Witten. Die Uni Witten will eine Bewegung für „planetares Denken“ anstoßen. Es geht um die Zukunft der Erde und wie wir mit ihr leben – statt auf ihr.

Im 40. Jahr ihres Bestehens hat die Universität Witten/Herdecke Großes vor. Sie will nichts weniger als die Muster, in denen wir denken, verändern – und das radikal. Ziel ist ein neues Verhältnis zwischen Mensch und dem Planeten. Denn nur so könnten die großen Krisen, auf die die Menschheit zusteuert, noch verhindert werden. Wie das gelingen soll und was eine „planetare Bildung“ damit zu tun hat, darüber sprachen wir mit Sebastian Benkhofer.

+++Keine Nachrichten aus Witten mehr verpassen: Hier geht’s zu unserem kostenlosen Newsletter+++

Der 45-Jährige ist Geschäftsführender Direktor des WittenLab (Zukunftslabor Studium fundamentale) und des Professional Campus der Uni. Er hat im September eine Konferenz verantwortet, an der 200 Schülerinnen, Auszubildende und Studierende aber auch Wissenschaftler und Entscheidungsträgerinnen aus Unternehmen und Organisationen zusammengekommen sind, um die neue Bewegung anzustoßen.

Sebastian Benkhofer auf der Switch-Konferenz an der Uni Witten zur planetaren Bildung.
Sebastian Benkhofer auf der Switch-Konferenz an der Uni Witten zur planetaren Bildung. © Michael Schwettmann

Herr Benkhofer, kürzlich hat an der Uni die erste Konferenz für planetare Bildung stattgefunden. Klingt erstmal nach Astronomie. Was steckt dahinter?

Es geht um unseren Planeten und seine Zusammenhänge. Wir müssen dazu nicht nur aufs Klima schauen, sondern auch auf Wirtschaft und soziale Aspekte. Wir als Menschen müssen lernen, uns als Teil eines Systems zu verstehen. Wir denken oft, wir wären von der Natur getrennt, dabei sind wir zutiefst mit der Erde verbunden. Am Anfang steht die Erkenntnis, dass wir die enormen Probleme, vor denen wir als Menschheit stehen, nicht mit dem gleichen Denken lösen können, das sie verursacht hat. Wir müssen wieder lernen, mit dem Planeten zu leben, statt nur auf ihm.

Lesen Sie auch:

Wieder?

Ja, denn eigentlich ist das, was wir jetzt anstoßen wollen, auch eine Reaktivierung alter Beziehungen. Ältere Menschen oder insbesondere indigene Völker in anderen Teilen der Welt leben diesen anderen Umgang mit den Ressourcen, die wir auf dieser Erde zur Verfügung haben. Durch die Industrialisierung haben wir uns aber davon abgekoppelt. Es gibt kein Denken in Jahreszeiten mehr, im Supermarkt ist alles immer verfügbar. Das ist auch Wissen, das fehlt: Was würde aktuell in den Regalen liegen, wenn wir uns regional ernährten?

Warum ist es denn nötig, dass wir unser Denken ändern?

Wir merken ja jetzt bereits, dass unser Handeln einen Effekt hat. Der Mensch hat so großen Einfluss, dass Wissenschaftler bereits vom Anthropozän sprechen, also einem menschengemachten Erdzeitalter. Wir haben uns durch die aktuelle Denkweise schon in eine schwierige Situation gebracht, unsere Lebensgrundlagen sind bedroht. Wir müssen einsehen, dass wir vieles ausgeblendet haben, vor allem die Auswirkungen unseres eigenen Handelns.

Sie meinten ja, dabei gehe es nicht nur um den Klimaschutz?

Richtig. Uns geht es um den Switch, das Umschalten im Kopf. Es ist etwa an der Zeit, wirtschaftlichen Erfolg neu zu definieren. Eigentlich kann nur noch so heißen, was auch gut für den Planeten ist. Wir müssen uns bewusstmachen, dass die Erde nicht einfach kostenlos genutzt werden kann, als ob alles unendlich wäre. Das gilt für Ressourcen, für Pflanzen und Tiere.

Die globalen Zusammenhänge sind vielfältig und komplex, was am anderen Ende der Welt passiert, lässt sich leicht ausblenden. . .

Man muss sich den Planeten einfach als einen Haushalt vorstellen, dann rückt es näher. Wenn bei uns zuhause etwa die Müllabfuhr nicht einmal die Woche kommen und den Müll abholen würde, würden wir uns doch mehr Gedanken darüber machen, wie wir Müll vermeiden. Weil er dann ja immer noch in der Wohnung herumliegt. So ist es ja auch auf dem Planeten, nur dass der Müll aus unserem Sichtfeld entfernt wird. Aber er ist noch da. Da kommen wir auch zu der Erkenntnis: Müll trennen allein wird nicht reichen. . .

Lesen Sie auch:

Sie sprechen da von großen Einschnitten für jeden einzelnen.

Wir alle müssen uns für diese Umwälzungen auch selbst in Frage stellen. Das ist nicht leicht. Aber anders geht es nicht. Wir brauchen jetzt Verhaltensänderungen, auch von Unternehmen. Das soll kein Thema für eine Akademiker-Bubble sein, wir wollen das in die Breite tragen. Noch stehen wir aber ganz am Anfang.

Projekt will Lernformate entwickeln

Mehr Informationen zur Switch- Konferenz und zur Bewegung für planetare Bildung finden Sie auf der Homepage planetare-bildung.de. Das Projekt will in der nächsten Zeit innovative planetare Lernformate entwickeln.

Wie soll das gehen?

Es braucht mehr denn je auf politischer Ebene Investitionen in Bildung. Planetare Bildung muss in die Lehrpläne integriert werden. Wir brauchen gut ausgebildete junge Leute, die etwa unsere Mobilität und unsere Städte nachhaltig und gesund umbauen. Unsere Art zu Wirtschaften wird uns sonst immer weiter gefährden. Auch unsere Versorgung und Logistik muss komplett neu aufgestellt werden. Wir brauchen nicht weniger vom gleichen, sonst ganz neue Konzepte, etwa bei der Tierhaltung.

Zusammengefasst: Was ist planetares Denken?

Es ist eigentlich eine Geisteshaltung. Es ist das Wissen, dass mein Handeln Auswirkungen hat, nicht nur unmittelbar. Dass es das Leben anderer Menschen beeinflusst. Die Idee der „Mutter Erde“ bei Naturvölkern passt da gut. Dahinter steckt der Gedanke, dass die Erde uns, wie eine Mutter, alles Lebensnotwendige bereitstellt. Entsprechend sollten wir sie auch behandeln.

Mehr Nachrichten aus WittenAktuelle Episode Salon Funke