Tampa. . Der Vizepräsidentschaftskandidat der Republikaner holzt in Tampa gegen Präsident Obama. Dass dabei erstaunlich oft die Wahrheit überstrapaziert wird, ist den begeisterten Delegierten gleichgültig. Und wie das Team Romney/Ryan in vier Jahren zwölf Millionen neue Jobs schaffen will, verriet der 42-Jährige auch nicht.

Den ersten „Pinocchio“ hatte der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat Paul Ryan schon weg, da war sein Vorstellungsgespräch mit dem amerikanischen Volk auf der Bühne des „Tampa Bay Times Forum“ noch gar nicht richtig ans Laufen gekommen. „Pinocchios“ sind bei den emsigen Fakten-Überprüfern diverser US-Medien, allen voran Glenn Kessler von der „Washington Post“, die Wasserstandsmarken für Lug und Trug in Politikerreden.

Um das „gigantische Versagen“ der Regierung von Barack Obama und den drohenden Untergang der amerikanischen Wirtschaft zu illustrieren, schilderte der um Bodenständigkeit bemühte 42-jährige Vater dreier Kinder auf dem Parteitag in Tampa die Schließung einer General-Motors-Autofabrik in seiner ländlichen Heimatkleinstadt Janesville/Wisconsin. Schönheitsfehler: Das GM-Werk wurde bereits dicht gemacht, als noch der Republikaner George W. Bush im Weißen Haus saß.

Ryans Breitseiten gegen Obama sorgen für stehende Ovationen

In einem anderen Fall machte Ryan, der als Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Repräsentantenhaus zu den mächtigsten Finanzpolitikern der USA gehört, Obama für den Verlust der „Triple A“-Bestmarke der Rating-Agenturen verantwortlich. Dass die Abwertung geschah, weil Republikaner wie Ryan im Kongress im Sommer 2011 jeden Vorschlag der Regierung auf Beilegung des Schuldenstreits kategorisch blockierten, ließ der Fitness-Fanatiker unerwähnt.

Dem Jubel im Hallenrund tat das keinen Abbruch. Ryans kernige Breitseiten gegen Obama („Das Geld wurde nicht nur ausgegeben und vergeudet - es wurde geliehen, ausgegeben und vergeudet“), sorgten ein ums andere Mal für donnernde Ovationen im Stehen. An den Fernsehschirmen, urteilten die „New York Times“ und andere Leitmedien, dürften bei noch unentschlossenen oder moderaten Wählern indes „viele Fragezeichen geblieben sein“; auch wenn Ryan im Stil eines „lächelnden Pitbulls“ zugebissen habe.

Wie zwölf Millionen Jobs geschaffen werden sollen, verriet Ryan nicht

Genau zugehört haben die Reporter des Blattes beim Reiz-Thema Gesundheit. Ryan ist der intellektuelle Kopf jener Republikaner, die das soziale Sicherungssystem (Medicare und Medicaid) radikal umstellen wollen. Dass die von ihm forcierte Privatisierung des im weltweiten Vergleich viel zu teuren Gesundheitssystems erhebliche Mehrkosten für die Versicherten zeitigen würde, weil nur über eine Reduzierung der Staatsbeiträge der gewünschte Spareffekt einträte, blendete Ryan aus. Stattdessen versprach er pauschal: „Mitt Romney und ich werden die Krankenversicherung sicher machen.“ Umfragen im Rentner-Paradies Florida förderten unlängst zutage, dass dies am besten gewährleistet werden könne, wenn das System in seinen Grundfesten unangetastet bleibe.

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Wie ein roter Faden zog sich durch Ryans mit vielen Familien-Anekdoten gespickter Antrittsrede die Kritik, die amtierende Regierung habe nicht mehr als selbstmitleidvolle Fingerzeigen auf den politischen Gegner zu bieten, wenn es um den Abbau des auf mittlerweile 16.000 Milliarden Dollar angewachsenen Schuldenbergs gehe. Romney und er dagegen würden „Führerschaft“ zeigen und „das Problem lösen“. Wie? Wo? Fehlanzeige. Gleiches galt für die fehlende Unterfütterung des Versprechens, in den kommenden vier Jahren zwölf Millionen neue Jobs zu schaffen. Oder die Aussage: „Wir dürfen einfach nicht mehr Geld ausgeben, das wir nicht haben.“

Dass Ryans Plan („Pfad zum Wohlstand) substanzielle Steuersenkungen für Reiche, höhere Militärausgaben und die drastischsten Einsparungen im öffentlichen Bereich, von der Feuerwehr bis zu den Schulen, seit den 30er Jahren vorsieht, blieb unerwähnt. Ebenso Ryans persönliche Mitverantwortung, er ist seit 15 Jahren eine zentrale Stellschraube im blockierten und in der Bevölkerung in absoluten Verruf geratenen Politik-Maschine Washingtons, klang in keinem seiner Sätze an, die nach Ansicht von Bloggern des Internet-Portal „Politico“ der Kommentatorin Maureen Dowd nachträglich Recht geben. Die hatte Ryan kürzlich zwar eine „frohgemute irische Messdiener-Aura“ bescheinigt. In Wahrheit sei der Mann aber die „die hübscheste Verpackung, die Grausamkeit je hatte“.