Essen. Anwalt Mark Binz schlichtete einen Milliardenstreit bei Tengelmann. Im Interview erzählt er, warum es in Familienunternehmen auch um Liebe geht.
Rund 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland werden von Familien kontrolliert. Unter den Familienmitgliedern herrscht aber längst nicht immer Einigkeit. Der Stuttgarter Staranwalt Mark Binz erzählt im Interview, wie er für Frieden bei Tengelmann gesorgt hat und wo es bei Tönnies hakte und warum auch Liebe neben Macht und Geld in Familienunternehmen eine große Rolle spielt.
Herr Binz, Sie gelten als Friedensstifter bei großen Familienunternehmen wie Tengelmann, Haribo oder Tönnies. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Mark Binz: Es gibt nicht das Erfolgsrezept. Das Konzept muss man vielmehr immer neu erfinden. Und zwar maßgeschneidert. Bei Gesellschafterkonflikten steht am Anfang die sorgfältige Analyse der Interessenslage aller Mitspieler. Und eine Strategie, die laufend angepasst werden muss. Mal geht es fast spielerisch zu, mal ist es wie im Krieg. Wobei die militärische Devise gilt: Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg.
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Vor wenigen Wochen haben Sie eine endgültige Einigung im jahrelangen Erbstreit beim Handelskonzern Tengelmann verkündet. Wie konnte es überhaupt zu dem erbitterten Zwist unter den Familienstämmen der drei Haub-Brüder kommen?
Binz: Auch dieser Fall liegt besonders. In der Tat hatte es der verschollene und inzwischen für tot erklärte Karl-Erivan, genannt Charlie, versäumt, seine Unternehmensanteile rechtzeitig auf seine beiden Kinder oder noch besser auf eine Familienstiftung zu übertragen. Oder zumindest für die drohende Erbschaftssteuer von mehr als einer halben Milliarde Dollar Sorge zu tragen. Hätten er und die Zwillinge rechtzeitig auf ihren amerikanischen Pass verzichtet, wäre vermutlich überhaupt keine Schenkungs- bzw. Erbschaftssteuer angefallen. Dann wäre es auch kaum zu dem jahrelangen, die Geschäftsführung lähmenden Stellungskrieg gekommen, aus dem mein Mandant Christian Haub letztlich als strahlender Sieger hervorging. Jeder Streit hat eben auch sein Gutes.
Wie sind Sie an den Fall gekommen?
Binz: Wie der Zufall so spielt, hatten ursprünglich alle drei Streitparteien in meiner Kanzlei angeklopft. Im Sommer 2020 lernte ich schließlich Christian Haub kennen. Wir unterhielten uns geschlagene sechs Stunden ohne Unterbrechung und waren sofort wie ein Herz und eine Seele. Vermutlich deshalb, weil wir am selben humanistischen Gymnasium in Wiesbaden Abitur gemacht hatten, also über eine gemeinsame kulturelle Prägung verfügten. Von den drei Stämmen war Christian Haub übrigens der einzige, und zwar begnadete Unternehmer, die anderen Gesellschafter hatten letztlich nur finanzielle Interessen. Bei den Zwillingen war das verständlich, da ihnen ja eine gewaltige Erbschaftsteuer drohte.
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Hatten Sie damals erwartet, dass der Fall so spektakulär und langwierig werden würde?
Binz: Tengelmann war ursprünglich eine eigentlich unlösbare Herkulesaufgabe für mich, für die ich mehr als zwei Jahre meines Lebens geopfert und wie ein Besessener Tag und Nacht gearbeitet habe. In dieser Zeit habe ich mehr als 4000 E-Mails verfasst und unzählige Gespräche geführt. Aber es war auch wie ein Jungbrunnen für mich. Wichtig war mir, dass ich die beiden Stämmen angedrohte Ausschließung aus dem Unternehmen nicht wahr machen musste. In beiden Fällen ist es uns stattdessen gelungen – nacheinander – eine unternehmerische Lösung zu finden, mit der am Ende alle zufrieden waren – also ein Königsweg.
Letztlich hat Christian Haub den Firmenanteil seines für tot erklärten Bruders für 1,7 Milliarden Euro erworben. Dem Kompromiss ging allerdings eine Schlammschlacht voraus.
Binz: Wir hatten die Gerüchte nicht gestreut, dass Charlie noch leben und sich mit seiner russischen Freundin abgesetzt haben könnte. Allerdings gab es dafür in der Tat reichlich Anhaltspunkte wie etwa das abgeschaltete Handy, die leichte Bekleidung und zurückverfolgte Telefonate. Bruder Georg hatte deswegen sogar seinen Antrag auf Todeserklärung überraschend wieder zurückgezogen. Hätte sich nicht im letzten Augenblick die Familie des Verschollenen unserem Antrag angeschlossen, wäre die Sache womöglich anders ausgegangen. Denn mangels Nachweises, dass Karl-Erivan Haub „in Todesgefahr gekommen“ ist, hätte das Amtsgericht Köln eine zehnjährige Frist abwarten müssen. Dann wären heute noch alle drei Familienstämme an der Tengelmann-Gruppe beteiligt und würden die Gerichte beschäftigen.
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Christian Haub hat in der Zwischenzeit mit seinen Angehörigen gebrochen. Was ist in der Familie eigentlich schiefgelaufen?
Binz: Nach dem tragischen Tod von Charlie hatte Christian zunächst auf einen erneuten Schulterschluss mit seinem Bruder Georg gehofft, der immer als „schwarzes Schaf“ der Familie galt. Doch dieser hat sein Vertrauen missbraucht und am Ende sogar gegen eine Rücklagenauflösung geklagt, die Voraussetzung dafür war, dass Christian die zweite Kaufpreisrate von 800 Millionen Euro pünktlich an die Zwillinge Viktoria und Erivan Haub bezahlen konnte. Damit war das Tischtuch endgültig zerschnitten.
Welche Rolle spielte die Mutter Helga Haub?
Binz: Mutter Helga, die in der Familie immer eine wichtige Rolle spielte, hatte Christian nie eine echte Chance gegeben, sein Können unter Beweis zu stellen, sondern Charlie als ihren Lieblingssohn immer bevorzugt. Selbst nachdem er verschollen war, hatte sie vergeblich versucht, Christian als neuen CEO zu verhindern. Bei der anschließenden Trauerfeier hat sie sich sogar zu der Bemerkung hinreißen lassen, der „falsche Sohn“ wäre gestorben. Das spricht Bände. Die Mutter war sicher eine tüchtige Geschäftsfrau; aber Kinder brauchen auch Liebe.
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Inzwischen kontrolliert aber Christian Haub mit einer Zweidrittel-Mehrheit die Tengelmann-Gruppe.
Binz: Ja, er war und ist ja auch mit Abstand das beste Pferd im Stall. Christian Haub ist ein hochintellektueller Mensch, der zu fein und zu klug war, mit Charlie einen Machtkampf auszutragen. Deshalb ist er schon früh in die USA ausgewandert, um dort sein Glück zu finden. Christian Haub ist bodenständig und lebt sparsam. Sein einziger Luxus ist der Privatjet, den er von Charlie übernommen hat und den er geschickt einzusetzen weiß, um sein Tengelmann-Reich bereisen und überwachen zu können.
Herr Binz, Sie haben vor Kurzem mit den Anwälten von Georg ausgehandelt, dass Christian Haub spätestens in drei Jahren auch dessen Firmenanteile übernehmen kann. Damit wäre er zusammen mit seinen vier Kindern Alleineigentümer eines der größten deutschen Familienunternehmen. Ist es denn richtig, alle Macht in eine Hand zu legen?
Binz: Wenn jemand geniale unternehmerische Fähigkeiten und edlen Charakter besitzt, dann ist es durchaus richtig, wenn er alleiniger Eigentümer-Unternehmer ist und seine Ideen verwirklichen kann. Bei Elon Musk wäre ich mir da nicht so sicher. Aber bei Marc Fielmann und Christian Haub habe ich keinerlei Zweifel. Auch bei anderen Familienunternehmen wie Würth, Miele, Trumpf und Festo kann man nur den Hut ziehen. Dort ist Streit ein Fremdwort. Das Familienunternehmen ist aus meiner Sicht ganz generell die Idealform unternehmerischen Handels. Wo Licht ist, ist freilich auch Schatten. Im klassischen Bermudadreieck von Macht, Liebe und Geld gibt es immer wieder schwarze Schafe.
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Sie sind Aufsichtsratsvorsitzender bei der Optiker-Kette Fielmann. Hat es sich bewährt, Marc Fielmann die alleinige Verantwortung zu übertragen?
Binz: Das Familienunternehmen Fielmann, das wir vor fast 30 Jahren an die Börse brachten, ist ein Paradebeispiel. Ohne den genialen Sohn Marc, den wir im Aufsichtsrat mit 26 Jahren zum jüngsten Vorstand und mit 31 zum jüngsten CEO einer börsennotierten AG einstimmig ernannten, hätte die Nachfolge niemals so perfekt geklappt. Gegenbeispiel ist Darboven, wo wir für den Vater die Schenkung widerriefen, nachdem der Sohn ihn öffentlich lächerlich gemacht hatte. Oder an die Fälle des Zeitungsverlegers Neven DuMont und Heinz-Hermann Thiele von Knorr-Bremse, die sich in ihren letzten Lebensjahren mit ihren designierten Nachfolgern überwarfen. Das sind tragische Fälle eines gescheiterten Generationswechsels.
Aber auch bei Aldi Nord, Peek Cloppenburg, Oetker, Bahlsen oder Faber Castell trugen die sonst so verschwiegenen Familien ihre Konflikte sogar öffentlich aus.
Binz: Jeder Fall liegt anders. Oft werden schwerwiegende Fehler gemacht. Bei Oetker gab es acht Kinder aus drei Ehen und kein Testament. Bei Faber-Castell kämpften die Erben jahrelang um die dem tüchtigsten Kind versprochene „goldene Aktie“, die ich dem Grafen vor seinem Tod nicht mehr ausreden konnte. Bei Oetker, Bahlsen und Voith führte jeweils eine Realteilung zum Ziel.
Sind Ihre Schlichtungsbemühungen auch schon mal gescheitert?
Binz: Europas größter Schlachtbetrieb Tönnies ist der einzige Fall, den ich nicht lösen konnte. Ich hatte damals Robert Tönnies und seinen Bruder Clemens gegen seinen Onkel Clemens vertreten, der damals Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04 war, beste Kontakte zum Kreml hatte und ein echtes Schwergewicht darstellte. Dieser hatte hinter dem Rücken seiner beiden Neffen, die ihm durch Schenkung eines Zehn-Prozent-Pakets erst zur Parität verholfen hatten, mithilfe von Strohleuten ein Schattenreich aus Wurstfirmen aufgebaut. Insgesamt hatten wir mehr als 30 Gründe zum Widerruf dieser Schenkung wegen groben Undankes in Händen.
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Was ist daraus geworden?
Binz: Leider spielte das Landgericht Bielefeld nicht mit, indem es uns nur zwei Termine im Jahr gewährte, sodass die Zeugenvernehmungen selbst nach mehreren Jahren immer noch in den Anfängen steckten. Mein Mandant Robert Tönnies sah dann sein Heil in einer Einigung, die aber nur wenige Monate Bestand hatte. Eine Verzweiflungstat!
Welche Lehre zogen Sie aus den Erfahrungen bei Tönnies?
Binz: Im Fall Tönnies musste ich leidvoll erfahren, dass Recht haben und Recht bekommen zwei völlig verschiedene Dinge sind. In diesen Fällen gewinnt leider oft der Stärkere, sofern man kein Schiedsgericht vereinbaren kann. In unserem Fall hatte die Gegenseite ganz bewusst eine Schiedsabrede abgelehnt, offenbar, weil sie wohl drauf spekulierte, auf diese Weise Ersatz zu finden.
>>> Zur Person
Mark Binz wurde 1949 in Wiesbaden geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre in Berlin, Hamburg, Genf und Köln. Nach Stationen als Partner in unterschiedlichen Kanzleien gründete der Jurist 1987 Binz & Partner in Stuttgart.
Binz gehörte zu den Initiatoren des Mannesmann-Prozesses vor dem Landgericht Düsseldorf, in dem von 2004 bis 2006 Prämienzahlungen an Manager verhandelt wurden, die im Zusammenhang mit der feindlichen Übernahme durch Vodafone gezahlt wurden.
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