Witten. Schon vor 50 Jahren wurden in Witten gerne „Tüten“ geraucht – damals noch illegal. Ein Zeitzeuge erinnert sich.
Besitz und Konsum von Cannabis sind seit 1. April legal – begleitet von zahlreichen Diskussionen über Sinn und Unsinn der Straffreiheit der grünen Knospen. Dass Marihuana in Witten nicht erst seitdem geraucht wird, muss wohl kaum erwähnt werden. Ein Leser (72), der lieber anonym bleiben möchte, teilt hier seine Erfahrungen aus den 1970er-Jahren. Er versteht die aktuelle Aufregung um die Legalisierung von Cannabis nicht. Hier berichtet er von seinen Erlebnissen:
Als Zeitzeuge habe ich vor einem halben Jahrhundert ohne schlechtes Gewissen schöne „Trips“ erlebt. Anfang der 70er-Jahre rauchte man üblicherweise nicht die Blüten der Marihuana-Pflanze, sondern das getrocknete und zu Platten gepresste Harz: Haschisch. Doch woher nehmen? Das war ganz leicht: Als das Ruhrgymnasium noch „Städtisches Jungengymnasium“ hieß, also vor 1971, gab es einmal das Gerücht: „Auf dem Schulklo kann man Hasch kaufen.“
Hasch auf dem Schulko gekauft
Und tatsächlich: In dem stinkenden, dunklen Kellergeschoss verkaufte ein junger Schüler aus der Mittelstufe kleine Mengen vom „Schwarzen Afghanen“, abgeschnitten mit einem scharfen Messer von einem flachen „Kuchen“ – für 15, 20 oder 30 Mark. Eingedreht in Silberpapier, groß wie ein halbes Radiergummi kam man damit wieder ans Tageslicht. Ich war damals in der Oberstufe.
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Wer fürchtete, bei seinem Einkauf von der Pausenaufsicht erwischt zu werden, hatte auch die Möglichkeit, in einer nahen Pizzeria (die heute nicht mehr existiert) nach Mitternacht Informanten und Verkäufer leise nach neuem Stoff zu fragen. Wo diese den herhatten? Wahrscheinlich aus Holland.
Irgendjemand kannte immer jemanden
Um an „Shit“ – ein Szenebegriff für Haschisch – zu kommen, hörte man sich aber auch einfach um. Es war so wie bei den Eltern mit der Metro-Karte: Man kannte jemanden, der jemanden kennt, der wiederum jemanden kennt. So erhielt man den getrockneten und gepressten Sud aus der Cannabispflanze. Ob das Material gestreckt war? Man konnte es nicht feststellen.
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Um es klarzustellen: Witten war damals kein Drogensumpf! LSD und Heroin etwa waren bei den Teenagern und Twens nicht „in“ oder gar nicht bekannt. Es wurde Cannabis in Maßen gemütlich konsumiert, richtig „stoned“ war keiner davon.
Es fehlte das Bewusstsein, etwas Illegales zu tun
Auf jeden Fall fehlte das Bewusstsein, etwas Illegales oder Verbotenes zu tun. Man war einfach begeistert von dem schönen, sinnlichen Rauschzustand, der so ganz anders, weil bekömmlicher als Alkohol war. Wenn man „high“ durch den Regen lief, war das ein tolles Gefühl, genauso wie das eigene Spiegelbild im Schaufenster zu sehen. Der Geschmack von Eiscreme oder Pfirsichsaft war so grandios und einfach „mehr“! Und: Man bekam von dem „Trip“ keine Kopfschmerzen oder einen Kater wie von Bier und Schnaps.
Auf privaten Feten lief es meist so ab: Wenn das Bier alle war, wurde ein Joint gedreht. Die Leute, die keine „Tüte bauen“ konnten, nahmen eine Filterzigarette, friemelten den Tabak aus der Hülse, mischten zwei Drittel davon mit Hasch und stopften die Mixtur wieder in die Papierröhre zurück. Der „Docht“ kreiste in der Runde und es wurde sehr lustig. Wenn man einmal über etwas gelacht hatte, konnte man schlecht wieder damit aufhören. Meistens kifften die Jungs, die Mädchen trauten sich nicht so recht. Und: Sie mussten ja schließlich nachts ihre bekifften Freunde nach Hause fahren.
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Wer waren nun die Wittener Kiffer? Nicht ausschließlich Schüler und Studenten der beiden nahen Unis, nein, auch Lehrlinge, Handwerker, Künstler, Musiker und sogar Sportler. Also nicht in erster Linie die sogenannten „Alternativen“! Die Konsumenten waren querbeet zu finden. Haschisch wurde nicht nur geraucht, sondern auch in Weihnachtsplätzchen verbacken oder zerkleinert im Tee getrunken: Auch damit konnte es dann ein recht gemütlicher Nachmittag werden.
Vom Hasch zum Gras
Mitte der 70er-Jahre war Haschisch dann ziemlich „out“ und „Gras“ wurde populär. Die Joints mit den zerbröselten Blüten hatten eine angenehme Wirkung und galten als reiner. Das Rauchen spielte sich allerdings immer privat bei Freunden ab. Denn: In Wittens Szenekneipen wurde nicht gekifft, auch nicht im Folkclub in der „Alten Zeit“ – der süßliche Geruch wäre sofort den geschulten Nasen der Drogenfahnder aufgefallen.
Ein Ereignis ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, nämlich der 23. Juli 1977: Viele Cliquen trafen sich privat, um die erste Rockpalast-Nacht aus Essen gemeinsam im Fernsehen zu schauen – bimedial mit Fernsehbild und Stereoton aus dem Radio. Und zum Genießen dabei: eine große „Tüte“ für die gesamte Runde. Damals nicht öffentlich, sondern ganz heimlich in einem Wittener Wohnzimmer…
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