Witten. Nur wenige Gäste sind am Volkstrauertag zur Gedenkstunde ins Wittener Rathaus gekommen. Auch Bürgermeister König zeigte sich enttäuscht.
Der Volkstrauertag am Sonntag (13.11.) hat nur wenige Menschen ins Wittener Rathausfoyer gelockt. Viele Stühle blieben leer. Bürgermeister Lars König, der gemeinsam mit Pfarrer Wolfram Linnemann durch die Veranstaltung führte, zeigt sich bei der anschließenden Kranzniederlegung im Lutherpark sichtlich enttäuscht: „Ich muss gestehen, ich hätte mir an diesem Tag mehr Zuspruch gewünscht.“
Keine 20 Wittener hatten sich am Sonntag im Rathaus versammelt, um der Opfer von Krieg, Terror und Verfolgung zu gedenken. Menschen unter 30 suchte man hier vergebens, ein Großteil der Gäste ist bereits im Rentenalter oder hat eine persönliche Verbindung zum Trauertag. Außer Bürgermeister König und Ratsmitglied Volker Pompetzki (beide CDU) waren auch keine Vertreter aus der Politik anwesend.
Wittener Pfarrer erinnert an die Geschichte seiner Großvaters
Etwa eine Stunde dauerte die Gedenkstunde, bei der Pfarrer Wolfram Linnemann und der Bürgermeister sprachen. Auch Linnemann hat eine persönliche Verbindung zum Krieg. Er erzählte den Zuhörern, dass sein Großvater Oskar in beiden Weltkriegen gekämpft hat. Im Jahr 1941 zog er als Teil des sogenannten Russlandfeldzuges gen Osten und kehrte ein Jahr später verwundet zurück. Ein Granatsplitter hatte Linnemann am rechten Arm getroffen, er musste amputiert werden. Die Eingliederung in die Gesellschaft – vor dem Krieg war Oskar Linnemann Lehrer an der Breddeschule – sei nicht leicht gewesen, sagt sein Enkel. Der Kriegsveteran habe noch lange Zeit unter Alpträumen gelitten.
Dennoch ist Pfarrer Linnemann zwiegespalten, wenn es um den Volkstrauertag geht. „Ich muss zugeben, dass ich lange Zeit keinen Zugang zu diesem Feiertag hatte. Ich bin aufgewachsen in dem Bewusstsein, mich abzugrenzen von allen, die diesen Tag noch als Heldengedenktag sahen.“ Als Kriegsdienstverweigerer und Mitglied der Friedensbewegung der 80er Jahre war ihm diese Abgrenzung wichtig. Doch heute reiche bloße Abgrenzung nicht mehr aus. „Es ist sehr wohl richtig und wichtig, an die Toten der Kriege zu erinnern. Die Kriegsgräber sind zugleich Mahnmale für den Frieden“, bekräftigte Linnemann im Rathaus.
Linnemanns Worte bewegen die Zuhörer sehr
Linnemanns Worte haben Zuhörerin Annegret Scheiker sehr bewegt. Auch bei ihr wurden Erinnerungen wach. Die 80-Jährige hat im Alter von zwei Jahren bei einem Bombenangriff auf die Wittener Innenstadt Tante und Großmutter verloren. Beide hatten in einem Waldstück Schutz gesucht und wurden von einer Fliegerbombe getötet. Scheiker und ihre Mutter überstanden den Angriff im Keller eines Nachbarn. „Den Bombentrichter im Waldstück konnte man Jahre später noch sehen“, sagt die Wittenerin. „Als Kinder haben wir da noch gespielt, aber jetzt bin ich zu feige, um noch mal hinzugehen und zu gucken, ob er noch da ist.“
Sowohl Pfarrer Linnemann als auch Bürgermeister Lars König nahmen in ihren Reden Bezug auf Russlands Angriff auf die Ukraine. „Es könnte alles so schön und so friedlich sein“, so König mit Blick auf die nahende Adventszeit. Ist es aber nicht. „Dass wir heute trotzdem so eine kleine Runde sind, liegt sicher auch daran, dass es über das ganze Jahr – auch getragen von den ukrainischen Flüchtlingen – sehr viele Veranstaltungen gegeben hat“, erklärte Bürgermeister König die maue Besucherzahl.
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Auch Nana Shanava, Mitglied des Integrationsrates, hatte sich eine größere Resonanz gewünscht. Die gebürtige Georgierin, die zur Zeit des Kaukasuskriegs im Jahr 2008 bereits ihre Heimat in Richtung Witten verlassen hatte, wünscht sich nichts mehr als Frieden. Für Kriege hat sie kein Verständnis „Opfer? Für was? Für wen? Um die Welt zu beherrschen? Nein!“