Witten. Olga Tape hat ihre Bestimmung gefunden. Sie steht maßgeblich hinter der Ukraine-Hilfe in Witten. Dabei hatte sie selbst kein leichtes Leben.
Es war ein bewegendes Fest, die Feier für die Ukraine-Helferinnen und -Helfer mit den Flüchtlingen am Wochenende in der Pop-Akademie. Hinter all dem steht Olga Tape (52), jene Frau, der die Hilfe für ihre Landsleute schon seit Jahren eine Herzenssache ist. Sie war es, die am Samstag im Namen der „Ukraine-Hilfe Witten“ dazu eingeladen hatte, unterstützt von vielen anderen Freiwilligen, dem Lions Club Witten-Mark und der Creativen Kirche. Es wurde getanzt, gelacht und gegessen, und es fehlte nicht an ebenso fröhlichen wie wehmütigen Darbietungen auf der Bühne. Beim Tanz im Kreis machte sogar der Bürgermeister mit. Und natürlich eine Olga Tape, die sich auch von einer Fußverletzung und einem dicken Stabilisierungsstiefel nicht stoppen ließ. Wir sprachen mit der Hevenerin über die Gründe für ihr Engagement, wie sie nach Deutschland kam und was sie an Witten schätzt.
Frau Tape, Sie sind 1995 als junge Frau nach Deutschland gekommen, 2008 nach Witten. Was war damals der Grund, dass Sie ihr Land verlassen haben?
Ich habe mich in Dortmund in einen Deutschen verliebt, als ich hier zu Besuch bei Freunden aus der damaligen Sowjetunion war. Wir haben zuerst in Herdecke gelebt. Ich habe ein Kind bekommen. Leider ist mein erster Mann bei einem Unfall tödlich verunglückt. In Essen lernte ich meinen zweiten Mann kennen, der sich später das Leben nahm. Da meine Schwester in Witten lebte, bin ich dann hierhin gezogen.
Wie fing Ihr Engagement für die Ukraine an?
Da ich allein war und eine persönliche Krise durchmachte, bin ich zu meiner Mutter in die Ukraine gereist, nach Cherson. Dort habe ich wieder neuen Lebensmut gefasst und auch zur Kirche gefunden. Und ich entschied mich, etwas Gutes für mein Land zu tun. Da in Deutschland Überfluss herrscht, habe ich 2008 die ersten Hilfstransporte in die Ukraine organisiert.
Und dann kam der Krieg. Hätten Sie jemals damit gerechnet?
Nein. Ich habe immer geglaubt, da gibt’s einen anderen Weg.
Als Putin am 24. Februar die Ukraine angriff, wussten Sie da sofort: Jetzt werden viele Menschen unsere Hilfe brauchen?
Ja. Ich habe um fünf Uhr morgens einen Anruf meiner Freundin gekriegt, Cherson werde bombardiert. Zwei Tage stand ich wie unter Schock, weil ich nicht wusste, wo ich so schnell Hilfe herholen sollte. Dann haben mir verschiedene Organisationen Hilfe angeboten.
Sie haben dann gleich die ersten Transporte organisiert?
Ja, Ende Februar, Anfang März konnten wir – auch nach einem Bericht in der WAZ – viele Hilfsgüter nach Cherson schicken. Lebensmittel, Pampers, Medizin, Shampoo, Zahnpasta, Schlafsäcke, Decken...
Wann kamen die ersten Menschen zu Ihnen nach Witten?
Eine krebskranke Frau mit drei Kindern war gleich nach Kriegsausbruch mit dem Auto nach Witten gefahren. Sie haben mir dann direkt beim ersten Transport geholfen. Auch eine Frau aus Butscha war dabei. Nach einem weiteren Bericht in der WAZ haben sich viele Menschen bei mir gemeldet und Wohnungen angeboten. Über Facebook etc. wurde meine Telefonnummer in der Ukraine geteilt, so dass sich viele Ukrainer bei mir gemeldet haben, die fliehen wollten.
Wie vielen Menschen konnten Sie inzwischen eine Wohnung vermitteln?
Ungefähr 90 Personen.
Wie sind die Ukrainer hier inzwischen angekommen, all die Kinder, die Mütter?
Sie fühlen sich durch unsere Arbeit, die Ukraine-Hilfe, sehr gut. Wir wollen, dass sie gut integriert werden. Sie sind auch sehr glücklich, weil sich die Deutschen so um sie kümmern. Die Kinder verbringen zusammen ihre Freizeit, sie fühlen sich dadurch wie zuhause.
Der Zusammenhalt unter den Ukrainern ist sehr stark.
Ja, wir helfen uns auch untereinander. Wir haben eine zentrale Stelle, wo Kleidung gesammelt wird, von der Firma Wischmann kriegen wir jedes Wochenende umsonst einen Bus und holen damit gespendete Möbel, Elektrogeräte, Lebensmittel oder Medizin für die Flüchtlinge ab.
Wie verarbeiten die Menschen ihre schrecklichen Erlebnisse und wie geht es Ihnen, wenn Sie die Nachrichten aus der Ukraine hören und sehen?
Ich bin ganz entsetzt und traurig, mein Herz weint. Ich liebe die Ukraine, ich habe dort gelebt. Das ist eine Katastrophe, eine grausame Geschichte. In meiner Arbeit finde ich Trost und Hoffnung, dass durch sie meine Landsleute wieder gestärkt werden.
Man hört, dass Ukraine-Flüchtlinge inzwischen wieder zurückkehren. Ist das auch in Witten der Fall?
Ich kenne nur eine Familie, die zurückgekehrt ist. Ich sehe großen Sinn darin, wenn die Menschen hier integriert werden und etwas vom deutschen Leben lernen. Das können sie dann in der Ukraine verwenden, wenn sie zurück sind. Von der katholischen Kirche in Annen haben wir Räume bekommen, wo traumatisierte Kinder betreut werden. Sie sind alle traumatisiert. Sie haben Waffen gesehen, im Keller gelebt, manche haben ihre Verwandten verloren, Bomben und Sirenen gehört. Wir kochen auch mit den Erwachsenen gemeinsam, singen, tanzen oder nähen. Das ist wie Therapie, damit die Menschen die schrecklichen Erlebnisse schnell verarbeiten.
Wo steht die von Ihnen organisierte Ukraine-Hilfe heute, drei Monate nach Kriegsbeginn?
Wir sind eine ganz große Familie geworden. Mein Leben hat sich dadurch stark verändert und ich bin glücklich darüber.
Was ist Ihr größter Wunsch?
Mein größter Wunsch ist Frieden, Liebe zwischen den Menschen und nicht Feindschaft. Und dass die Ukrainer eine ganz neue Ukraine bekommen. Eins weiß ich: Die Liebe besiegt den Krieg.