Witten. Louis aus Witten war ein extremes Frühchen. Auch sein Bruder wurde zu früh geboren, liegt noch in der Klinik. Eine Familie im Ausnahmezustand.

Louis Goralski kam vor neun Jahren als extremes Frühchen zur Welt. Er wog damals nur 460 Gramm und musste ein paar Tage später am Herzen operiert werden. Nun hat die Familie aus Heven erneut Nachwuchs bekommen. Auch Lennard wurde - am 30. Oktober - zehn Wochen zu früh geboren. Der sehnlichste Weihnachtswunsch seiner Eltern ist nicht in Erfüllung gegangen: Der kleine Junge liegt noch im Perinatalzentrum des Wittener Marien-Hospitals. Doch es geht aufwärts.

Stolz blättert Louis zu Hause in einem kleinen Fotoalbum. All seine Lieben sind darin zu sehen. Seine kürzlich verstorbene Uroma Klara zum Beispiel. Freud und Leid liegen nah beieinander: Sie wurde am selben Tag und zur selben Uhrzeit beerdigt, als Lennard gerade das Licht der Welt erblickte.

Louis (9) ist jetzt großer Bruder

Und da ist es, das Foto, das Louis gesucht hat: Es zeigt ihn mit dem Winzling auf dem Schoß. Die Krankenschwester hatte ihm den Kleinen bei einem seiner bislang zwei Besuche einfach überraschend in den Arm gedrückt. „Ich bin jetzt großer Bruder“, sagt Louis strahlend. Und dass Lenni schon „sooo“ gewachsen sei.

Frühchen Lennard Goralski, hier im Marien-Hospital, wog bei der Geburt knapp 1500 Gramm.
Frühchen Lennard Goralski, hier im Marien-Hospital, wog bei der Geburt knapp 1500 Gramm. © Goralski | Goralski

Bei der Geburt wog er 1490 Gramm - immerhin ein Kilo mehr als Louis damals. Inzwischen bringt Lenni 3100 Gramm auf die Waage. „Er hat schnell zugelegt“, freuen sich Mama Nadine und Papa Sebastian (beide 35). Trotz der schweren Zeit, die sie nach Louis‘ Geburt erlebten, blieb ihr Kinderwunsch bestehen. Ihr Ältester hatte eigentlich einen Zwillingsbruder. Doch Levin, der nur 242 Gramm wog, starb nach 21 Tagen.

Im März 2020 brachte Nadine Goralski erneut ein Kind zur Welt. Matheo starb kurz nach der Geburt. Sein Blut wies zu wenig Sauerstoff auf. Eine Stunde lang versuchten die Ärzte im Marien-Hospital, den Kleinen wiederzubeleben. Vergeblich. Nun liegen Levin und Matheo zusammen in einem Grab auf dem Friedhof der Kreuzgemeinde.

Begleitung seit der Geburt

Louis Goralski kam am 25. November 2014 als extremes Frühchen im Marien-Hospital zur Welt. Seit damals begleitet die Redaktion den inzwischen neun Jahre alten Jungen aus Heven und berichtet regelmäßig über seine Entwicklung sowie besondere Ereignisse in der Familie.

Louis besuchte die Kita Wannen der Lebenshilfe. Er kam dann in die nahe gelegene Crengeldanzschule, verließ diese aber nach kurzer Zeit wieder. Nun geht er auf eine Förderschule in Bochum.

Eine Chance gaben sich die Eltern noch. Als sie die Hoffnung schon fast verloren hatten, kündigte sich Lennard an. „Wir waren glücklich darüber“, sagt Nadine Goralski. Angst konnte sie während der Schwangerschaft nicht gebrauchen - und trotzdem schwang sie im Hinterkopf immer mit.

Papa Sebastian war bei der Geburt dabei

Nadine Goralski, die Diabetikerin ist, ließ sich wöchentlich untersuchen. „Ich stand unter totaler Beobachtung.“ Um auf Nummer sicher zu gehen, sollte Lenni in der 34. Woche geholt werden. Dass es dann doch noch ein bisschen schneller ging, war ein Schock für die Eltern. Vier Wochen früher als geplant kam der Junge per Kaiserschnitt zur Welt, weil er nicht mehr über die Nabelschnur versorgt wurde. Papa Sebastian durfte diesmal dabei sein. „Es war unsere Traumgeburt“, sagt das Paar - trotz der Umstände.

Lennard lag anfangs im Brutkasten, konnte aber bald ins Wärmebettchen wechseln. Er wurde beatmet, hatte eine leichte Hirnblutung, „die aber keine Auswirkungen haben soll“, wie Nadine Goralski sagt. Dennoch fühlt sie sich in die Zeit vor neun Jahren zurückversetzt, kann nachts vor Angst um ihr Kind nicht schlafen, weint viel.

Hier sind sie noch zu dritt: Nadine und Sebastian Goralski mit Sohn Louis, der gerade zwei Jahre alt geworden ist.
Hier sind sie noch zu dritt: Nadine und Sebastian Goralski mit Sohn Louis, der gerade zwei Jahre alt geworden ist. © FUNKE Foto Services | Thomas Nitsche

Ihr Mann steht ihr zur Seite: „Wir wussten, dass das eine andere Liga ist als damals. Lennard ist kein Extrem-Frühchen.“ Für den Papa ist klar: „Wir kriegen das hin.“ Dabei ist der Zeitsoldat gerade im Klausurenstress, macht seinen Bachelor of Laws, um mal Verwaltungsbeamter bei der Stadt Dortmund zu werden. „Das ist familienfreundlicher.“

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Täglich besuchen die Eltern ihr Baby im Krankenhaus, wickeln es, geben ihm die Flasche. „Wir durften auch schnell kuscheln“, sagt Nadine Goralski und fühlt jetzt noch, wie leicht und zart der kleine Knirps auf ihrer Brust lag. Dass Lenni noch nicht nach Hause darf, liegt daran, dass seine Sauerstoffsättigung nicht stabil ist und er einen Refluxmagen hat. Wenn ihm Nahrung hochkommt, hält er die Luft an. „Aber es wird besser, haben uns die Ärzte Mut gemacht.“

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Auch Louis hofft, sein Brüderchen bald täglich sehen zu können. Der Neunjährige besucht inzwischen die dritte Klasse der LWL-Förderschule am Haus Langendreer. „Da gefällt es mir.“ Er interessiert sich besonders für Natur und Technik, ist außerdem Rüdiger-Hoffmann-Fan. „Kann man machen, muss man aber nicht“, zitiert er mit Begeisterung einen bekannten Satz des Kabarettisten. Und Louis hat eine kleine Schulfreundin, die er mal heiraten möchte.

Doch das hat Zeit. Erstmal muss sein Brüderchen nach Hause kommen. Damit Louis noch viele schöne Fotos für sein Familienalbum bekommt.