Berlin. Erst in einigen Wochen wird die EU wohl eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Milliarden-Hilfen des Bundes für Opel entscheiden. Belgische Politiker erhöhen den Druck auf die EU-Kommission. Laut Regierungssprecher Wilhelm fließen maximal 170 statt 600 Millionen Euro gen Russland.
Die Zitterpartie für die Opel-Beschäftigten geht weiter. Eine Entscheidung über die Zulässigkeit der von der Bundesregierung angekündigten Milliarden-Hilfen für den Autobauer werde vermutlich erst in einigen Wochen fallen, erklärte am Montag ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Die Kommission benötige von der Bundesregierung nähere Informationen über deren Absprachen mit dem Investor Magna, diese Details seien aber erst «in den nächsten Wochen» zu erwarten.
Belgische Politiker erhöhten unterdessen den Druck auf die Kommission, die deutschen Beihilfen genau unter die Lupe zu nehmen. Hintergrund sind die Pläne des künftigen Mehrheitseigners Magna, das Opel-Werk in Antwerpen zu schließen. «Die EU-Institutionen müssen mit Adleraugen verfolgen, was in Deutschland passiert», sagte der belgische Außenminister Yves Leterme in einem Fernseh-Interview. Der Ministerpräsident der betroffenen Region Flandern, Kris Peeters, erklärte nach einem Treffen mit EU-Industriekommissar Günter Verheugen: «Wir sind überzeugt, dass Antwerpen bei einer wirtschaftlichen Analyse der Situation besser abschneidet als bestimmte Werke in Deutschland.»
Warnung vor politischen Standort-Entscheidungen
Die EU-Kommission wollte sich zu dieser Frage nicht äußern. «Die Kommission verfügt über keine Vergleichszahlen bezüglich der Rentabilität der Werke in Antwerpen und Deutschland», sagte der Sprecher von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, Jonathan Todd. Die Kommission werde aber strengstens darauf achten, dass über den Erhalt und die Schließung von Standorten nach rein wirtschaftlichen Kriterien entschieden werde.
Vor der Auszahlung der Beihilfen an Magna müsse die Bundesregierung in jedem Fall die Entscheidung der EU-Kommission abwarten, erklärte Todd. Falls Berlin die 4,5 Milliarden Euro im Rahmen eines der von der Kommission bereits gebilligten Konjunkturprogramme ausgeben wolle, sei zwar keine formale Genehmigung erforderlich. Die Kommission würde sich dann aber trotzdem anschauen, ob die für die Inanspruchnahme der Konjunkturhilfen vereinbarten Bedingungen erfüllt seien.
Europäisches Treffen mit Belgiern am Dienstag
Belgien ist zu dem für Dienstag geplanten europäischen Treffen zu Opel nach Darstellung der Bundesregierung eingeladen. «Die Belgier waren eingeladen, die ganze Zeit», sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums am Montag vor Journalisten in Berlin. Dies gelte auch für die flämische Regierung, in deren Region das Opel-Werk Antwerpen voraussichtlich geschlossen werden soll. Belgien hatte zuvor protestiert, es sei zum Treffen der europäischen Staaten mit General-Motors-Standorten nicht eingeladen worden.
Die Staaten wollen bei dem Gespräch am Dienstag beraten, wie die dem Opel-Käufer Magna in Aussicht gestellten Staatshilfen über 4,5 Milliarden Euro aufgeteilt werden sollen. In Deutschland befinden sich die meisten GM-Standorte mit den meisten Beschäftigten. Die Bundesregierung hatte sich für Magna als Bieter für Opel stark gemacht, da der österreichisch-kanadische Autozulieferer in Deutschland weniger Stellen abbauen wollte als sein Konkurrent RHJI. In Europa insgesamt will Magna allerdings mehr Stellen streichen. Das deutsche Vorgehen hatte daher für Verstimmung bei europäischen Partnerländern geführt.
Bund rechnet mit Einverständnis der EU für Opel-Hilfen
Die Bundesregierung rechnet derweil mit einer Billigung der geplanten Staatshilfen Deutschlands durch die EU-Kommission. «Wir gehen davon aus, dass die Kommission das prüfen wird, aber dass das Konzept dargelegt werden kann, und die Prüfung dann erfolgreich abgeschlossen wird», sagte die Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums, Beatrix Brodkorb, am Montag in Berlin. Die Gespräche mit der EU liefen.
Mit Blick auf die Standortdiskussion sagte sie darüber hinaus, dass der Erhalt der vier deutschen Werke «von Deutschland aus keine Bedingung für eine Finanzierung» sei. Das wäre EU-rechtlich nicht möglich. Es sei keine Entscheidung der deutschen Regierung, die Standorte in Deutschland zu erhalten, «sondern es ist eine Entscheidung von Magna», sagte Brodkorb
600 statt 170 Millionen Euro sollen gen Russland fließen
Unterdessen sind die im Fall einer Opel-Übernahme durch den österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna nach Russland abfließenden Mittel offenbar geringer als bislang angenommen. Statt der bislang berichteten 600 Millionen Euro gehe es lediglich um 170 Millionen Euro, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Zudem werde über diese Summe auch noch verhandelt. Zuvor hatte der Vertreter der Bundesländer im Opel-Treuhandbeirat, Dirk Pfeil, in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Montagausgabe) erklärt, dass laut Magna-Konzept von den 4,5 Milliarden Euro an staatlichen Hilfen über 600 Millionen Euro zur Modernisierung der russischen Automobilindustrie eingesetzt werden.
In diesem Zusammenhang verwies Brodkorb darauf, dass Investitionen in Russland «immer Bestandteil des Magna-Konzeptes» gewesen seien. Zugleich erinnerte sie an die Empfehlungen des Treuhandbeirates, staatliche Hilfen nicht nach Russland fließen zu lassen. Regierungssprecher Wilhelm sagte weiter, dass Magna von Beginn an neben dem Abbau von europaweit 10 500 Stellen in der Produktion auch auf den Abbau von 1500 Arbeitsplätzen in der Verwaltung hingewiesen habe. Noch sei aber nicht klar, wie diese den einzelnen Standorten zugeordnet würden.
FDP kritisiert finanzielle Unterstützung für Russland
Der befürchtete Abfluss deutscher Opel-Staatshilfen nach Russland ist von der FDP scharf kritisiert worden. Er habe die Bundesregierung bisher so verstanden, dass mit den deutschen Steuermilliarden Opel und die Arbeitsplätze gerettet werden sollen, sagte der Parteivorsitzende Guido Westerwelle am Montag in Berlin. «Dass das eine Art Entwicklungsprogramm für die russische Industrie werden soll, finde ich überraschend.»
«Ich kann überhaupt nichts davon halten, dass wir mit unseren deutschen Steuermilliarden nicht Arbeitsplätze in Deutschland retten, sondern in Wahrheit Russland technologische Entwicklungshilfe geben», sagte Westerwelle. Er könne darin «keinen Nutzwert für unser Land» erkennen.
«Das passt überhaupt nicht zusammen. Ich bin auch sehr überrascht, was jetzt alles nach und nach herauskommt an Nebenabreden», sagte Westerwelle. «Man sieht doch jetzt eindeutig: Bei Opel ist ein Feuerwerk gezündet worden auf Kosten der Steuerzahler vor der Bundestagswahl», kritisierte er. Jeder spüre, dass nach der Bundestagswahl kein einziger Opel-Arbeitsplatz sicherer sei.
"Wir werden uns alles neu ansehen"
«Es war ein Fehler, dass sich die Regierung so einseitig auf einen Investor konzentriert hat, dass sie sich so einseitig an einen Investor gefesselt hat. Das wird den Steuerzahler noch teuer zu stehen kommen», sagte Westerwelle. «Wir werden uns alles neu ansehen, wenn wir Regierungsverantwortung bekommen», sagte Westerwelle. Er könne aber jetzt nicht sagen, dass die FDP die Angelegenheit im Falle einer Regierungsbeteiligung noch mal aufrollen werde. Die FDP wisse nicht, welche Verträge geschlossen worden seien, ob es vorvertragliche Abreden gebe. Es sei deshalb fraglich, ob es rein juristisch überhaupt noch möglich sei, Einfluss zu nehmen.
«Wenn vertragliche Vereinbarungen geschlossen worden sind, dann gelten die für jede Regierung gleich», sagte Westerwelle. Das sei ein Frage der Rechtssicherheit und der Vertragstreue. «Aber wir können es nicht beurteilen.»
Stiegler (SPD) hält höheren Arbeitsplatzabbau für unumgänglich
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler, hält einen Arbeitsplatzabbau an deutschen Opel-Standorten über die bisher genannten 3000 Stellen hinaus für unumgänglich. Es gehe darum, nachhaltig Arbeitsplätze zu sichern, sagte Stiegler dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Montagausgabe). Dies sei jedoch nur möglich, wenn die deutschen Werke profitabel arbeiteten, auch wenn damit weitere Entlassungen verknüpft seien. Am Wochenende war bekanntgeworden, dass das Magna-Konsortium in den deutschen Opel-Werken insgesamt 4500 Stellen einsparen will, weil es auch zu Stellenstreichungen in der Verwaltung kommen soll.
Ohne ein langfristig tragfähiges Sanierungskonzept sei «nicht nur ein Teil der Arbeitsplätze weg, sondern irgendwann alle», sagte Stiegler weiter. Der SPD-Politiker äußerte die Erwartung, dass «auch die IG-Metall und der Opel-Gesamtbetriebsrat dies akzeptieren werden, selbst wenn sie das jetzt noch rhetorisch anders akzentuieren».
Opel beschäftigt derzeit im hessischen Rüsselsheim sowie in Bochum, im thüringischen Eisenach und im rheinland-pfälzischen Kaiserslautern 25 000 Mitarbeiter, 5000 davon in Bochum.