München. Die geplatzte Video-Vernehmung einer Zeugin steht beispielhaft für die Probleme des NSU-Prozesses: Es geht nur sehr langsam voran. Die Befragung der 91-jährigen Ex-Nachbarin von Beate Zschäpe ging schief. Hätte die Dame aussagen können, hätte sie Zschäpe möglicherweise in Teilen entlasten können.
Das Gericht hat alles sorgfältig im Saal A 101 vorbereiten lassen. Der große Fernseher ist platziert, die Kamera installiert, das zusätzliche Mikrofon für die Fragesteller angeschlossen. „Dann schalten wir bitte nach Zwickau“, sagt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl.
Auf dem Fernseher und zwei Leinwänden ist zu sehen: der Aufenthaltsraum des Pflegeheims St. Barbara, zwei Frauen an einem Tisch, ein Mann im Hintergrund und eine sehr alte Frau in einem Rollstuhl. Sie wirkt verwirrt.
Es hatte lange Streit darüber gegeben, ob Charlotte E. im Münchner NSU-Prozess aussagen solle – und wie das zu bewerkstelligen sei. Da die Zeugin mit ihren 91 Jahren nicht mehr reisen kann, wurde eine Vernehmung in einem Gerichtssaal in Zwickau erwogen, aber wegen der Hinfälligkeit der Frau wieder verworfen. Schließlich entschied sich das Gericht auf Anraten eines Sachverständigung auf die Anhörung per Video.
Vor allem die Verteidigung von Beate Zschäpe hegt Interesse an der Aussage von Charlotte E., die bis November 2011 eine Nachbarin des Trios war. Sie wohnte in dem Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße, das die Hauptangeklagte am 4. November 2011 in Brand gesetzt haben soll. Verwandte retteten die Frau, die schon damals auf ihren Rollstuhl angewiesen war.
Den Tod der alten Frau billigend in Kauf genommen
Die Generalbundesanwaltschaft wirft Zschäpe neben besonders schwerer Brandstiftung mehrfachen Mordversuch vor, da sie unter anderem den Tod der alten Frau billigend in Kauf genommen habe. Allein schon deshalb droht ihr – unabhängig von der Anklage der Mittäterschaft an den NSU-Verbrechen – eine langjährige Freiheitsstrafe. Die Verteidigung behauptet dagegen, dass Zschäpe vor ihrer Flucht aus dem Haus bei Charlotte E. klingelte, um sie zu warnen. Würde sie diese Aussage vor Gericht wiederholen, könnte der Vorwurf des Mordversuchs wenigstens etwas wackeln.
Es geht also durchaus um etwas an diesem Freitagmorgen. Am Mittwoch hatte es noch mit der Übertragung gehapert, diesmal scheint technisch alles zu funktionieren. Das graue Haar der alten Frau ist säuberlich gekämmt, sie trägt ein lindgrünes Oberteil mit weißen Blumenverzierungen. Die anderen beiden Frauen sind die Nichte von Charlotte E. und die Heimleiterin, der Mann im Hintergrund ist ein Kriminalpolizist von der örtlichen Inspektion.
Die Vorstellung beginnt
Dann beginnt die Vorstellung. Götzl redet langsam, betont jede Silbe, als er die Daten der Zeugin abfragt. „Ihr Nachname ist E.?“ Die Frau reagiert nicht. „Sagen Sie bitte einfach Ja oder Nein.“ Die Frau nickt fast unmerklich. „Ihr Vorname bitte?“ Lange Pause. „Charlotte“, sagt sie mit brüchiger Stimme. „Ihre Anschrift?“ Charlotte E. schaut hilfesuchend zu ihrer Nichte. „Weiß ich die?“ fragt sie.
Der Richter versucht es weiter. „Das hier“, sagt er und lässt von einem Techniker die Kamera durch den Saal schwenken, „sind die Angeklagten, Frau Zschäpe, Herr Wohlleben … Sind sie mit einer dieser Personen verwandt oder verschwägert?“ Keine Reaktion aus Zwickau. Der Kopf der Zeugin sinkt erschöpft nach vorne.
Fortsetzung der angeblichen Vernehmung bringt nichts
Der Richter unterbricht die Verbindung. Plötzlich scheinen sich alle im Saal einig zu sein, dass die Fortsetzung der angeblichen Vernehmung nichts bringt – und dass sie keine besonders gute Idee war. „Für eine Dame dieses Alters ist eine Videovernehmung nicht akzeptabel“, sagt Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl. Der Nebenklagevertreter Eberhard Reinecke spricht gar vom „Ansatz der Körperverletzung“. Dann beginnt ein munterer Streit unter Beteiligung des Vorsitzenden Richters.
Damit steht der letzte Verhandlungstag des Jahres beispielhaft für das entscheidende Problem des größten aktuellen Strafverfahrens in Deutschland: Es kommt nur sehr langsam voran. Nachdem der Prozess nach der doppelt verunglückten Vergabe der Presseplätze im Mai fast einen Monat verspätet begann, wurde er gleich wieder für mehrere Wochen unterbrochen.
Neue Anträge und langatmige Befragungen sorgen für Verzögerungen
Und so ging es weiter. Das gute Dutzend Verteidiger der fünf Angeklagten und vor allem die 60 Anwälte der etwa 80 Nebenkläger sorgten mit immer wieder neuen Anträgen und langatmigen Befragungen für Verzögerungen. Hinzu kamen Angeklagte oder Zeugen, die entweder die Aussage verweigerten oder sich kaum an etwas erinnern konnten.
Immerhin sind nach 71 Verhandlungstagen die Beweise für neun der zehn Morde in den Prozess eingebracht. Auch das sogenannte Umfeld von Beate Zschäpe, die öffentlich kein Wort sagte, wurde ausführlich beleuchtet.
Am 8. Januar wird der Prozess fortgesetzt. Bis Dezember 2014 sind vorerst 120 Verhandlungstage angesetzt.