Witten. Witten hat kaum Kapazitäten, um weitere Flüchtlingskinder beschulen zu können. Eine Lösung wäre eine Zusatz-Klasse an der Grundschule Herbede.

Zu viele i-Dötzchen in Witten sorgen für organisatorische Probleme. Für das im August beginnende neue Schuljahr verzeichnen alle Grundschulen in Witten besonders hohe Anmeldezahlen. Hinzu kommen aber so viele Flüchtlingskinder, dass es fast keine Schule im Stadtgebiet mehr gibt, die diese aufnehmen könnte. Nun gibt es die Idee, an der Herbeder Grundschule eine weitere Klasse vorzuhalten. An einer Schule mit hohem Sozialindex, in der es bislang lediglich ein Flüchtlingskind gibt.

Vor einigen Wochen hat sich die Schulamtsdirektorin des EN-Kreises Maria Reusch bei der Wittener Schulverwaltung gemeldet: Die Zuweisung von Flüchtlingskindern an Wittener Schulen werde immer schwieriger, da es kaum noch freie Schulplätze gebe. Vor allem die Grundschulen in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft an der Brauckstraße in Rüdinghausen seien bereits komplett ausgelastet.

Zuwachs an Schülerzahlen nicht kalkulierbar

Aus der Praxis berichtet Simone Noll, Konrektorin an der Rüdinghauser Grundschule, die von vielen Kindern der Unterkunft besucht wird: Es erschwere die Integration in den Schulalltag, dass die Kinder zu verschiedenen Zeitpunkten eingeschult werden und sie sich – weil aus verschiedensten Ländern kommend – untereinander nicht verständigen können. „Man kann sie also schlecht in Gruppen separat unterrichten.“

Dieser Zuwachs an Schülerzahlen sei vorab nicht kalkulierbar gewesen, so Dörthe Diefenbruch, Grundschulsprecherin und Leiterin der Pferdebachschule. Dem Schulentwicklungsplan liegen die Geburtenzahlen zugrunde. Die große Unbekannte sei die Zahl an zuziehenden Kindern. Und: Infolge der Coronapandemie haben viele Kinder Lernrückstände und müssen ihre Klasse wiederholen. „Den jetzigen Erst- und Zweitklässlern fehlt in der Summe ein Kindergartenjahr. Das hat bis jetzt Auswirkungen.“

Priorität: Jedes Kind im Wohnumfeld einschulen

Zum Schuljahr 2023/2024 muss die Stadt darum eine zusätzliche Klasse schaffen. Schuldezernent Frank Schweppe spricht von einer „Mehrklasse“. Es werde nicht die Zügigkeit einer Schule erhöht, vielmehr geht es um Räume und Personal, die die Stadt für den Fall der Fälle vorhalten möchte. „Es gibt keine Warteliste mit unversorgten Flüchtlingskindern. Aber wir wissen ja nicht, was kommt.“ Weiterhin gelte das Prinzip: Kurze Beine, kurze Wege. Jedes Kind solle in seinem Wohnumfeld zur Schule gehen. „Aber Grundschulen wie Heven oder Bommern sind nunmal voll.“

Groß genug für die Herbeder Kinder und eine weitere Klasse: Die Wilhelmschule in Witten-Herbede.
Groß genug für die Herbeder Kinder und eine weitere Klasse: Die Wilhelmschule in Witten-Herbede. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Im Schulausschuss am Dienstag (23.5.) soll darüber beraten werden, wo diese Flüchtlingsklasse angesiedelt werden kann. Nachdem mehrere Standorte geprüft wurden, bleibt nach einem Schreiben des Schuldezernenten ein Favorit: die Grundschule Herbede.

Herbeder Grundschule seit Kurzem einzügig

Zunächst wurde eine Beschulung in einem zusätzlichen Container auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft Brauckstraße geprüft – und verworfen, unter anderem weil viele Flüchtlinge dort nur kurzzeitig wohnen und dann umziehen. Geprüft wurden auch die Harkortschule in Stockum und die Pferdebachschule. Beide sind bereits so voll, dass sogar die Vergabe von OGS-Plätzen schwierig wird. Als dritte Möglichkeit kam die auslaufende Freiligrath-Hauptschule in Betracht. Hier taten sich die Verantwortlichen schwer damit, die Sechs- oder Siebenjährigen zusammen mit den Hauptschülern zu beschulen.

3200 Geflüchtete leben in Witten

Die Unterbringung von Flüchtlingen hat die Stadt Witten bislang nicht vor Probleme gestellt, da die Kapazitäten in der Unterkunft Brauckstraße ausreichend groß sind. Anders sieht es mit der Finanzierung der Versorgung aus. 7,2 Millionen Euro muss Witten mit seinem klammen Haushalt jährlich bezuschussen, den Rest zahlen Bund und Land.

3200 geflüchtete Menschen, ein Drittel davon aus der Ukraine, leben zurzeit unter den 98.000 Wittenern. Wie viele davon aktuell schulpflichtig sind, wissen weder EN-Kreis noch Stadt, die Datenerhebung laufe gerade.

In Herbede leben zwar kaum Flüchtlinge, die Wilhelmschule hat aber räumliche Kapazitäten. Denn im August 2022 wurde die bislang zweizügige Schule im recht kinderlosen Stadtteil zur Einzügigkeit zurückgestuft, zum Bedauern des gesamten Dorfes. Bislang profitierte Herbede im Vergleich zu anderen Wittener Grundschulen von kleinen Klassen und einer komfortablen Ausstattung. Nach Auskunft der Schulaufsicht des EN-Kreises besucht bislang nur ein einziges Flüchtlingskind die Wilhelmschule. Weitere Flüchtlingskinder könnten demnächst mit einem Schülerspezialverkehr in den Stadtteil gebracht werden. Die Geflüchteten sollen mit den Herbeder Kindern in zwei Klassen gemischt werden.

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Man merkt Frank Schweppe an, dass er mit vielen Argumenten gegen eine Herbeder Flüchtlingsklasse rechnet. Er betont aber, dass es sich um eine Vorsichtsmaßnahme handelt. „Es ist doch besser, vorhandene Ressourcen zu nutzen, als irgendwo Container aufzustellen, die dann nicht genutzt werden.“ Für die Mehrklasse könnte auch eine Lehrerin, die wegen der sinkenden Schülerzahl die Schule im Sommer verlassen sollte, weiter in Herbede eingesetzt werden – egal ob nun Flüchtlingskinder kommen oder nicht.