München. Eine ehemalige Nachbarin der im NSU-Prozess angeklagten Beate Zschäpe und ihr Sohn sind vor dem Münchner Oberlandesgericht befragt worden. Beide ließen nichts auf die Frau kommen, die an 10 Morden beteiligt gewesen sein soll. Sie kannten Zschäpe nur unter dem Namen “Lisa“.

Heike K. steht am Mittag kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Seit knapp zwei Stunden wird die 46-jährige Arbeitslose aus Zwickau als Zeugin vernommen. Immer neue Fragen prasseln auf die Frau vor dem Oberlandesgericht beim NSU-Prozess in München ein. Sie sitzt im Gericht einer ihrer engsten Freundinnen und Vertrauten gegenüber, der Hauptangeklagten Beate Zschäpe.

„Ich wusste, dass sie eine ganz normale Hausfrau war und mehr nicht“, erzählt sie dem Gericht mit leicht sächsischem Dialekt. Und dass Zschäpe nicht arbeiten war. Später erklärt sie, dass sie Zschäpe als Susann Dienelt kannte. Diese hätte vom Geld ihres Lebenspartners gelebt. Das war offensichtlich Uwe Mundlos. Diesen identifiziert die Zeugin beim Ansehen von Fotos als solchen. Den zweiten Uwe, also Böhnhardt, haben sie nur selten gesehen.

Spitzname: "Lisa"

Die Namen der beiden Männer und der richtige Namen von Beate Zschäpe seien ihr aber erst nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen die Drei bekannt geworden. Je intensiver nachgefragt wurde, desto mehr Detail erzählt die Zeugin. So soll Zschäpe ihr einmal gesagt haben, dass sie auch noch nach 19 Jahre Ehe Sex mit ihrem Partner habe. Die Zeugin betont allerdings mehrmals, nicht danach gefragt, sondern sich mit ihrer Bekannten über ihre eigenen Eheprobleme unterhalten zu haben.

Immer wieder beharrt die 46-Jährige darauf, dass sie Zschäpe nie nach persönlichen Dingen gefragt habe. Sie sei auch nie in ihrer Wohnung gewesen. Sie habe Zschäpe, welche den Spitznamen „Lisa“ trug, nie nach ihrer Mutter gefragt, nie nach ihrem Verhältnis zu den beiden jungen Männern und nach Lisas Umzug auch nicht nach ihrer neuen Wohnadresse in Zwickau. Mehrere Nebenkläger zweifelten das an, auch weil sich Heike K. und Zschäpe trotz des Umzugs weiter regelmäßig trafen.

Frage nach Susann E.

Erstmals heizte sich die Stimmung im Gericht auf, als Nebenklageanwalt Eberhardt Reinecke die Zeugin nach Susann E., der Ehefrau des in diesem Prozess Mitangeklagten André E., fragt. Die Zeugin hatte mehrfach erklärt, sie nicht zu kennen. Als der Anwalt Heike K. auf die Möglichkeit einer Falschaussage hinweist, meldete sich Richter Manfred Götzl zu Wort. Er legte Wert darauf, dass er die Verhandlungsführung hat.

Die Sitzung wird für etwa 20 Minuten unterbrochen. Weitere Nachfragen der Nebenklage fördern zutage, dass die Zeugin Susann E. offenbar doch einmal gesehen hat. Damals habe sie aber nicht gewusst, dass diese Frau Susann E. gewesen sei, erklärt die Zeugin. Gül Pinar, eine weitere Nebenklageanwältin, hakte nach, bis die Zeugin einräumt, die Frau nicht nur an ihren schwarzen langen Haaren erkannt zu haben, sondern auch an einem Lippen-Piercing.

"Meine Tochter wurde sexuell missbraucht"

„Das haben sie von ihrem Küchenfenster aus gesehen“, fragte die Anwältin und ließ ihren Zweifel daran deutlich durchblicken, dass die Zeugin Susann E. nur dieses eine Mal gesehen hat. An diesem Punkt der Zeugenbefragung zeigt die 46-Jährige Nerven. Sie erklärt, dass sie derzeit „anderes im Kopf“ habe. „Was denn“, will die Anwältin wissen und aus der Zeugin bricht es unter Tränen heraus: „Vor kurzem ist mein Vati gestorben, meine Tochter wurde sexuell missbraucht.“ Jetzt sei Schluss. Sie interessiere sich für das alles nicht mehr.

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„Immerhin geht es hier um zehn Tote“, lässt Gül Pinar nicht locker und schiebt als Frage nach, ob die Zeugin für einen Fernsehbeitrag, der in ihrer Wohnung gedreht wurde, Geld erhalten habe. „Muss ich die Frage beantworten?“ Die Verteidigung von Beate Zschäpe versucht das Gericht auf den Zustand der Zeugin hinzuweisen und darauf, dass sich die Frage stelle, ob diese noch vernehmungsfähig sei.

250 Euro für Fernsehbeitrag

Richter Götzl lässt die Frage aber zu und Heike K. räumt ein, 250 Euro erhalten zu haben. Davon hätte sie Lebensmittel gekauft. Und sie erzählt dem Gericht, dass auch Susann Dienelt, also Beate Zschäpe, öfter mit ihr einkaufen war. „Brot, Nudeln, Wurst, also Lebensmittel.“ Die Frau aus Zwickau lässt nichts auf die Hauptangeklagte kommen. Sie habe ihr geholfen. Die arbeitslose Mutter hatte kaum Geld.

Beate Zschäpe blickt während der Aussage auf ihren Laptop, sieht die Zeugin aber auch direkt an. Manchmal spielt sie mit ihrer Halskette. Der Gesichtsausdruck der Angeklagten ist aber die ganze Zeit über angespannt. Für die Zeugin muss eine Welt zusammengebrochen sein, als am 4. November 2011 in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 die Wohnung von Beate Zschäpe explodiert war.

"Lisa" zum Abschied gedrückt

Sie erzählt dem Gericht, dass „Lisa“ noch drei Tage vor diesem Freitag bei ihr gewesen sei. Da wäre sie anders gewesen, so als ob sie etwas sagen wollte und es dann doch nicht erzählt habe. Lisa hätte sie zum Abschied lange drückt. Das habe sie so noch nie gemacht.

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Die Zeugin widerspricht vehement, dass ihr Sohn Patrick in der rechten Szene sei oder Kontakte dahin habe. Ein weiterer Nebenklageanwalt hält ihr eine Aussage eines unkenntlich gemachten Mannes aus dem Fernsehbeitrag vor: „Herrgott alter, zehn Morde. Das ist für mich nichts. Die Leute sollen aufhören so einen Scheiß zu labern. Ich kenne diese Frau. Das tut weh. Vielleicht war sie einfach nur dabei.“

Die 46-Jährige räumt ein, dass ihr Sohn das gesagt habe. Patrick K. erklärt am Nachmittag dem Gericht, dass er das nicht ganz so gesagt habe. Er wollte nur deutlich machen, dass er nicht glaubt, dass Lisa das getan habe. Sie hätte ein Herz gehabt. Zschäpe ist unter anderem wegen Mittäterschaft bei zehn Morden und der Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Der 22-Jährige sitzt mit Glatze, grauem Pullover, Jeans und schwarzen schweren Schuhen auf dem Zeugenstuhl.

Gespräch mit Zschäpe über Rechtsextremismus

Auf Nachfrage erzählt er eine Episode, in der er mit Lisa, also Beate Zschäpe, über Rechtsextremismus geredet habe. Sie soll ihm damals geraten haben, langsam zu machen. Sie habe schon einmal deshalb „fast mit einem Bein im Knast gestanden“. Ob er nachgefragt habe warum? „Nein“, erklärte der Zeuge. Wie schon seine Mutter vermittelte er den Eindruck, dass ihn eigentlich das Leben von Zschäpe nicht interessiert habe. Mehrfach konnte er sich an Episoden nicht erinnern und erklärte das Gegenteil von dem, was er vor zwei Jahren der Polizei erzählt hatte.

So ging es um eine mögliche Schlägerei mit einem „Typen“ in Zwickau. Götzl will wissen, was „Lisa“ ihm dazu gesagt haben. Patrick K. meint, sie habe ihm zur Zurückhaltung gemahnt. Bei der Polizei hatte der 22-Jährige allerdings gesagt, dass Zschäpe ihm damals gesagt habe, dass er sich nichts gefallen lassen soll. Sie würde auch austeilen - genau das Gegenteil seiner gestrigen Aussage.

Bundesanwalt mahnt den Zeugen, die Wahrheit zu sagen

Jochen Weingarten von der Bundesanwaltschaft mahnt den Zeugen, die vollständige Wahrheit zu sagen. Er habe den Eindruck, dass dieser das nicht mache und fragt, ob es Gründe dafür gebe. Patrick K. erwidert, dass er sich nicht mehr an alles erinnern könne.

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Er bestätigt mehrmals die enge Freundschaft: „Meine Mutter und Frau Zschäpe, die waren unzertrennlich.“ Seine Mutti sei deprimiert gewesen, als die „Lisa“ 2008 aus dem Haus in der Zwickauer Polenzstraße ausgezogen sei. Das Trio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos war in die Frühlingsstraße umgezogen.

Empfindlich reagiert der Zeuge auf Vorwürfe, der rechten Szene anzugehören. Er weist das und eine Ausländerfeindlichkeit zurück. Stellt aber zugleich klar, dass er nur etwas gegen die Ausländer habe, die nach Deutschland kommen, nicht arbeiten und Geld einsacken würden. Einer der Nebenkläger fragt, was er von Deutschen halte, die Sozialleistungen erhalten. Das sei asozial, erwidert der Zeuge.

Zeuge findet Zahlungen an NSU-Opfer "asozial"

Er bestätigt auf mehrmalige Nachfragen auch, dass Lisa, also Beate Zschäpe die gleiche Ansicht wie er über Ausländer gehabt habe. Ob sie rechtsextrem gewesen sei? Dazu könne er nichts sagen, kommt wieder als Antwort. Er habe sich mit ihr nur einmal über Politik unterhalten. Wie schon seine Mutter erklärt auch Patrick K., dass er nicht verstehe, warum er als Zeuge vor Gericht geladen wurde. Er habe das alles verdrängt.

Immer wieder wird es bei solchen Antworten unruhig auf der Zuschauertribüne. Entsetzen macht sich breit, als Patrick K. dem Nebenklageanwalt Reinecke bestätigt, dass er auch die Entschädigungszahlungen für die NSU-Opfer als asozial kritisiert habe.