Witten. Roullah studiert an der Uni in Witten. Er hätte nie geahnt, dass sich die Ereignisse im Iran 15 Monate nach seiner Ausreise überschlagen würden.

Roullah stammt aus dem Iran und studiert jetzt in Witten. Die Proteste in seiner Heimat wecken bei ihm Hoffnungen auf einen politischen Wandel. Gleichzeitig ist er sehr besorgt.

Vor rund 15 Monaten kam der junge Mann aus der Hauptstadt Teheran in die Ruhrstadt, um an der Uni Witten/Herdecke Wirtschaft und Philosophie zu studieren. Als gelernter Architekt suchte er noch eine neue Herausforderung. Der heute 29-Jährige wollte gerne nach Deutschland und fand das Angebot der heimischen Uni attraktiv. Mit Familien und Freunden steht er weiterhin in enger Verbindung. Doch bei allen Kontakten ist Vorsicht geboten. Die Geheimdienste seien der Lauscher an der Wand. Man müsse davon ausgehen, dass viele oder fast alle Nachrichten mitgelesen werden.

Auf die Wucht der Proteste habe nichts hingedeutet, sagt der Student aus Witten

Auf eine solche Wucht der Proteste, die der Iran nach dem Tod einer jungen Frau seit einigen Wochen erlebt, habe noch vor wenigen Monaten nichts hingedeutet, sagt Roullah. Seinen Nachnamen möchte er nicht öffentlich nennen und sein Gesicht nicht zeigen. Er weiß, wie hart das Regime zuschlagen kann. Rund 20 Freunde seien mittlerweile in Haft, sagt der Iraner, darunter Musiker, Autoren und Journalisten.

Er selbst hat sich auch schon mehrfach an Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Mullahs beteiligt, unter anderem an der Uni in Teheran, die er lange Zeit besuchte. Zum Glück sei ihm aber nie etwas passiert und auch nicht seiner Mutter (57), die schon seit Jahren für die Rechte der Frauen kämpfe.

„Jetzt ist alles ganz anders“

Der jetzigen Proteste haben nach seinen Beobachtungen einen ganz anderen Charakter als alle anderen Bewegungen der vergangenen Jahre. Es habe zwar auch sonst immer einen Anlass gegeben, der die Leute auf die Straße getrieben habe. Dieses Mal sei es Tod von Mahsa Amini gewesen, die nach der Festnahme durch die iranische Sittenpolizei starb. Doch früher hätten Anführer die Protestaktionen gelenkt und organisiert, wie beispielsweise 2009“, sagt der Student.

„Jetzt ist alles ganz anders. Heute protestieren die Menschen in der einen Stadt und morgen in einer anderen.“ Augenscheinlich seien die Zusammenkünfte spontan und man habe den Eindruck, dass sich die Leute auch ohne große Absprachen versammeln. Roullah ist beeindruckt, wie viele seiner Landsleute sich auf die Straße trauen, obwohl sie damit rechnen müssen, festgenommen zu werden.

Für die Rechte der Frauen im Iran demonstrierten Studentinnen der Uni Witten/Herdecke bei einer Demo auf dem Campusgelände
Für die Rechte der Frauen im Iran demonstrierten Studentinnen der Uni Witten/Herdecke bei einer Demo auf dem Campusgelände © Malte Langer

Der Protest zieht sich nach seinen Beobachtungen inzwischen durch alle Schichten und ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen. Längst habe er auch die Ölindustrie erreicht. Arbeiter legten dort die Arbeit nieder, um zu protestieren. Die Welle sei inzwischen sogar in den Schulen angekommen. „Junge Frauen haben den Mut, ihre Kopfbedeckung abzulegen“, sagt der junge Mann. Man dürfe nicht vergessen, dass „sie ihr Leben riskieren“. Im Netz kursierten Informationen, dass Schergen des Regimes sogar schon Schülerinnen getötet haben sollen, die sich nicht an die Regel gehalten haben.

Das Kopftuch sei das Symbol für die Unterdrückung der Frauen im Iran, sagt Roullah. Doch mehr und mehr sähen die Menschen darin auch ein Zeichen für die brutale Herrschaft der Mullahs über die gesamte Gesellschaft.

Solidaritätsaktion auf dem Campus der Uni Witten/Herdecke

Natürlich befürchtet er, dass das Regime auch dieses Mal mit harter Hand alle Proteste niederschlägt. Tote und Verletzte habe es ja schon in größerer Zahl gegeben. Sorge bereitet ihm vor allem, was mit seinen Freunden und den engsten Verwandten geschieht. Seine Gedanken sind oft bei der Mutter, dem Vater (60) und seinem 25-jährigen Bruder im Iran.

Um auch von Witten aus ein Signal zu senden, hat sich Roulla an einer Kundgebung gegen das Mullah-Regime auf dem Campus der Uni Witten/Herdecke beteiligt. An die 100 Studierende waren einem privaten Aufruf gefolgt. Dass inzwischen überall auf der Welt Menschen Solidarität mit dem Iran bekunden, das habe es in der Form früher auch noch nicht gegeben, sagt der 29-Jährige.

Bei der Protestaktion auf  dem Campus der Uni kritisierten Redner das Vorgehen des iranischen Regimes gegen die Proteste
Bei der Protestaktion auf dem Campus der Uni kritisierten Redner das Vorgehen des iranischen Regimes gegen die Proteste © Malte Langer

podcast-image