Witten. Weiterer Nachwuchs bei Familie Adebar in Witten: Küken Nummer vier ist geschlüpft. Bekommen wir es zu sehen? Ein Besuch in den Ruhrauen.
Das Wittener Weißstorchenpaar ist für Überraschungen gut: Zu den drei am vergangenen Wochenende geschlüpften Küken hat sich offenbar ein viertes gesellt. Davon zeugt zumindest das Video des Natur- und Hobbyfotografen Thomas Becker. Also nichts wie hin zum Beobachtungsposten in den Ruhrauen und selbst mal gucken, was dort zu sehen ist. Meine Begleitung: Gerald Sell, einer der Vogelexperten der Naturschutzgruppe Witten und Förster bei der Stadt Bochum.
Nachmittags sei das Licht besonders günstig, weiß der Experte von tage- und stundenlangen Beobachtungen an dieser Stelle. Also treffen wir uns gegen 15 Uhr hinter der Unterführung an der Wittener Straße, die von Bommern Richtung Wengern führt. Von dort geht’s auf den Ruhrtalradweg, durch einen Tunnel und dann noch etwa 300 Meter weiter bis zur Bahnbrücke.
Blick vom Ruhrtalradweg reicht bis zum Ardeygebirge
Ein idyllisches Fleckchen. Der Blick schweift über die naturgeschützten Wiesen bis rüber zum Ardeygebirge. Genau gegenüber liegt das Tierheim an der Wetterstraße. Dazwischen: der Horst auf dem Mast – rund 180 Meter entfernt und mit bloßem Auge so gerade zu erkennen. Den Abhang runterklettern – das sei nicht zu empfehlen. Der Naturschützer warnt: „Da bricht man sich alle Knochen.“ Er sei angenehm überrascht, dass das bisher keiner versucht habe. Dank Gerald Sell rückt das Geschehen im Nest aber trotzdem näher.
Auf seinem Stativ befestigt er ein Spektiv, also ein Fernrohr für Naturbeobachtungen. Der erste Blick hindurch ist faszinierend: In 30-facher Vergrößerung ist zu sehen, wie der Storch im Horst sitzt. Ab und zu dreht er den Kopf, reinigt ein wenig sein Gefieder. Die Küken liegen warm und versteckt darunter. Gerald Sell selbst hat zu diesem Zeitpunkt Küken Nummer vier noch nicht gesehen, ist aber natürlich begeistert: „Das wäre super.“
Brutablösung etwa alle zwei Stunden
Die Brutablösung erfolge ungefähr im Zwei-Stunden-Rhythmus, sagt Sell. Warten wir also ab. Und hören, was der Experte zu erzählen hat. Gerald Sell ist ein wandelndes Lexikon, weiß auf alle Fragen eine Antwort. Die Liebe zur Natur liegt in der Familie. Vater Horst hat 1979 mit Unterstützung seiner beiden Söhne die Naturschutzgruppe gegründet.
Gerald Sell schätzt, dass die Küken jetzt etwa 25 Zentimeter groß sind. Die Eltern füttern überwiegend Regenwürmer. „Die sind für die Kleinen leicht zu schlucken.“ Mit steigenden Temperaturen kommen Insekten dazu, später auch Schlamm- und Wasserschnecken sowie Mäuse. Im Alter von sieben Wochen seien die Jungtiere ausgewachsen. Sie erreichen eine Flügelspannweite von rund zwei Metern und wiegen etwa drei bis vier Kilo. Sie verlassen das Nest für erste Erkundungsflüge und üben, auf dem Boden keine Bruchlandung hinzulegen.
Nach einer Stunde tut sich endlich was im Horst
Eine Stunde stehen wir jetzt hier. Die Action im Horst hält sich in Grenzen. Dafür rattert ab und zu ein Zug vorbei. „Das stört die Störche nicht“, beruhigt Sell. Viele Radfahrer sind unterwegs. Eine vierköpfige Rentnertruppe aus Witten stoppt. Die Herren wissen, warum wir hier sind und zeigen sich sehr interessiert.
Plötzlich tut sich was im Nest. Der Storch erhebt sich. Er ist beringt, also handelt es sich um die Storchenmama. Sie würgt Nahrung aus und füttert damit die Küken. Kleine Köpfchen ragen über den Rand des Nestes. Immer geht es auf und ab, nie sind alle gleichzeitig zu sehen. Dann kackt die Mutter in hohem Bogen, setzt sich wieder gemütlich zurecht – das war’s. Vom Vater keine Spur.
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Dafür sichtet Sell einen Rehbock im hohen Gras. Eine trächtige Ricke sei in den Ruhrauen ebenfalls anzutreffen. In etwa zwei Wochen müsste das Kitz da sein. Auch ein Fuchs sei hier unterwegs. Am Himmel kreist gerade ein Mäusebussard – aber kein Storch.
Eine weitere Stunde später erhebt die Mama sich erneut – für dieselbe Prozedur. „Das ist der Vorführeffekt“, bedauert Gerald Sell. Zwar liegt das Nest jetzt schön in der Sonne, doch auf dem Beobachtungsposten wird es langsam kühl. 30 Minuten später geben wir auf. Jedenfalls für heute. Tschüss, Familie Adebar, und bis bald.