Witten. . Joachim Boes (61) kam mit seiner Partnerin zur Fachtagung des Dialog- und Transferzentrums Demenz, um vom Alltag mit der Krankheit zu erzählen.

Detlef Rüsing ist ganz aus dem Häuschen: Etliche hochkarätige Gäste kann der Leiter des Dialog- und Transferzentrums Demenz (DZD) bei der Fachtagung in der Uni Witten/Herdecke begrüßen. Darunter NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens und die israelische Demenzforscherin Jiska Cohen-Mansfield. Doch ganz besonders in Erinnerung bleiben wird den Zuhörern der Auftritt eines Paares, das Hand in Hand nach vorn kommt und aus seinem Alltag erzählt.

„Von der Wirklichkeit lernen“ – so ist dieser Programmpunkt überschrieben. Denn Kerstin Thörmer und Joachim Boes leben jeden Tag mit der Diagnose Demenz. Der 61-Jährige ist an Alzheimer erkrankt. Seit sieben Jahren arbeitet der ehemalige Verkaufsleiter eines Tabakunternehmens, der seinen Beruf so liebte, nicht mehr. Er spielte viele Instrumente – auch das musste er längst aufgeben. Er spricht ruhig ins Mikro, nur manchmal fehlen ihm ein paar Worte.

Dialogzentrum macht Forschungswissen verständlich

Gut 200 Teilnehmer – Vertreter von Wohlfahrtsverbänden und Fachhochschulen, vor allem aber viele Praktiker, auch aus dem Ausland – besuchten die Fachtagung des Dialog- und Transferzentrums, das gleichzeitig zehnten Geburtstag feierte.

Ziel des Zentrums ist es, weltweites Forschungswissen über Demenz so aufzubereiten und zu vermitteln, dass auch Laien es verstehen. Mittels Homepage, YouTube-Video und Facebook-Seite sollen möglichst viele Menschen erreicht werden.

Das Düsseldorfer Paar hat seinen Alltag durchgeplant. „Ich helfe Joachim beim Aufstehen, Waschen, Rasieren, Anziehen und mache das Frühstück“, sagt Kerstin Thörmer. „Dann bin ich erst mal alleine“, erklärt er. Denn die 50-Jährige arbeitet in der Uni-Kinderklinik, hat den Job seit Januar reduziert. Haushalt, Beruf, Pflege – das alles sei ihr über den Kopf gewachsen. Joachim Boes kommt während der Zeit ohne sie gut zurecht – noch. Er sieht fern oder geht spazieren. Sich und seine Erkrankung hat er im Stadtteil bekannt gemacht.

„Ich bin Alzheimer-Patient“, erklärte er seinen Bekannten. Und das habe ihm zunächst keiner geglaubt, „weil ich immer gern Witze gemacht habe“. Sein 13 Jahre älterer Bruder könne noch heute nicht gut damit umgehen. Doch in seinem Viertel plaudert er gern mit den Nachbarn oder geht beim Metzger Mittagessen. Einmal pro Woche schaut Kerstin Thörmer dort vorbei, um zu gucken, „ob noch was nachbezahlt werden muss“. Joachim Boes besucht regelmäßig eine Demenz-Gruppe. Ihr habe die Reha für Angehörige in Ratzeburg – der einzigen Einrichtung dieser Art in Deutschland – sehr dabei geholfen, die Dinge anders zu sehen „und nicht mehr böse zu sein“, sagt Kerstin Thörmer. Beide wünschen sich, „dass die Krankheit nicht schlimmer wird“ und „dass uns noch etwas Qualitätszeit bleibt“. Damit meint Kerstin Thörmer: „Dass er mir sagen kann, dass er mich liebt.“

Es sei eine Ausnahme, sagt Ministerin Steffens hinterher, dass Menschen mit Demenz zu Wort kommen wollen. „Aber es ist wichtig, um zu verstehen, was sie wirklich brauchen“: Normalität – und keine gesonderte Lebensform.