Witten. Ein Kind zu gebären und zu wissen, es stirbt: Eine Mutter, die im Marien-Hospital Witten entbunden hat, spricht über Verlust und Trauerarbeit.

Vor wenigen Monaten hat eine Frau im Wittener Marien-Hospital ein Kind zur Welt gebracht. Der 38-Jährigen und ihrem Mann war dabei klar: Ihre Tochter stirbt gleich nach der Geburt. Denn es war viel zu früh für die Kleine. Aus medizinischer Sicht hatten sie keine andere Chance, wissen die Eltern. Nun müssen sie mit dem Verlust leben. „Wir machen alles, was man machen kann, um das irgendwie zu verarbeiten“, haben sie entschieden.

Die Mutter, deren richtigen Namen wir kennen, hatte schon zwei Fehlgeburten hinter sich. Auch ihr fast vierjähriger Sohn kam sieben Wochen zu früh. Ihm geht es heute gut. Doch er sollte unbedingt ein Geschwisterchen bekommen. „Wir waren nicht an dem Punkt, aufzugeben.“

„Ich habe gespürt, wie die Kleine sich bewegt“

Diese Schwangerschaft habe sie jedoch nicht mehr mit derselben Leichtigkeit erlebt wie zuvor. „Beim kleinsten Ziehen macht man sich Sorgen.“ Nach der 14. Woche dachte das Paar: „Wir sind übern Berg.“ Doch in der 19. Woche traten leichte Blutungen auf. Die Gynäkologin schickte die Schwangere ins Krankenhaus. Dort stellten die Ärzte fest, dass sich der Muttermund vorzeitig geöffnet hatte und das Kind quasi auf dem Weg nach draußen war. Ein Band wurde in den Gebärmutterhals eingenäht, um die Geburt aufzuhalten.

Klinik bietet Trauerbegleitung für Eltern

Das Marien-Hospital bietet allen Eltern, deren Kind tot zur Welt kommt oder bei der Geburt verstirbt, eine Trauerbegleitung an. Seelsorgerin Mareike Jauß hilft, Abschied zu nehmen, und geht auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ein.So ist es z.B. möglich, Fotos und Fußabdrücke als Erinnerung zu machen. Das Kind kann gesegnet und bestattet werden. Entsprechende Trauerfeiern finden im Marien-Hospital alle zwei Monate statt.

„Das ist zehn Tage gut gegangen, dann ist meine Fruchtblase geplatzt und ich hatte hohe Entzündungswerte.“ Ihr Leben war in Gefahr. Zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft, weiß die 38-Jährige, entscheide die Medizin zugunsten der Mutter, weil das Kind ohnehin noch nicht lebensfähig sei. „Dabei hatte ich schon einen Bauch und habe gespürt, wie die Kleine sich bewegt.“

Ehemann durfte trotz Corona mit ins Wittener Marien-Hospital

Anderthalb Tage lang schoben die Eltern den Gedanken an die Geburt vor sich her. „Eine furchtbare Zeit. Wir hatten ja eigentlich gar keine Wahl.“ Ihr Mann durfte trotz Corona mit in die Klinik, als die Geburt eingeleitet werden sollte. „Die Hebammen dort waren sehr behutsam und respektvoll.“ Das Paar gab dem Kind einen Namen, ließ Fotos von der Kleinen machen. Sie trug dabei winzige Kleidung, die ein Verein kostenlos herstellt. „Wir haben Zeit mit unserer Tochter verbracht. Das war vor allem für meinen Mann wichtig, der sein Kind erst mit der Geburt richtig realisiert hat.“

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Seelsorgerin Mareike Jauß hat das Mädchen gesegnet. „Sie hat wahnsinnig schöne Worte gefunden.“ Es wurde auf dem Marien-Friedhof begraben. Dort gibt es ein Gräberfeld für Kinder, die tot geboren werden oder kurz nach der Geburt sterben. „Dann war die Beerdigung vorbei und wir waren alleine.“ Schon bald nahmen sie die Trauerbegleitung bei der Bethanien Sternenkinderambulanz Hagen in Anspruch. Die erste Sitzung hat drei Stunden gedauert. Seitdem gehen die Eltern alle paar Wochen dorthin.

Gemeinsam nimmt das Paar sein Schicksal an

Was manche Ehen zerbrechen lässt, schweißt hier zusammen. „Es tut uns gut, das gemeinsam zu machen.“ Bei der Trauerbegleitung lernen sie, ihr Schicksal anzunehmen. Was vorher unvorstellbar schien, gehört nun zu ihrem Leben. Die 38-Jährige entschied sich außerdem für eine Psychotherapie. „Ich brauche feste Termine, an denen ich mich bewusst mit der Trauer beschäftigen kann.“ Zwischendurch lenke sie der Alltag mit ihrem Sohn oft zu sehr ab – Segen und Fluch zugleich.

Ihr Mann sei gut darin, all dem Schrecklichen auch Gutes abzuringen. Er setze nun etwa andere Prioritäten, was die Balance zwischen Arbeit und Familienleben angeht. „Soweit bin ich noch nicht“, sagt seine Frau. Inzwischen weiß sie: Das ist ganz normal. Auch, dass ihr noch die Kraft fehlt, sich mit Betroffenen auszutauschen.

Kinderwunsch ist weiterhin da

Natürlich wollten die Eltern wissen, warum die Schwangerschaft auf diese Weise endete. Etliche Arztbesuche später ahnen sie nur so viel: Es lag wohl an einer Gebärmutterhalsschwäche. Ein Humangenetiker jedenfalls habe keine Ursache entdeckt. Wollen sie es trotzdem noch einmal versuchen? Der Kinderwunsch ist da. „Aber es gibt Herz und Verstand.“

Ihr Sohn verpacke das alles ganz gut, denn der Tod sei für ihn noch nicht greifbar. „Er erlebt es so, als ob der Hund der Großeltern gestorben ist, macht seine eigene Geschichte daraus“, sagt seine Mutter. Sie nehmen ihn manchmal mit zum Grab der kleinen Schwester.

Weihnachten wird noch einmal besonders hart für die Familie. Allein der Gedanke: „Wir wären jetzt zu viert gewesen.“ Die dunkle Jahreszeit, sie spielt ohnehin gegen einen, sagt die Mutter. Und ein guter Tag sei oft begleitet von schlechtem Gewissen. Inzwischen hat sie gelernt: „Wir dürfen auch mal glücklich sein.“