Witten. Messgeräte und Zahlen. Zu hohe Werte oder zu niedrige. Sie bestimmen den Alltag der Familie Eberley seit über fünf Jahren. Seit bei Tochter Chiara die Diagnose Diabetes gestellt wurde.

Damals war das Mädchen gerade anderthalb Jahre alt. „Wir kamen aus dem Portugal-Urlaub”, erinnert sich Christiane Eberley (41). Plötzlich habe Chiara ganz viel getrunken. „Und sie hat abgebaut, wollte nicht mehr laufen, ist tagsüber eingeschlafen.” Die Eltern fuhren mit ihr in die Dattelner Kinderklinik. Nach der ersten Messung war klar: „Ihr Kind hat Diabetes.”

Mit dieser Stoffwechselkrankheit, bei der bestimmte Zellen nicht richtig arbeiten, was zu einer Überzuckerung des Blutes führt, kann man leben. Das wusste Christiane Eberley, die selbst Krankenschwester ist. Doch während ihr Mann Jörg (40) die Hoffnung hatte: „Das verwächst sich”, war ihr klar: „Das ist keine kurze Geschichte, sondern was, das bleibt.”

Sie nascht gern

Heute ist Chiara fast sieben Jahre alt. Ein quirliges Mädchen mit hellbraunen Haaren und großer Zahnlücke. Sie sitzt beim Gespräch mit am Tisch und erzählt ohne Scheu. Von ihren Kaninchen Lisa und Marie. Dass sie gern malt und tanzt. Und sie nascht gern. Lakritzbonbons, Schokoriegel oder, wie jetzt, auch mal eine Mandarine. Oder besser: zwei. Denn das sei leichter zu berechnen, sagt die Mama. Eine Mandarine habe 0,5 Kohlenhydrateinheiten (KE). „Ja, ich boule gleich 1.0”, sagt Chiara.

Um den Bauch unterm T-Shirt trägt sie eine schwarze Gürteltasche mit Glitzersteinen. Das kleine Gerät darin holt sie jetzt heraus, drückt ein paar Knöpfe. Es piept. Insulin fließt durch einen Katheder, der alle zwei Tage gewechselt wird, in Chiaras Körper. Und alles ist wieder im grünen Bereich. Das kleine Gerät ist eine Insulinpumpe, die das Mädchen ständig trägt. Sie steuert den Zuckergehalt des Blutes – wie eine künstliche Bauchspeicheldrüse.

„Alles, was Chiara isst, muss gewogen und die Kohlenhydrate müssen berechnet werden”, sagt Christiane Eberley. Zwei Stunden nach jeder Hauptmahlzeit und wenn sie sich schlecht fühlt, muss Chiara ihren Blutzuckerwert testen. Bereitwillig holt das Mädchen das nächste Gerät, das aussieht wie ein dicker, kurzer Kugelschreiber: die Stechhilfe. Ruckzuck pikst sie sich in den Finger, saugt mit einem kleinen Teststreifen das Blut auf. Zwischen 80 und 120 sollte der Wert liegen.

Gemessen wird zehnmal pro Tag

Ist er zu hoch muss Chiara ihn mit der Insulinpumpe korrigieren. Ist er zu niedrig, lutscht sie Traubenzucker. „Sonst wackeln meine Hände. Ich werde schwach und kriege ganz doll Hunger”, beschreibt Chiara, die bei Sport und Spiel auch mal eine Messung vergisst. Gemessen wird mindestens zehn Mal pro Tag und auch nachts. Da wechseln die Eltern sich ab.

„Das erste Jahr war der Horror. Jetzt ist das unser täglicher Kampf, den wir gern aufnehmen, um Folgeschäden zu vermeiden”, sagt Christiane Eberley. Sie spricht von allgemeinen Gefäßveränderungen, von Augen und Nieren, die betroffen sein können, erwähnt auch das Schlaganfallrisiko.

Chiara gilt zu 50 Prozent als schwerbeschädigt. So steht es in ihrem Ausweis. „Und das ,h' bedeutet hilflos”, sagt ihre Mutter. Diese Dinge sind es, die traurig machen, obwohl sie immer wieder betont, „dass wir riesiges Glück hatten”. Zum Beispiel mit der Kita am Helfkamp in Stockum, deren Erzieherinnen keine Angst vor der Verantwortung für ein Diabetes-Kind hatten. Oder mit der Hüllbergschule, die gegenüber ihrer Wohnung in Annen liegt. Die Diabetes-Schulung für die Lehrer dort haben Eberleys selbst bezahlt: „ Die Stadt verweigerte die 700 Euro Eingliederungshilfe.”

Gleich geht Erstklässlerin Chiara zum Martinszug ihrer Schule. Außer der Laterne hat sie wie immer einen kleinen Rucksack dabei: mit Traubenzucker und Messgeräten.