München.. Im Münchner NSU-Prozess wurde am Dienstag deutlich, dass die Rechts-Terrorgruppe NSU ihre Opfer sorgfältig ausgewählte. Gefunden worden waren die Unterlagen am letzten Wohnort des Terror-Trios. Zu insgesamt fast 270 Zielen gab es Dossiers zur Anschlags-Vorbereitung.
„Sehr gutes Objekt.
Guter Sichtschutz. Personen gut, aber alt (über 60)“. Diese perfiden Anmerkungen
zu einem türkischen Laden in Dortmund Rahn fanden Ermittler auf einen
Adress-Ausdruck im Brandschutt des letzten mutmaßlichen NSU-Quartiers in
Zwickau. Ein 32-jähriger Beamter des Bundeskriminalamtes (BKA) hatte diese und
weitere Asservate im Vorjahr ausgewertet und war nach seinen Angaben immer
wieder auf solche „Ausspähnotizen“ getroffen.
Zu einem „Bürgerbüro der SPD“
in Dortmund fand sich beispielsweise der Eintrag: „Keine besonders gute Lage,
nur bei schlechtem Wetter ein Gedanke wert . . .“. Ein türkisches Café in einer
Nürnberger Straße wurde mit einer Straße in Köln verglichen. Der Ermittler
verwies auf den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße vom Juni 2004, an
den ihn dieser Anmerkung erinnert hatte. Durch die Explosion waren mehr als 20
Menschen teils schwer verletzt worden. Zu einem Nürnberger Asylbewerberheim soll
notiert worden sein, dass es einen ungehinderten Zugang durch den Keller gebe.
14 Stadtpläne mit Eintragungen zu NSU-Zielen
Allein zu den Städten Dortmund,
Kassel, Nürnberg und München seien im Brandschutt Listen mit insgesamt 267
Adressen von Einrichtungen und Institutionen sichergestellt worden. Diese hätten
Parteien ebenso enthalten, wie muslimische Einrichtungen,
Asylbewerberunterkünfte oder Beratungsstellen für Ausländer oder Kindergärten,
erklärte der Zeuge gestern beim NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in
München. Die Ermittler hatten diese Listen auf einer DVD und auf einem
Speicher-Stick sichergestellt. Insgesamt sollen diese Listen rund 10.000
Einträge enthalten haben.
Zudem wurden Stadtpläne von 14
deutsche Städte geborgen worden. Auf den Plänen oder Kartenausrucken für
Dortmund, Nürnberg, Kassel und München hätten sich auch Eintragungen befunden,
die zu den Morden passen würden, die der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)
begangen haben soll, erklärte der Zeuge. Teile der handschriftlichen
Markierungen auf den Karten konnten Kriminaltechniker Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt zugordnen.
Mundlos und Böhnhardt gelten
als zwei der Mitlieder der NSU-Terrorzelle. Die Bundesanwaltschaft wirft Beate
Zschäpe, der Hauptangeklagten im Münchner Prozess vor, dass sie ebenfalls
Mitglied dieser Terroristischen Vereinigung und an insgesamt zehn Morden
beteiligt gewesen sein soll.
Sollte das Feuer am 4. November
2011 in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 das Ziel gehabt haben, Beweise zu
vernichten, so ist das nur teilweise gelungen. Die Ermittler konnten mit teils
großem Aufwand hunderte Fundstücke sichern und sind noch immer mit der
Auswertung beschäftigt. Fast wöchentlich erhalten die Prozessbeteiligten neue
Untersuchungsergebnisse zu sichergestellten Asservaten.
Ton im Gericht ist rauer geworden
Seit der Vorwoche ist der Ton
im Gerichtssaal wieder deutlich rauer geworden. Inzwischen geht es bei vielen
der Zeugenaussagen um Details, die für einen Tatnachweis entscheidend sein
könnten. Vor allem die Verteidiger von Beate Zschäpe beanstanden inzwischen
immer wieder Zeugen-Befragungen durch den Vorsitzenden Richters Manfred Götzl.
Dieser wiederum reagiert ungehalten auf derartige Unterbrechungen. Zugleich
folgt er aber in Einzelfällen der Kritik der Verteidigung.
Unterschiedliche Bewertungen
gab es gestern auch zu den Erklärungen des Angeklagten Carsten S. in der
Vorwoche. Seine Aussage „erlaube eine Verurteilung von Ralf Wohlleben nicht“,
betonte dessen Anwältin Nicole Schneiders. Sie sprach von „Pseudoerinnerungen“
und dass der Angeklagte S. immer mehr wisse, je öfter er befragt werde. Zudem
warf sie S. vor, sich als Mitläufer der rechtsextremen Szene in Jena
kleinzureden, dabei habe er damals auch Funktionen gehabt. Johannes Pausch, der
der Verteidiger von Carsten S. sah in den Angaben seines Mandanten ein ganz
normales Aussageverhalten nach 13 Jahren.
Carsten S. hatte mit einer
Aussage noch einmal Ralf Wohlleben als denjenigen Beschuldigt, von dem er den
Auftrag erhalten habe, für Böhnhardt und Mundlos eine Pistole zu besorgen. Mit
seinen Angaben hat er nicht nur Wohlleben beschuldigt, sondern auch sich selber.
Am Nachmittag musste ein
Münchner Ermittler, der den Mord an Theodoros Boulgarides am 15. Juni 2015
bearbeitet hatte, einräumen, dass der Bruder des Opfers vier Wochen von der
Polizei observiert wurde, ohne dass kriminelle Aktivitäten bekannt wurden.
Außerdem soll die Polizei gegen die Witwe des Opfers, einen griechischen
Betreiber eines Schlüsseldienstes, verdeckte Ermittler eingesetzt haben. Der
Münchner Kriminalist musste zudem auf Nachfrage des Nebenklageanwalts Yavuz
Narin eingestehen, dass er die Neonaziszene in München nicht wirklich gekannt
habe. Aus Sicht des Beamten hätten damals bei den Ermittlungen Hinweise auf die
rechtsextreme Szene zu keinen Ergebnissen geführt. Der Zeuge konnte sich gestern
erst auf intensive Nachfrage überhaupt an derartige Hinweise erinnern.
Zum Ende der Verhandlung teilte
Richter Götzl noch mit, dass in den nächsten beiden Tagen von drei aus der
Schweiz geladenen Zeugen zum Weg der mutmaßlichen Tatwaffe bei den neun
fremdenfeindlichen Morden, , einer Pistole der Marke „Ceska 83“, nur einer mit
Sicherheit vor Gericht erscheinen wird.