Witten. Die Zahl der Bäckereien mit eigener Backstube schrumpft in Witten und Umgebung ganz erheblich. Ein weiterer Betrieb hat inzwischen aufgegeben.
Ständig steigende Kosten und obendrein noch fehlendes Personal: Da trafen Marc und Ralf Baudach wohl eine ihrer schwierigsten Entscheidungen. Sie gaben ihre Bäckerei in Annen auf. Seitdem nun auch der Nachfolger die Segel strich, stehen Ladenlokal und Backstube leer. So wie dem Wittener Familienbetrieb erging es in den vergangenen zwölf Jahren der Hälfte aller eigenständigen Bäcker der EN-Innung.
Dieter Weidler, seit wenigen Monaten Obermeister der Innung, nennt genaue Zahlen: „Hatten wir 2010 noch 34 Kollegen mit einer eigenen Backstube, sind es inzwischen nur noch 17.“ Und sofort fallen dem 67-Jährigen eine Reihe von Bäckereien ein, die längst Geschichte sind: „Berger und Wolf in Herbede, Börger ,ehemalig Färber, und Hitzemann in der Breite Straße, Roggmann an der Ardeystr. Nehm in der Bebelstraße. Und jetzt kommt Baudach hinzu“.
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Das Aus für Baudach kam nach fast vier Jahrzehnten
Entwicklung zeigt sich auch bundesweit
Der Rückgang der selbstbackenden Bäckereien ist längst keine alleinige Entwicklung in der heimischen Region. Bundesweit ging die Zahl der Betriebe von 12100 im Jahr 2015 auf 9608 zu Ende des vergangenen Jahres zurück.
Zudem sank auch in erheblichem Maße die Anzahl der Auszubildenden, von 18.888 (2015) auf 10.800 in 2022.
Marc und Vater Ralf Baudach haben lange überlegt, ob und wie es für sie weitergehen könnte. Schließlich blickt die Bäckerei auf fast vier Jahrzehnte zurück. Da steckt eine Familie nicht nur viel Arbeit rein, sondern wohl genauso viel Herz. Doch auch sie bekamen die Folgen von Energiewende und Ukrainekrieg deutlich zu spüren.
Backöfen verschlingen viel Energie, die Kosten stiegen explosionsartig. Neben den hohen Ausgaben sahen sich Vater und Sohn auch noch vor ein Personalproblem gestellt. Sie brauchten zusätzliche Kräfte, „die wir aber nicht gefunden haben“, sagt der Junior. Monatelang hatte er vergeblich gesucht.
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Nach einiger Zeit fassten die Bäcker schließlich den Entschluss, ganz mit Brot und Brötchen aufzuhören. Sie machten ihr Hobby, die Pferdezucht, zu ihrem neuen Beruf. 30 bis 40 Pferde lassen keine Langeweile aufkommen. Marc Baudach ist zufrieden, dass er einen neuen Weg eingeschlagen hat.
Die zwei Mitarbeiterinnen, die sie noch in der Filiale an der Annenstraße hatten, fanden problemlos einen neuen Job. „Angesichts des Personalmangels in unserer Branche haben Fachkräfte beste Chancen auf einen Arbeitsplatz“, sagt Innungsmeister Dieter Weidler. Aus ähnlichen Gründen wie die Baudachs hätten sich einige Bäcker in den vergangenen Jahren zum Rückzug entschlossen.
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Bäckereien kämpfen mit wachsenden finanziellen Belastungen
„Ein solcher Energiekostensprung wie im vergangenen Jahr kam zwar sicherlich einmalig daher“, erklärt der Obermeister. Doch neben den Rechnungen für Strom und Gas sind es auch Personal- und Materialkosten, mit denen die Bäckereien kämpfen. Als wäre das nicht schon genug, so Weidler, „haben wir auch noch die ganze Bürokratie am Hals“, die man nebenher noch erledigen muss“.
Zusätzlich habe sich der Wettbewerb massiv durch preisgünstige Filialketten verschärft. Für die kleineren Betriebe sei es schon enger geworden, als Großbäckereien „in die Vorräume der Supermärkte zogen“. Wer dort einmal einkauft, nimmt Brot, Brötchen und Kuchen oft gleich mit. Immer weniger suchen den Bäcker um die Ecke auf. Weidler: „Das spüren die Betriebe natürlich in der Kasse.“
Gerade Senioren vermissen den Bäcker um die Ecke
Wenn nun aber auch der letzte Bäcker im Quartier seinen Hut nimmt, „wird es meist mit der Grundversorgung enger“, sagt der Wittener. Davon seien gerade ältere Menschen betroffen, die keine weiten Wege mehr zurücklegen können. Ihnen gehe auch ein vertrauter Treffpunkt verloren.
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Dass der wirtschaftliche Druck in der Branche weiter anhält, spürt Bäckermeister Dieter Weidler, der drei Geschäfte in Witten hat. Dies gelte auch für andere Betriebe, die noch selbst backen. Dazu gehören in Witten das „Backhaus“ mit Iris und Julian Graßhoff als Geschäftsführer, die Holzofenbäckerei in Bommern und Zehner in Heven.
Und was wird aus leerstehenden Ladenlokalen wie jetzt in Annen? Der einstige Juniorchef Marc Baudach kennt die Antwort. Ab Januar will seine Frau Julia (30) auf den 150 Quadratmetern mit einer Physiopraxis durchstarten. Die Zukunft der dahinterliegenden Backstube ist noch offen.
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