolge an Akzeptanz in der Bevölkerung. So sieht EY als größtes Ausbau-Hindernis neben dem Planungsrecht den Artenschutz, der an vielen potenziellen Standorten neuen Ökostrom-Anlagen im Wege stehe. Allerdings fehle es der Branche auch an eigenen Kapazitäten, vor allem an Fachkräften und zunehmend auch an Rohstoffen wie Lithium und Kobalt.
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BDEW-Chefin Kerstin Andreae gestand der Ampel-Koalition zwar zu, wichtige Verbesserungen auf den Weg gebracht zu haben, vor allem zur Beschleunigung von Verfahren und Genehmigungen. Doch das reiche längst nicht aus. „Es ist verständlich, dass angesichts der aktuellen Krise der Fokus der Politik zuletzt an anderer Stelle lag. Doch mit einer erfolgreichen Energiewende schützen wir nicht nur unser Klima, sondern sie trägt auch dazu bei, unabhängig vom Import fossiler Energieträger zu werden“, sagte Andreae.