Witten. Andreas Hasenberg fährt den Rechner runter: Wittens IT-Chef geht in den Ruhestand. Die letzten Jahre haben ihn Nerven gekostet. Ein Interview.
Als Andreas Hasenberg 1975 seine Lehre bei der Wittener Verwaltung begann, dauerte es noch ein Jahr, bis Steve Jobs in seiner Garage den ersten Apple-Computer erfand. Als der Stadtinspektor 1988 vom Bauordnungsamt in die EDV wechselte, war gerade das erste Word-Programm von Microsoft auf den Markt gekommen. Wenn Wittens IT-Chef nun mit 65 Jahren in den Ruhestand geht, hinterlässt er seinem Nachfolger eine Verwaltung, die weitgehend digital aufgestellt ist – und gerade erst einen großen Hackerangriff überstanden hat. Im Abschiedsinterview blickt der Bommeraner zurück auf einen Filmdreh von Microsoft, den größten Einschnitt aller Zeiten und erzählt auch, welche Sorge ihn nächtelang um den Schlaf gebracht hat.
In Ihrem Berufsleben hat sich die Technik-Welt dreimal neu erfunden. Erzählen Sie uns daher doch mal bitte von Ihren beruflichen Anfängen.
Als ich mich 1987 für die Technik-Abteilung beworben habe, wurde die EDV der Stadt gerade neu aufgebaut. Vorher durften Kommunen lange Zeit keine eigene Elektronische Datenverarbeitung betreiben. Ich habe damals eine sehr straffe Grundausbildung als Programmierer durchlaufen – in der Sprache „Cobol“, die gibt es heute kaum noch. Von IT sprach damals noch niemand. Wir waren auch kein Amt, sondern nur eine Abteilung mit sechs Mitarbeitern. Heute sind wir fast 50.
+++Folgen Sie jetzt auch dem Instagram-Account der WAZ Witten+++
War Ihr Amts-Leben ein langer, ruhiger Fluss – zumindest bis zum Hackerangriff?
Aber nein. Ruhig war bei uns wirklich überhaupt nichts. Es waren Umbruchzeiten in der EDV und wir waren mittendrin. Ich habe mich dann erst mal ums Thema „Mittlere Datentechnik“ gekümmert. Das war die Stufe nach den Großrechnern, die ja noch bis 1999 liefen. Damit habe ich die Textverarbeitung in die Büros gebracht. Man muss sich vorstellen: Damals hatten wir noch 70 Schreibkräfte, die nichts anderes gemacht haben. Heute haben wir keine mehr.
Vom PC war da noch gar nicht die Rede, oder?
Nein, die kamen erst Anfang der 90er Jahre als Arbeitswerkzeug. Wir haben sie 1995 in die Bürgerberatung gebracht, mit der Beta-Version von Windows 95 – die war also noch gar nicht offiziell auf dem Markt. Damit waren wir so weit vorne, dass Microsoft einen Film bei uns gedreht hat: „So könnte die moderne Verwaltung einmal aussehen.“ Und 1997 sind wir dann bereits mit witten.de online gegangen. Eine Homepage hatte damals auch längst nicht jede Kommune.
Nach dem PC gab es dann aber doch keine Umbrüche mehr, oder?
Doch, sogar einen sehr großen. Ich meine sogar, den tiefsten Einschnitt in der Verwaltung seit den preußischen Reformen des Freiherrn vom Stein. Wir haben den Mitarbeitern die Papier-Akte weggenommen. Die Einführung der elektronischen Akte war wirklich eine große Veränderung. Und die haben wir sehr vorangetrieben, da sind wir heute richtig weit.
Aber hätten wir mit Papier-Akten nach dem Hackerangriff nicht besser dagestanden?
Nein. Die E-Akten waren unser kleinstes Problem. Die sind besonders gesichert und waren das Erste, was wieder funktioniert hat. Papier hingegen birgt eine Scheinsicherheit. Denken Sie an das Ahrtal. Da sind ganze Bestände abgesoffen.
Lesen Sie auch:
- IT-Chef: So ist Witten bei Digitalisierung aufgestellt
- Baustelle Wittener Straße: Geht wirklich nur eine Richtung?
- Witten: Deshalb öffnet ein Fahrradladen nur noch nachmittags
Sie haben sich mit Ihren Ideen und Neuerungen sicher nicht nur Freunde gemacht...
Nein, bestimmt nicht. Aber die Menschen, die sagen „Ach, das brauchen wir nicht“, gibt’s doch immer. Wichtig ist: Mein Chef hat uns damals immer machen lassen, wir hatten viel Spielraum für unsere Ideen. Wir konnten immer am Puls der Zeit bleiben.
Aber wie konnten Sie selbst unterscheiden, was in der Zukunft wichtig wird und was nur eine Spielerei ist?
Indem ich über den Tellerrand geschaut habe. Es gab damals viele Computermessen, und ich habe keine ausgelassen. Ich habe immer nach Lösungen gesucht, die uns in der Stadt weiterbringen können. So bin ich etwa auf den QR-Code auf den Knöllchen gekommen. Damit können sie ihr Strafmandat gleich bezahlen, der Prozess läuft vollautomatisch, und schon ist der Fall abgeschlossen. Das erleichtert vieles – für den Bürger und die Verwaltung.
Womit wir beim digitalen Zeitalter angekommen wären. Und Ihren letzten drei Berufsjahren, die Sie sich sicher anders vorgestellt hatten.
Allerdings. Schon Corona war eine riesige Herausforderung für uns. Plötzlich mussten wir 900 Mitarbeiter im Homeoffice an den Start bringen. Und die Schulen drängten ans Netz, plötzlich war Geld für iPads da. Unter den Corona-Einschränkungen war eine unglaubliche Menge Organisation nötig. Wir brauchten viel Zeit und Nerven, das war echt anstrengend.
Aber noch nicht so anstrengend wie der Hackerangriff, der am 17. Oktober 2021 dann auch noch mittenrein knallte.
Allerdings. Das war richtig schlimm. Ich meine, ich komm aus der IT, ich weiß, was passieren kann. Aber es einmal am eigenen Leib zu erleben, das war richtig schlimm. Niemals hätte ich mir träumen lassen, welche Ausmaße der Angriff haben würde. Wir waren ja als Verwaltung vier Wochen lang praktisch tot.
Das ist der Nachfolger
Andreas Hasenberg scheidet zu 31. Juli aus dem Dienst aus. Ab 1. August übernimmt dann Christian Bleske das Amt für Datenverarbeitung und Kommunikationstechnik.
Für Bleske sind Witten und Stadtverwaltung kein Neuland: Der 53-jährige war persönlich immer in seiner Heimatstadt Witten verwurzelt und vernetzt. Nach der Lehre zum Betriebsschlosser im Wittener Edelstahlwerk führte ihn die Affinität zu Computern in die IT. Nach der Ausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann und ersten Berufsjahren in Volmarstein wechselte Bleske zur Stadt Wuppertal, in der er aktuell als Fachbereichsleiter im Amt für Informationstechnik und Digitalisierung tätig ist.
Seit 2020 sitzt er zudem im Wittener Rat und leitet die Digitalisierungskommission. Ende des Monats wird er aber sein Mandat zurückgeben, um seinen Dienst bei der Stadt aufnehmen zu können.
Wie haben Sie diese Wochen erlebt?
Es war toll zu sehen, wie die Kollegen Gas geben, wenn Not am Mann ist. Wir haben ja praktisch monatelang durchgearbeitet. Es gab so viele kreative Ideen, dafür bin ich dankbar. Und ich bin froh, dass wir von Anfang mit offenen Karten gespielt haben – intern, aber auch nach außen. Das war richtig.
Aber wie ging es Ihnen persönlich in dieser Zeit?
Schlecht. Die ersten 14 Tage habe ich nachts wach gelegen und überlegt: Was muss ich als Nächstes machen? Aber immer war da auch die Frage: Was haben wir falsch gemacht? Hätten wir das Drama verhindern können?
Und? Hätten Sie?
In der Rückschau kann ich sagen: Nein. So einen Angriff kann man niemals ganz ausschließen, höchstens vielleicht zu 95 Prozent. Allerdings würde es uns so jetzt nicht mehr passieren. Wir sind jetzt auf einem ganz anderen Sicherheitsniveau.
+++Keine Nachrichten aus Witten mehr verpassen: Hier geht’s zu unserem kostenlosen Newsletter+++
Kann man sagen: Damit hat der Angriff auch gute Auswirkungen gehabt?
Ja, vielleicht. Wir sind jetzt besser aufgestellt und haben viele Altlasten entsorgt – bei der Hard- wie der Software. Aber das Thema Sicherheit beschäftigt uns bis heute – alles andere läuft wieder. Nur bei der Telefonanlage gibt es wegen der neuen Firewall noch Nachwehen. Das dürfte sich bald erledigt haben. Ich hatte aber gehofft, es wäre ausgestanden, bevor ich gehe.
Welche offenen Baustellen übergeben Sie Ihrem Nachfolger noch?
Da gibt es einige. Der Arbeitsbereich Schule ist für uns richtig groß geworden. Da müssen wir am Ball bleiben. Das Thema IT-Sicherheit wird auch nie zu Ende sein. Und den Bürgerservice wollen wir weiter verbessern. Es dürfte ihm also nicht langweilig werden.