Witten. In einer WG mitten in Witten-Herbede leben Menschen mit Demenz als ganz normale Mieter und dennoch gut versorgt. Ein besonderer Hausbesuch.
Es duftet lecker. Mittags um zwölf sitzen ein paar ältere Frauen im Gemeinschaftsraum am Tisch und löffeln gemeinsam ihre Kartoffelsuppe. Die Teller stehen auf roten Sets. Über allem hängt herbstliche Deko. Und in der Ecke trocknet Wäsche auf einem Ständer. Fast wie zu Hause. Doch dort wären die Bewohnerinnen nicht mehr alleine zurechtgekommen. Nun leben sie in der ambulanten Demenz-WG des St. Josefshauses mitten in Herbede – eine Wohnform, die in Witten und Umgebung wohl einzigartig ist.
Personal unterstützt Bewohner der Wittener WG bei Alltagsdingen
24 Wohnungen befinden sich in Haus Maria an der Meesmannstraße. Wer hier lebt, zahlt ganz normal Miete. 5,25 Euro sind es pro Quadratmeter, dazu kommen die Nebenkosten. Die privaten Zimmer mit Bad sind rund 30 m² groß und werden mit eigenen Möbeln eingerichtet. Der Anteil an den gemeinsamen Räumen macht 20 m² aus, so dass die Bewohner über je 50 m² verfügen. Ein Pflegedienst kann bei Bedarf gebucht werden. Ansonsten ist Personal rund um die Uhr vor Ort, um bei Alltagsdingen zu unterstützen.
Es sei die „absolut richtige Entscheidung“ gewesen, sagt André Löckelt über den Bau des Hauses. Auf der Warteliste stehen rund 30 Namen. Ginge es nach dem Geschäftsführer des St. Josefshauses, dann wäre es nicht das letzte Gebäude seiner Art in Witten. „Wir würden weitermachen, wenn der Immobilienmarkt nicht so kaputt wäre.“ Doch es sei schwierig, ein geeignetes Grundstück zu finden. „Wir wollen so ein Haus ja nicht irgendwo auf dem Acker bauen“, sagt Löckelt.
Herbeder Schützenkönigin arbeitet als Hausmutter in der WG
Mitten im Quartier soll es stehen – wie dieses. Damit Menschen mit Demenz weiter am sozialen Leben im Dorf teilnehmen können. Jeder kann hier raus, wann er will. Spazieren gehen oder mal eine Kleinigkeit einkaufen. Bei den wenigen, die nicht mehr zurückfinden würden, schaut jemand vom Personal hinterher. „Aber wir lassen ihnen das gute Gefühl, eigenständig unterwegs sein zu können“, sagt Martina Fitzke.
Die 57-Jährige ist Herbedes amtierende Schützenkönigin, doch das nur nebenbei. Sie ist außerdem Pflegefachkraft, vor allem aber die Hausmutter, die „Mutti“, wie sie selbst sagt. Sie habe sich bewusst für diese Bezeichnung entschieden, denn „Teamleiterin“ – „das trifft es nicht“. Martina Fitzke ist (fast) immer da und stets ansprechbar. Sie kümmert sich und koordiniert. Gleich zum Beispiel schaut sie mit Interessenten eine gerade frei gewordene Wohnung an.
Ein besonderer Platz im Dorf
Das St. Josefshaus Herbede bietet: das Altenzentrum (Voestenstr.), einen ambulanten Pflegedienst und die Demenz-WG Haus Maria (Meesmannstr.). Deren Neubau hat 3,2 Millionen Euro gekostet. Weitere Demenz-Wohngruppen, allerdings mit etwas anderem Konzept, gibt es in Witten an der Kesselstraße (Ev. Stiftung Volmarstein) und am Voß’schen Garten (Boecker-Stiftung).
Haus Maria nimmt einen besonderen Platz im Dorf ein: Bis Februar 2017 stand hier das Pfarrhaus von St. Peter und Paul. Am 1. Februar 2019 sind die ersten der 24 Bewohner eingezogen. Jede Etage des dreigeschossigen Gebäudes bildet eine eigene Wohngruppe. Die Mieterinnen und Mieter sind zwischen Mitte 60 bis über 90 Jahre alt.
„Unsere Mieter fühlen sich in der Regel von Anfang an schnell zu Hause“, sagt Martina Fitzke. Schwieriger sei es mit den Angehörigen. „Die haben oft eine hohe Erwartungshaltung.“ Manche wollen ihre Mutter oder ihren Vater rund um die Uhr beschäftigt wissen. „Aber das war zu Hause ja auch nicht so und das wollen die auch gar nicht.“ Wieder anderen sei es peinlich, wenn der Angehörige sich beim Essen voll schlabbert, sich nicht regelmäßig wäscht oder mit seinen Fäkalien spielt. „Aber das ist unser täglich Brot.“ Und wenn etwa ein Mann sich mal nicht rasieren wolle, dann sei das sein gutes Recht.
In der Wittener Demenz-WG wird zusammen gelacht und gestritten
Jeder Bewohner benötige unterschiedliche Hilfe. „Wir unterstützen sie in dem, was sie können.“ Tisch decken, Kartoffeln schälen, Wäsche falten, saugen oder fegen: „Das können Demente meist alles noch.“ Ansonsten geht es zu wie in einer normalen WG: Die 21 Frauen und drei Männer sitzen zusammen vor dem Fernseher, singen, lachen und streiten. Oder bleiben einfach in ihrer Wohnung, wenn ihnen danach ist.
Hildegard etwa raucht gerade auf dem Balkon ihr Zigarettchen nach dem Mittagessen. Die 74-Jährige wohnt seit August in Haus Maria. Zuletzt hat sie in Essen gelebt. Doch dann ist ihr Mann gestorben. „Was sollte ich da noch alleine in der großen Wohnung.“ Außerdem seien bei ihr schon erste Anzeichen der familiär bedingten Demenz zu spüren, erzählt ihr Sohn, der gerade zu Besuch ist.
Sohn weiß seine Mutter gut versorgt
„Es war klar, dass es irgendwann nicht mehr alleine geht.“ Er sei froh, dass seine Mutter hier gut versorgt ist und dennoch eine gewisse Unabhängigkeit behalten hat. Sie habe sich positiv verändert. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut klappt.“
Was es übrigens nicht gibt in Haus Maria: Dunstabzugshauben über dem Herd. „Das ist gewollt“, sagt Geschäftsführer André Löckelt. Denn beim Kochen entstehen Gerüche, die Erinnerungen wecken – ein wichtiger Aspekt bei der Arbeit mit dementen Menschen. Bald, in der Adventszeit, werden sie deshalb wieder Plätzchen backen. Und gemeinsam an die guten alten Zeiten denken.