Essen. Arcandor-Vorstand Stefan Herzberg wirbt für staatliche Bürgschaften zur Rettung des Kaufhauskonzerns. Für die nötige Finanzierung des Traditionsunternehmen mit seinen 32 500 Beschäftigten bleibe nur noch ein Monat Zeit, sagte der Karstadt-Chef im WAZ-Interview.

Sie haben angekündigt, mit Karstadt die „profilierte Mitte” der Gesellschaft erreichen zu wollen. Was meinen Sie damit?

Herzberg: Unser Geschäftsmodell ist ein Stück gute Bundesrepublik. Bis zu 1,5 Millionen Kunden besuchen täglich unsere Warenhäuser. Wir sind in der Mitte der Stadt und gehören seit 1881 zur Mitte der Gesellschaft. Wir sind ein Teil von Deutschland. Daran richten wir auch unsere Warensortimente aus.

Gilt das Konzept „Alles unter einem Dach” noch?

Herzberg: Karstadt ist und bleibt ein Warenhaus, aber alles geht nicht. Wir bieten eine zielgruppenrelevante Vorauswahl an. Ein Beispiel: Wir wollen künftig stärker auf Mode setzen und den Anteil des Fashion-Bereichs im Sortiment von 38 auf 47 Prozent ausbauen. Wir richten unseren Fokus dabei auf die Kunden zwischen 35 bis 65 Jahren, denen ein gutes Preis-Leistungsverhältnis wichtig ist. Künftig wird es auch mehr Sportartikel bei uns geben, dafür gewichten wir die Multimedia-Sortimente um. Wir erwägen zudem, externe Dienstleister in unsere Kaufhäuser zu holen. So kann ich mir zum Beispiel Arztpraxen und Kinderhorte in unseren Filialen vorstellen, um unseren Kunden mehr Service zu bieten.

Sie wollen sich möglicherweise von ihren Vorzeigehäusern KaDeWe, Alsterhaus und Oberpollinger trennen. Hat Luxus bei Karstadt keinen Platz mehr?

Herzberg: Die Premiumhäuser sind die Perlen von Karstadt. Die Entwicklungsperspektive von Luxus-Warenhäusern ist in Deutschland beschränkt. Aus diesem Grund sind wir aufgeschlossen auch für internationale Anbieter, die diese Häuser in ihr Filialnetz integrieren möchten.

Gibt es Interessenten?

Herzberg: Es haben sich bei uns Interessenten aus dem In- und Ausland gemeldet. Wir hören uns das gerne an.

Wollen Sie das Tafelsilber von Karstadt verscherbeln?

Herzberg: Wir wollen die Premiumhäuser auf keinen Fall verscherbeln, sondern in erster Linie in gute Hände geben. Wir haben viel in diesen Häusern investiert, und sie behaupten sich sehr gut am lokalen Markt.

Sie haben auch neun weniger profitable Warenhäuser aus dem Konzern in eine „Entwicklungsgesellschaft” ausgegliedert. Wäre nicht der Begriff „Abwicklungsgesellschaft” passender?

Herzberg: Von Abwicklungsgesellschaft kann keine Rede sein. Wir lassen unsere Entwicklungsfilialen nicht alleine. Es gibt in diesen Häusern auch keinen Investitionsstopp. Durch harte Arbeit wollen wir Stück für Stück besser werden. Wir wollen in allen unseren Warenhäusern eine Rendite von sechs Prozent vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen erzielen.

Was wollen Sie – auch mit Blick auf die 81 Karstadt-Filialen, die noch zum Kerngeschäft zählen – anders machen?

Herzberg: Wir brauchen keine Revolution, sondern eine Evolution. Seit im August das neue Management-Team die Arbeit aufgenommen hat, haben sich unsere Profitabilität und wichtige Kennzahlen deutlich verbessert. So haben wir beispielsweise überbordende Rabattaktionen zurückgefahren und damit im ersten Quartal unser Ergebnis gegenüber dem Vorjahr verbessert. Im bereinigten Umsatz liegen wir fast auf Vorjahresniveau. Das heißt, dass unser Geschäftsmodell trotz härtestem Wettbewerb funktioniert – gerade jetzt.

Müssen sich die Beschäftigten bei der Karstadt-Sanierung auf weitere Einschnitte einstellen?

Herzberg: Ich möchte unseren Betriebsräten, Verdi und der gesamten Belegschaft ein großes Kompliment machen. Gerade in der Krise krempeln wir die Ärmel hoch und arbeiten im besten Sinne der sozialen Marktwirtschaft nach dem „Wir-Prinzip” zusammen. Um Karstadt zu helfen, verzichten die Beschäftigten und das Management auf 77 Millionen Euro jährlich – und das insgesamt drei Jahre lang. Die Belegschaft zieht mit, um ihrem Unternehmen zu helfen.

Sind Kürzungen weitere Kürzungen denkbar – über den noch zweieinhalb Jahre laufenden Sanierungstarifvertrag hinaus?

Herzberg: Das ist ein gesetzter Vertrag. Wir verhalten uns im Verhältnis zu unseren Mitarbeitern wie ehrbare Kaufleute.

Was meinen Sie damit?

Herzberg: Engagement, persönliche Glaubwürdigkeit, Fleiß und intensive Kommunikation sind gerade jetzt wichtig und gehören zu unserem Bild eines ehrbaren Kaufmanns. Um zu sehen, was wir gemeinsam besser machen können, besuchen meine Kollegen und ich regelmäßig unangekündigt unsere Filialen und sind dann mehrere Stunden vor Ort. Ich bringe bei diesen Besuchen viel Zeit zum Zuhören mit und suche das Gespräch mit Filialgeschäftsführern, Mitarbeitern und Kunden. Wer mich mit dem Handy auf der Verkaufsfläche erwischt, bekommt zehn Euro.

Sind Sie mit dem Service bei Karstadt zufrieden?

Herzberg: Unsere Beschäftigten fühlen sich eng mit unserem Unternehmen verbunden. Bei uns liegt die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit bei 16 Jahren. Natürlich kommt es vor, dass eine Verkäuferin auch mal einen schlechten Tag hat, das passiert auch mir mal. Aber das ist doch die große Ausnahme. Wenn es einmal ein Problem gibt, zeigt sich die emotionale Verbundenheit mit Karstadt auch bei unseren Kunden. Man ärgert sich ja nur über das, was einem nah ist.

Können Sie sich Deutschland ohne Karstadt vorstellen?

Herzberg: Nein! Wir sind das Herz der Innenstadt. Allein in 36 Städten sind wir das einzige Warenhaus. Ohne uns würden viele Einkaufsstraßen ihren Mittelpunkt verlieren. Karstadt und die Art und Weise, wie Belegschaft und Management gerade jetzt in der Krise eng zusammen arbeiten, ist ein gutes Stück soziale Marktwirtschaft. Darauf sind wir stolz, genau wie auf die 614 Mitarbeiter, die seit mehr als 40 Jahren bei uns sind. Wir sind deshalb ein wichtiger Teil Deutschlands. In den 60 Jahren Bundesrepublik hat es auch nicht immer einfache Zeiten gegeben. Jetzt müssen wir aber alle um unser Unternehmen kämpfen, um den guten Weg, auf dem wir bei Karstadt sind, fortsetzen zu können.

Wird Karstadt auf staatliche Hilfe angewiesen sein?

Herzberg: Darüber führen wir derzeit Gespräche in Brüssel, Berlin und Düsseldorf. Denkbar wären zum Beispiel staatliche Bürgschaften. Wir wollen nichts geschenkt haben. Jeden Cent zahlen wir zurück.

Bis wann benötigen Sie eine Entscheidung?

Herzberg: Bis spätestens zum 12. Juni muss das Finanzierungskonzept stehen.

Warum sollte der Steuerzahler Karstadt retten?

Herzberg: Wir sind keine Hypo Real Estate, aber Karstadt hat eine unglaublich wichtige Funktion in den deutschen Innenstädten. Wenn eine Karstadt-Filiale aus einer Stadt verschwinden würde, gäbe es bei den Menschen ein echtes emotionales Vermissenserlebnis mit gravierenden Konsequenzen auch für den benachbarten Handel. Und noch mal – unser Geschäftsmodell funktioniert. Alle wichtigen Kennzahlen sind verbessert und bis zu 1,5 Millionen Kunden pro Tag sprechen eine deutliche Sprache.

Sind Sie mit dem Start des größten innerstädtischen Einkaufszentrums am Limbecker Platz in Essen zufrieden?

Herzberg: Der Limbecker Platz läuft momentan noch unter unseren Erwartungen. Aber wir gehen davon aus, dass sich dies ändern wird, wenn im Herbst der zweite Bauabschnitt fertig ist.

Wann kommt die Deutsche Warenhaus AG, die viel diskutierte Fusion von Kaufhof und Karstadt?

Herzberg: Es finden zurzeit keine konkreten Gespräche zwischen Karstadt und Kaufhof statt. Wir arbeiten an unseer eigenen Zukunft.

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