Witten. Jede Woche kommen weitere Flüchtlinge aus der Ukraine nach Witten. Derzeit vor allem aus Cherson. Sie berichten von grausamen Zuständen vor Ort.
Wenn Olga Tape ihren Whatsapp-Verlauf öffnet, tauchen dort lauter Nachrichten von Absendern auf, die sie noch gar nicht persönlich kennt. Es melden sich Menschen aus der Ukraine, die vor den russischen Angriffen in ihrem Land flüchten wollen. Seitdem der Krieg im Februar ausgebrochen ist, hat die Ukraine-Initiative um Tape schon rund 250 Erwachsene und deren Kinder in Witten in Sicherheit gebracht.
Die Hilfsbereitschaft der 53-Jährigen hat sich rumgesprochen. Täglich wird die Liste länger. „Wenn Menschen in Lebensgefahr sind, kann ich einfach nicht Nein sagen“, so die Wittenerin. Erst in der vergangenen Woche seien weitere 22 Ukrainerinnen und Ukrainer aus Cherson gekommen. Darunter Kinder, Alte und Kranke. Erst seit dem Rückzug der russischen Truppen aus Cherson sei es den meisten Menschen von dort möglich zu flüchten.
„Fast alle Krankenhäuser zerstört“: Krebskranke wird nun in Witten behandelt
Eine von ihnen ist Anna Tkachenko. Sie ist mit ihrer 59-jährigen Mutter gekommen, die vor ein paar Monaten an Magenkrebs erkrankt ist. Die beiden Frauen sind von Cherson aus zunächst auf die Krim gefahren, um sie dort behandeln zu lassen. „In unserer Heimat haben die russischen Truppen fast alle Krankenhäuser zerstört. Dort hatte man keine Kapazitäten für meine Mutter“, erzählt Tkachenko. Aber auch auf der Krim hatten die Frauen kein Glück. „Man sagte uns: Ohne einen russischen Pass und ohne, dass wir russisch sprechen, könne man uns nicht weiterhelfen“, erzählt die 35-Jährige weiter.
So habe es keine andere Möglichkeit gegeben, als das Land zu verlassen. Über Litauen ging es weiter nach Polen und von dort aus nach Deutschland. „Wir waren fünf Tage unterwegs“, so Tkachenko. Immer wieder seien sie angehalten und ihre Handys kontrolliert worden. „Wir hatten große Angst zu sterben“, sagt die junge Frau. Nun werde ihre kranke Mutter in Witten behandelt.
„Wir können nicht zurück“: Tkachenko über grausame Zustände in Cherson
Ihr ganzes Leben haben sie eine Tasche gepackt und den Rest der Familie zurückgelassen, erzählt Tkachenko weiter. In Cherson wohne auch noch ihr Ehemann (36), der im März zwei Monate von den russischen Truppen in Gefangenschaft gehalten worden und brutal misshandelt worden sei. „Sie haben ihn mehrfach lebendig vergraben, bis er ohnmächtig wurde, um ihn anschließend wieder auszugraben und ihn mit kaltem Wasser und Schlägen aufzuwecken“, erzählt Tkachenko mit Tränen in den Augen. Nachweisen lassen sich diese Aussagen nicht.
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Aus Angst, an der Grenze wieder festgenommen zu werden, sei er nicht mitgeflüchtet. Man wolle ihn sowie den Rest der Familie aber „sobald wie möglich“ nachholen. „Wir können jedenfalls nicht zurück“, sagt die Ukrainerin. Die Zustände vor Ort seien grausam: kein Strom, keine Heizung, kein fließendes Wasser – und das bei Minusgraden in der Nacht sowie der ständigen Angst vor weiteren Angriffen. „Von 22 Uhr bis sechs Uhr morgens ist Ausgangssperre“, sagt Tkachenko. „Wer zu der Zeit das Haus verlässt, wird erschossen.“
Wittener werden gebeten zu helfen
Die Ukraine-Initiative ist laut Tape weiterhin auf Sachspenden- und Geldspenden angewiesen. „Erst letzte Woche haben wir eine ganze Ladung Taschenlampen nach Cherson geschickt“, berichtet die 53-Jährige. Für die Menschen, die nach Witten kommen, brauche man Kleidung, Medikamente, Möbel, Haushaltsmittel, aber vor allem Unterkünfte. „Ein großes Haus, in dem viele Menschen unterkommen können – am besten mit zehn bis zwölf Zimmern – das wäre optimal“, sagt Tape.
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Wer helfen kann und möchte, erreicht Olga Tape jederzeit unter 0175/8798224 oder per Mail an hilfemenschen@gmail.com.