Witten. Diese Konzertreihe hat es in sich. Wieder einmal verwandelte sich Witten in ein Mekka der besonderen Musik - mit verblüffenden Effekten.

Spektakulär, experimentierfreudig, exotisch und überraschend: So präsentierten sich wieder einmal die Wittener Tage für neue Kammermusik. Tradition hatte die Uraufführung dreier Orchesterwerke, mit der das WDR Sinfonieorchester am Sonntagnachmittag den Reigen beendete. Der neue Künstlerische Leiter Patrick Hahn durfte sich über den großen Erfolg des von ihm erstmals verantworteten Programms freuen.

Sogar das derzeit launische Wetter spielte mit, so dass auch beim Ausflug in die Natur der Zeche Nachtigall die Füße trocken blieben. Das war für Raken Chacons kurzen „Report“ für Feuerwaffen-Ensemble ebenso wichtig wie für die acht Trompeterinnen und Trompeter des „Monochrome Projects“, die durch die Landschaft des Zechengeländes wandelten.

Zeitgenössische Klänge beim Familienausflug in Witten

Die Chance, zeitgenössische Klänge mit einem Familienausflug zu verbinden, nahmen viele Besucherinnen und Besucher wahr. Geleitet wird das Ensemble von dem Trompeter Marco Blaauw. Er hob auch im Schlusskonzert das Trompetenkonzert von Dai Fujikura aus der Taufe, in dem er auf seiner Doppelrohrtrompete souverän neue Spieltechniken und Klangmöglichkeiten des Instruments entwickelte.

Wuselig ging‘s beim „Call for Nature“ auf der Zeche Nachtigall in Witten zu.
Wuselig ging‘s beim „Call for Nature“ auf der Zeche Nachtigall in Witten zu. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Die grenzenlose Experimentierfreude entspricht dem künstlerischen Konzept Blaauws, der rastlos die Welt bereist, um der kulturellen Vielfalt des Instruments nachzuspüren. Die Öffnung für fremde Kulturkreise liegt auch Patrick Hahn am Herzen. Das schlug sich besonders eindrucksvoll in einem Konzert nieder, in dem das „Ensemble Recherche“ Kompositionen von den Philippinen, aus Serbien und Südafrika präsentierte und neue exotische Klangerlebnisse bescherte - teilweise auf selbst gebauten Instrumenten und mit verblüffenden Wirkungen. Dafür zog man erstmals in die Werkstadt, die sich als exzellente Spielstätte bewährte.

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Einfach ist es nicht, die zeitgenössische Kammermusik aus ihrem nicht gerade populären Nischendasein zu befreien. Einen Weg sieht Patrick Hahn in der Öffnung für elektronische Techniken. Ein Nachtkonzert mit dem Berliner Synthesizer-Trio „Lange/Berweck/Lorenz“ und dem Elektronik-Pionier „Hainbach“ eröffnete allerdings keine neuen Wege. Die versierten Musiker weckten mit ihren Arbeiten für den ein wenig aus der Mode gekommenen Synthesizer eher nostalgische Gefühle - auf hohem technischem Niveau mit meilenweitem Abstand zu jedem Techno-Mainstream.

Wittener Blasorchester mit dabei

Ebenso reizvoll wie wichtig war der gemeinsame Auftritt des Sinfonischen Blasorchesters Blow-Witten mit den Profis des „Monochrome Projects“. Etwa 65 Laienmusiker - von klein bis groß, von der Flöte bis zur Tuba - verwandelten den Vorplatz des Saalbaus in eine surrende und vibrierende Klanglandschaft. Es war ein mit 15 Minuten zwar kurzer, aber wichtiger Einstieg in die Mitwirkung regionaler Musiker. Auch die Möglichkeit, zwischen den über den ganzen Platz verteilten Musikern zu wandeln und einer Bassklarinette oder einem Bass-Saxophon direkt gegenüberstehen zu können, wurde zahlreich wahrgenommen.

In Glasvitrinen auf der Drehbühne des Saalbaus: Die Streicher des „Arditti Quartetts“ brachten Hannes Seidls Komposition „Unfinished Circles“ zum Klingen.
In Glasvitrinen auf der Drehbühne des Saalbaus: Die Streicher des „Arditti Quartetts“ brachten Hannes Seidls Komposition „Unfinished Circles“ zum Klingen. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Zum Herzstück des Festivals gehört der exzellente Interpreten-Stamm. Zu den treuesten Vertretern zählen die Streicher des „Arditti Quartetts“, die ihre 50-jährige Teilnahme an den Kammermusiktagen mit einer außergewöhnlichen Performance feierten: Die lange nicht genutzte Drehbühne des Theatersaals kam dabei zum Einsatz.

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Darauf rotierten die vier Streicher, in edlen Glasvitrinen voneinander getrennt, um Hannes Seidls Komposition „Unfinished Circles“ zum Klingen zu bringen. Angesichts der erschwerten optischen und auch akustischen Verständigungsmöglichkeiten waren Unwägbarkeiten im Zusammenspiel erwünscht. Und Überraschungen blieben nicht aus, auch wenn das Werk mit einer Dauer von fast 50 Minuten etwas lang geriet.

Doch insgesamt bot der neue Leiter einen gelungenen Einstand. Da sich die Stadt Witten und der WDR für die Fortführung des Festivals ausgesprochen haben, darf man sich auf weitere neue Impulse freuen.

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