Witten. Der Iran hat Wittens EU-Abgeordneten Dietmar Köster mit Sanktionen belegt. Was das für ihn bedeutet, verrät er im Interview mit der Redaktion.
Der Iran hat Ende Januar Sanktionen gegen 33 europäische Einzelpersonen und Unternehmen verhängt. Auf der Liste steht etwa auch Gérard Biard, Chefredakteur der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo – und der für Witten zuständige Europaabgeordnete Dietmar Köster (66) aus Wetter, der seit 2014 im EU-Parlament sitzt. Ihnen wird etwa die Unterstützung von Terrorismus, Einmischung in innere Angelegenheiten des Iran sowie Schüren von Gewalt und Unruhen vorgeworfen. Der heimische SPD-Politiker setzt sich im Menschenrechtsausschuss und im Auswärtigen Ausschuss der EU für die Revolution und die Demokratiebewegung im Iran ein. Wir sprachen mit ihm darüber, was die Sanktionen für ihn bedeuten und wie es nach dem Korruptionsskandal in seiner Fraktion weitergeht.
Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass der Iran Sie mit Sanktionen belegt hat?
„Ich habe wirklich nicht damit gerechnet. Ich habe es von einer Mitarbeiterin erfahren, während ich gerade in einer Sitzung der Israel-Delegation saß. Ich war überrascht. Die Nachricht hat mich aber nicht beunruhigt.“
Wissen Sie, warum der Iran ausgerechnet Sie auf die Liste gesetzt hat?
Ich habe den Verlauf der Revolution im Iran von Beginn an verfolgt. Spätestens als die ersten Aufständischen vom Mullah-Regime hingerichtet wurden, war ich zutiefst empört und wusste, da müssen wir aktiv werden. Ich habe mich im Parlament immer für einen strikten Umgang mit dem Iran stark gemacht. So habe ich mich etwa dafür ausgesprochen, dass die iranische Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste gesetzt wird und die Sanktionen verschärft werden sollten. Ich habe mich auch gegen eine Wiederbelebung des Atom-Abkommens mit dem Iran gestellt. Denn es hat sein Atomprogramm ohnehin vorangetrieben. Für mich ist der Iran ein frauen- und queerfeindliches sowie antisemitisches Regime – und das habe ich auch immer so benannt. Ich denke, das werden die Gründe sein.
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Welche Sanktionen wurden genau gegen Sie verhängt?
Ich darf nicht mehr in den Iran einreisen. Auch ein eventuelles Vermögen, das ich dort besitzen könnte, wäre eingefroren. Da ich weder vorhatte, dorthin zu reisen noch Vermögen dort habe, berühren mich die Sanktionen also nicht unmittelbar. Wir sind in meinem Team aber achtsamer geworden. Denn wir wissen nicht, ob wir im Fokus der iranischen Behörden stehen.
Schränkt Sie das in Ihrer Arbeit ein?
Nein, es hat mich eher ermutigt und überrascht, dass der Iran denkt, ich sei es wert, auf seine Sanktionsliste zu kommen. Also muss meine Arbeit dazu beigetragen haben, die Mullahs aufzuschrecken. So gesehen ist das auch eine Art Auszeichnung. Es motiviert mich noch mehr, an der Seite der Frauen und Männer, die für einen demokratischen Iran demonstrieren, zu stehen. Wir dürfen jetzt nicht nachlassen.
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Was heißt das konkret?
Ich habe kürzlich die Patenschaft für einen Gefangenen im Iran übernommen, er heißt Danush Kiadehi. Ihm droht die Todesstrafe. Ich habe an den iranischen Botschafter in Berlin geschrieben und seine Freilassung gefordert. Ich fordere auch, dass er einen Rechtsbeistand erhält und Verwandte ihn besuchen dürfen. Die Öffentlichkeit bietet Gefangenen eine gewisse Schutzfunktion. Ich hoffe, dass wir so zumindest das Schlimmste verhindern können und er nicht exekutiert wird.
Was muss sonst noch geschehen?
Sehr wichtig bleibt, die iranische Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzen. Im EU-Parlament habe ich dafür gekämpft und es gab eine Mehrheit dafür. Leider haben die EU-Außenministerinnen und -außenminister unserer Forderung nicht nachgegeben und es abgelehnt, die Garde so einzustufen. Für mich ist das eine Unterwanderung des Aktivismus der Menschen im Iran, die sich dort für einen demokratischen Wandel einsetzen. Aber ich bleibe dran und werde das Thema erneut auf die politische Agenda setzen.
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Das EU-Parlament wird ja gerade von einem Korruptionsskandal gebeutelt. Die Ex-Vizepräsidentin des Plenums, Eva Kaili, soll Bestechungsgelder aus Katar angenommen haben. Wie sehr trifft Sie dieser Fall in der eigenen Fraktion? [Köster und Kaili gehörten beide der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) im Europäischen Parlament an. Kaili wurde noch im Dezember ausgeschlossen.]
Es ist wirklich kaum zu ertragen. Gerade weil sich die Sozialdemokratie die Bekämpfung von Korruption auf die Fahnen geschrieben hat. Die Arbeit von 144 anderen S&D-Abgeordneten wird dadurch in Misskredit gezogen. Ich erinnere mich gut an unsere erste Fraktionssitzung nach Bekanntwerden des Skandals. Kaum jemand hat gesprochen, alle waren in Schockstarre. Kaum einer hätte das für möglich gehalten.
Wie gut kannten Sie Frau Kaili?
Persönlich gar nicht. Auch in der Fraktion hat sie bei Debatten kaum eine Rolle gespielt. Sichtbar wurde sie erst in der Diskussion um die Katar-Resolution im Zuge der Weltmeisterschaft. Sie hat versucht, die Abstimmung zu verzögern, und schlug vor, sie erst nach Ende der WM zu beraten. Sie hat auch für eine Entschärfung des Textes plädiert. Man solle in der Verurteilung des Landes nicht zu weit gehen. Aber diese Vorstöße haben keine Mehrheit gefunden.
Doktor der Sozialwissenschaft
Dietmar Köster wurde am 6. Januar 1957 in Schwerte geboren. Er studierte Sozialwissenschaften in Bochum und promovierte später in Dortmund zum Thema Geragogik, der Wissenschaft der Altersbildung. 2012 wurde er zum Professor für Soziologie an der Fachhochschule Dortmund berufen, ist aber seit seiner Wahl ins Europäische Parlament 2014 beurlaubt.
Köster trat 1975 in die SPD ein. In den 80er-Jahren engagierte er sich in der Friedensbewegung, unter anderem als Mitorganisator der Ostermärsche Ruhr. Später war er Orts- und Stadtverbandsvorsitzender seiner Partei in Wetter. Von 2002 bis 2004 und wieder seit 2006 ist er Mitglied im Landesvorstand der NRW-SPD. 2019 wurde er zum zweiten Mal ins Europaparlament gewählt.
Wie läuft die interne Aufarbeitung des Falls?
Es geht jetzt darum, Vertrauen zurückzugewinnen. Dafür müssen wir klare Kante zeigen. Die S&D-Fraktion hat zeitnah einen 15-Punkte-Plan gegen Korruption erarbeitet, der über den Vorschlag von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hinausgeht. Wichtig ist uns, dass auch Drittstaaten in der Transparenzliste erfasst werden. Es muss für die Öffentlichkeit grundsätzlich sichtbar sein, mit wem sich welcher Abgeordnete trifft. Wir in der Fraktion handeln bereits danach. Whistleblowerinnen und Whistleblower, die auf Unregelmäßigkeiten hinweisen, müssen künftig auch besser geschützt werden.
Denken Sie, so lässt sich die Korruption im EU-Parlament eindämmen?
Natürlich müssen auch die Strafbehörden ihren Job machen. Menschen mit krimineller Energie können sich auch außerhalb von EU-Gebäuden treffen. Es ist also nie möglich, so etwas zu 100 Prozent auszuschließen. Wir müssen aber die Rahmenbedingungen so setzen, dass es möglichst schwierig wird.