Witten. Den Hund mitbringen, der späte Arbeitsbeginn, die lange Mittagspause: Bei E-Systems in Witten ist all das möglich. Was machen sie dort anders?
In Zeiten des Fachkräftemangels wird eine familienfreundliche Personalpolitik immer wichtiger – nur so gelingt es, Mitarbeitende zu rekrutieren und sie langfristig zu halten. In Witten gilt die Firma E-Systems dabei als besonders innovativ, das IT-Unternehmen ist sogar zertifiziert. Aber: Was machen sie dort eigentlich anders?
Im Firmengebäude an der Liegnitzer Straße sieht es nicht anders aus als man es in der Computerbranche erwartet hätte. Ein Großraumbüro, am Rande stapeln sich die Kartons mit LED-Bildschirmen oder PC-Zubehör. Es riecht nach Kaffee, Angestellte sitzen vertieft an ihren Rechnern. Doch zu ihren Füßen liegen angeknabberte Stofftiere, ums Schreibtischbein wickeln sich Leinen, im Gang liegt ein Hundebett! Sieben Hunde begleiten zeitweise ihre Herrchen und Frauchen an den Arbeitsplatz. Eine Mitarbeiterin, die gerade den Wassernapf für ihren Rhodesian Ridgeback befüllt, sagt ganz klar: „Wenn ich den Hund nicht hätte mitbringen dürfen, hätte ich hier nicht angefangen.“ Seit zwölfeinhalb Jahren kommt der Hund also mit, dem Büroleben seien die Vierbeiner sogar zuträglich, sagt ein Kollege und holt aus seiner Schreibtischschublade ein Leckerchen.
Werbe-Displays in Apotheken werden von Witten aus bespielt
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Dass Hunde mit ins Büro dürfen, schreibt Personalreferent Bernd Möbius sogar mit in die Stellenausschreibungen. Seit Kurzem darf er auch das Zertifikat „Familienfreundliches Unternehmen“ beifügen, das ihm vom „Kompetenzzentrum Frau & Beruf Märkische Region“, zuständig für den EN-Kreis, Hagen und den Märkischen Kreis, kürzlich verliehen wurde. „Eine solche Auszeichnung ist schon etwas besonderes“, sagt dessen Koordinatorin Michaela Kalemos.
Aktuell arbeiten 40 Personen bei E-Systems, darunter acht Frauen. Das Unternehmen wächst aber und baut bald ein neues Firmengebäude. Deniz Üstün hatte 1996 einen Computer-Großhandel gegründet. Das PC-Fachgeschäft gibt es bis heute (Im Wullen 1). 2008 kam das „Systemhaus“ an der Liegnitzer Straße 23 hinzu. Von dort aus betreuen sie Firmenkunden mit Hard- und Software sowie IT-Lösungen. Überregional gibt es einen Onlineshop. Ein anderes Standbein sind großformatige Werbe-Displays, die von Witten aus bespielt werden. Man findet sie zum Beispiel in über 1000 Apotheken in Deutschland und Österreich oder in der Gastronomie.
Kollegen durch verschiedene Lebensphasen begleiten
Inzwischen weist ein Schild im Verkaufsraum von E-Systems auf eine Unternehmenskultur hin, die sie bei E-Systems schon lange praktizieren, aber noch nie besonders herausgestellt haben. „Es hat sich einfach so ergeben“, sagt Personaler Möbius. Weil Mitarbeitende Kinder bekommen, sich scheiden lassen, Angehörige pflegen müssen, haben sie in dem Unternehmen schon oft individuelle Arbeitszeitmodelle vereinbart.
Vier Preisträger aus Witten
Flexible Arbeitszeitmodelle oder Homeoffice-Lösungen bieten bereits viele Unternehmen an. Laut Märkischem Arbeitgeberverband können Firmen besonders bei Frauen auch mit Angeboten zur Gesundheitsförderung punkten. Für junge Nachwuchskräfte sei eine gute Work-Life-Balance wichtig.
Vergeben wird das Prädikat „Familienfreundliches Unternehmen“ seit 2014 vom „Kompetenzzentrum Frau & Beruf Märkische Region“. Bisherige Preisträger aus Witten sind „Gloria Haus- und Gartengeräte“, die Steuerkanzlei „ReiserSchmidt“ und die „Dr. Spang Ingenieurgesellschaft“. Interessierte Unternehmen können sich direkt wenden an: Michaela Kalemos, Tel. 02331-488 78 43, kalemos@agenturmark.de.
Was kann das sein? Teilzeitarbeit nur vormittags, um das Kind aus der Kita abholen zu können. Ein fester freier Nachmittag in der Woche, damit Papa sich um den Nachwuchs kümmern kann. Dienstbeginn um 10 Uhr, weil der Kollege zum Ausschlafen neigt und morgens eh nicht zu gebrauchen ist. Eine Kollegin arbeitet mobil von München aus und kommt nur alle drei Monate nach Witten. Ein anderer kann sich allein am besten konzentrieren und taucht praktisch nie im Büro auf. Bei so vielen individuellen Absprachen, so Möbius, „habe ich irgendwann gedacht, man muss daraus ein Grundkonzept anfertigen.“ Das sei ein Baustein, um neue Mitarbeiter zu finden und die bisherigen halten zu können. „Die Kollegen und Kolleginnen sollen möglichst langfristig bei uns arbeiten. Und dabei begleiten wir sie natürlich durch verschiedene Lebensphasen“, sagt Bernd Möbius.
Je mehr Absprachen, desto mehr Organisation
Muss man sich dabei als Unternehmen nicht sehr verbiegen? „Je mehr Absprachen man trifft, umso mehr mus man organisieren“, nennt der Personalreferent einen Nachteil. Und: „Wir setzen auf die Selbstorganisation der Kollegen. Das Ganze fußt auf dem persönlichen, fast familiären Umgang, den wir miteinander haben.“ Auch er musste erfahren, dass reines Home-Office nicht für jeden Angestellten gemacht ist, mancher „irrlichtere“ ein bisschen zu sehr.
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In einem Pilotprojekt haben sie dann bei E-Systems ihr Basis-Arbeitszeitmodell gefunden. Die Vorgängerlösung – 8 bis 17 Uhr, eine Stunde Pause – wurde abgeschafft. Arbeiten kann man nun zwischen 7 und 18 Uhr, die Pause kann man auf 30 Minuten verkürzen oder auf zwei Stunden ausdehnen. Zudem gibt es „Teamleiter“, die in kleiner Runde regeln, dass die Kundenerreichbarkeit gewährleistet ist. Bernd Möbius hat inzwischen einmal pro Woche eine „Sprechstunde“. Nur dann werden Dinge wie Urlaubsplanung oder Zeiterfassung besprochen – damit er bei den verschiedenen Arbeitsmodellen nicht auch anfängt, zu irrlichtern.