Witten. Schmutz, Lärm, Alkohol: Im Johannisviertel in Witten werden teilweise schlimme Zustände beklagt. Der Handel will nicht mehr länger zusehen.

Warme Sommernächte sind für Ursula Lübbert (73) mitunter eine Qual. Nicht, weil es ihr zu heiß ist, sondern weil unter ihrem Fenster vor ihrem Friseursalon mal wieder die Post abgeht. Es wird getrunken und gegessen, gelacht und geredet, manchmal auch randaliert oder Schlimmeres – und der Party-Müll oft einfach liegen gelassen. Bei Gewerbetreibenden und Anwohnern im Johannisviertel ist die Wut groß. Deshalb haben sie sich jetzt zu einer Bürgerinitiative zusammengetan: „Jo (wie Johannisviertel) für Witten“ – ein Bekenntnis zur Stadt, die sie sich „schön, sauber und sicher“ wünschen.

An der Spitze der Bewegung stehen Ursula Lübbert und ihre beiden Töchter, die mit ihrem Salon in der Johannisstraße 8 gerade erst 50-Jähriges gefeiert haben. Lübbert spricht von einem Brennpunkt. „Ich wohne seit 13 Jahren über meinem Laden, aber so schlimm war es noch nie.“

Wittener rief in Sommerferien fast täglich die Polizei

Fast täglich habe ihre Mutter in den letzten beiden Ferienwochen die Polizei rufen müssen, weil jüngere Leute nachts auf den Treppenstufen vor ihrem Salon saßen, „sich lautstark unterhielten, Bierchen tranken und uns in den Eingang kotzten“, sagt Karolin Artmeyer (44). „Ich gehe dann runter und sage: Sie sitzen auf unserem Privatgelände“, erklärt ihre Mutter, eine resolute Frau, die unter fünf Brüdern aufwuchs und sich so schnell keine Angst einjagen lässt. „Die Leute verschwinden dann, aber nach einer halben Stunde kommt die nächste Gruppe.“ Gerade freitagabends sei es schlimm.

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Morgens, bevor der Friseursalon geöffnet wird, müssten erst einmal der Schmutz, die Fettflecken von den Stufen entfernt werden. Denn ein paar Meter weiter gibt’s Dönerbuden und Asia-Imbisse – eine Einladung zum Fast-Food-Verzehr an Ort und Stelle oder auf der Mauer am benachbarten Kornmarkt. Aber viel schlimmer finden Ursula Lübbert und ihre Töchter den späten Alkoholverkauf in der Trinkhalle nebenan.

Noch kein Jahr ist Christine Drees mit ihrem Deko-Laden für Trockenblumen im Johannisviertel ansässig. Eigentlich findet sie es schön – wären da nicht die unangenehmen Zwischenfälle. Jemand hat seine Notdurft direkt vor ihrer Tür verrichtet.
Noch kein Jahr ist Christine Drees mit ihrem Deko-Laden für Trockenblumen im Johannisviertel ansässig. Eigentlich findet sie es schön – wären da nicht die unangenehmen Zwischenfälle. Jemand hat seine Notdurft direkt vor ihrer Tür verrichtet. © Augstein

Darin, in der Abgabe von Bier und Spirituosen „rund um die Uhr“, sieht die Bürgerinitiative eine der Hauptursachen für die beschriebenen Probleme, wie es in einem Schreiben heißt. Da helfe es auch nicht viel, dass der Kommunale Ordnungsdienst um sechs Mitarbeiter aufgestockt worden sei. „Die haben ja um 22 Uhr Feierabend“, sagen die Damen vom Friseursalon ernüchtert. Klar, auch die Polizei komme vorbei, könne das Problem aber ebenfalls nicht lösen.

Wittener Bürgerinitiative fordert: Es muss sichtbar etwas passieren

Die Initiative fordert ein Konzept für das erst vor anderthalb Jahren städtebaulich umgestaltete Johannisviertel. „Es muss sichtbar etwas passieren“, sagt Ursula Lübbert. Dabei betont sie ausdrücklich, gemeinsam „mit der Stadt und Polizei“ handeln zu wollen, nicht gegen sie.

Auch die Jugendlichen oder jüngeren Erwachsenen selbst müsse man mit an einen Runden Tisch holen, sagt die Geschäftsfrau. „Wo sollen sie denn hin?“ Und gefeiert hätten sie früher ja auch, aber irgendwann, nach Mitternacht, müsse auch mal Schluss sein. „Hier wird noch nachts um drei Uhr Fußball gespielt.“ Manchmal flögen Flaschen.

Und vor dem noch nicht mal ein Jahr alten Deko-Laden für Trockenblumen an der Ecke zur Obergasse hat erst kürzlich jemand direkt im Eingang sein großes Geschäft verrichtet. Inhaberin Christine Drees (52): „Es ist so traurig, weil es hier eigentlich schön ist. Wir brauchen doch attraktive Geschäfte.“ Doch „irgendwann hat man keine Kraft mehr“. Nach dem Vorfall mit der Notdurft hat sie erst einmal drei Kameras installiert.

Die Trinkhalle in der Johannisstraße ist bis drei Uhr morgens geöffnet. Auch ein paar Meter weiter gibt es noch einen Kiosk.
Die Trinkhalle in der Johannisstraße ist bis drei Uhr morgens geöffnet. Auch ein paar Meter weiter gibt es noch einen Kiosk. © Jürgen Augstein

Das Johannisviertel ist gerade zur Ruhrstraße hin ein lebendiger Knotenpunkt, mit Kornmarkt, Bushaltestelle, zwei Kneipen (Old House und Marktschänke), Imbiss, vielen Schülern, kleinen Läden, Fahrschule, Friseuren – und Trinkhalle beziehungsweise Kiosk. „Die Trinkhalle müsste um zwölf oder ein Uhr nachts schließen“, sagt Karl-Dieter Hoeper (71), der Jahrzehnte eine Fußpflege und ein Geschäft für Gesundheitsschuhe in der Johannisstraße betrieb und heute dort wieder wohnt. Er kennt all die Probleme auch schon aus früheren Zeiten: „Ewig grüßt das Murmeltier.“

Alkoholischen Nachschub in der Trinkhalle holen

Und was sagen die Trinkhallenbetreiber selbst? Natürlich wollen sie sich den Verdienst nicht nehmen lassen, wenn die Supermärkte abends schließen und sich die oftmals schon angetrunkenen Nachtschwärmer bei ihnen Nachschub besorgen. Dass es Probleme in dem Viertel gibt, manchmal auch Streitereien oder sogar Schlägereien, wird gar nicht bestritten. Sie selbst habe Angst um ihren Mann, der nachts arbeitet, sagt die Frau in der Tagesschicht. „Ich hoffe immer, dass ich ihn am ganzen Stück zurückbekomme.“

Zurück zur Bürgerinitiative „Jo… für Witten“. Sie will 3000 Unterschriften oder mehr sammeln und dem Bürgermeister übergeben. In den Geschäften liegen Listen aus, wie bei Friseurin Ursula Lübbert. Die gibt sich kämpferisch. „Wenn die Stadt nichts tut, wenden wir uns an die Kreisregierung. Zur Not gehe ich auch nach Düsseldorf.“