Witten. Ein Niederländer ist seit einem Monat Chef des Industriemuseums im Wittener Muttental. Er hatte schon immer einen besonderen Draht zum Revier.

Die Zeche Nachtigall in Witten hat seit einem Monat einen neuen Leiter. Gerben N. Bergstra ist gebürtiger Niederländer und hat zuletzt als Ausstellungsentwickler für das Universum – ein Mitmachmuseum in Bremen – gearbeitet. Der 44-Jährige lebt seit 2005 in Deutschland, liebt Museen und das Ruhrgebiet. Im Interview spricht er über Industriekultur und Bildungsarbeit, übers Radfahren und Eidechsen.

Herr Bergstra, wie gefällt es Ihnen im Muttental?

Gerben N. Bergstra: Ich bin angekommen. Das macht nicht nur dieser wunderbare Ort. Das liegt auch an den Menschen, die hier arbeiten – ein tolles und kompetentes Team, das mich wohlwollend empfangen hat. Trotzdem werde ich mich in einem halben Jahr noch einmal ganz anders hier zu Hause fühlen.

Sie haben sich auf die Stelle Ihres Vorgängers Michael Peters beworben, der ja in den Ruhestand gegangen ist. Warum wollten Sie zur Zeche Nachtigall?

Es ist ein besonderes Haus und gehört zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Wir sind eines von acht westfälischen Industriemuseen. Es ist ein großer Luxus, zu diesem Verband zu gehören, weil uns eine kompetente Verwaltung bei der Arbeit unterstützt. Zudem ist die Zeche Nachtigall ein Ort, der in der Geschichte und mit der Umgebung verwurzelt ist. Es ist eine Art kleines Freilichtmuseum. Wir stellen die Gebäude aus. Wir brauchen die Menschen nicht in einen weißen Raum zu führen, um Geschichte zu vermitteln. Außerdem ist meine Frau im Ruhrgebiet aufgewachsen. Ich habe schon immer einen Draht zu dieser Region gehabt.

Mitten auf dem Gelände befindet sich im Moment der Kassenbereich der Zeche Nachtigall.
Mitten auf dem Gelände befindet sich im Moment der Kassenbereich der Zeche Nachtigall. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Haben Sie sich die Zeche Nachtigall angesehen, bevor Sie sich beworben haben?

Ja, das war an einem kalten und regnerischen Tag im November. Drei andere Besucher waren noch da. Ich dachte, da gibt es einiges zu tun.

Sie starten ja auch in einer besonderen Phase. Zum einen verzeichnet das Industriemuseum seit einiger Zeit sinkende Besucherzahlen. Andererseits steht im Rahmen der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) 2027 eine große Erweiterung mit Besucherzentrum und Räumlichkeiten für Museumspädagogik an. Welche Ideen wollen Sie einbringen?

Die Eingangssituation ist nicht sehr einladend. Da etwas zu ändern ist eine gewaltige Chance. Wir haben den Ruhrtalradweg vor der Tür, das Haus daran anzubinden, darin steckt Potenzial. Was die neuen Gebäude für Besucherzentrum und Gastronomie angeht, sind wir gerade dabei, einen Raumplan zu entwickeln, bevor ab Herbst in einem Architektenwettbewerb Vorschläge für die konkrete Umsetzung gesammelt werden. Ich bin da eher praktisch veranlagt. Ich stelle mir eine Terrasse für die Gastronomie vor, wünsche mir Radstellplätze vor der Tür, am besten mit Ladestation für E-Bikes. So können wir den regionalen und überregionalen Radtourismus herlocken. Das ist ein wichtiger Pfeiler. In einem einladenden Foyer sollen die Besucher sich über das Muttental informieren können. Die Zeche Nachtigall soll Erlebnis- und Erholungsort sein.

Was könnte den Standort noch attraktiver machen?

Wir müssen uns darum kümmern, dass Bildungsangebote für Schulen besser angenommen werden. Seit dem Frühsommer sind wir BNE-zertifiziert, dabei geht es um Bildung für nachhaltige Entwicklung. Wir informieren etwa unter dem Titel „Mission Carbon“ über Energie und Rohstoffe, sensibilisieren so die Kinder und Jugendlichen für die endlichen Ressourcen. Auch das ist unsere Aufgabe als Museum in der Region. Und wir müssen eine einheitliche Geschichte erzählen, die Hand und Fuß hat. Nur pures Wissen von A bis Z zu vermitteln, ist nicht mein Anspruch.

Sie waren zuletzt Ausstellungsmacher in Bremen. Sind nun große Schauen im Muttental zu erwarten?

Wir müssen die Dauerausstellung stärken und anders zugänglich machen. Sonderausstellungen betrachte ich immer in Zusammenhang mit den möglichen Vermittlungsangeboten. Auch sonst bietet unsere Anlage vieles zum Entdecken und Erfahren.

Das Gelände der Zeche Nachtigall aus der Vogelperspektive.
Das Gelände der Zeche Nachtigall aus der Vogelperspektive. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Sie haben in Amsterdam Museologie studiert. Wie kam es dazu? Sind Sie mit ihren Eltern ständig ins Museum gegangen?

Ich bin in der Hansestadt Elburg aufgewachsen und in Zwolle zur Schule gegangen. Tatsächlich waren Museen immer Teil meiner Erziehung. Mein Vater hat Kunstgeschichte unterrichtet und ist ein begabter Maler.

Ihre Lieblingsmuseen jenseits von Zeche Nachtigall?

Die anderen LWL-Anlagen sind auch ganz besonders, etwa die Henrichshütte und das Schiffshebewerk Henrichenburg. Diese Industriekultur ist einzigartig. Beeindruckend ist auch die Zeche Zollverein. Und das Folkwang-Museum in Essen ist ein tolles Haus. In dieser Hinsicht ist das Ruhrgebiet ein spannendes Pflaster. Ansonsten gefallen mir das Tropenmuseum in Amsterdam, das Hygiene-Museum in Dresden, das Textilmuseum in Tilburg und das Stapferhaus in der Schweiz.

Gerben N. Bergstra im Gespräch mit Redakteurin Annette Kreikenbohm.
Gerben N. Bergstra im Gespräch mit Redakteurin Annette Kreikenbohm. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Unterscheidet sich der Umgang mit Kultur in Deutschland eigentlich von dem in den Niederlanden?

Oh ja. In Deutschland gilt: Künstler sind Künstler. Der Umgang mit Kunst und Kultur hat hier mehr Gewicht. Kultur ist ein großes Gut und unantastbar. In Holland nimmt man das weniger ernst, experimentiert mehr. Ich bin tatsächlich in Holland musealisiert. Aber beide Sichtweisen sprechen für sich.

Sie selbst sagen „Holland“. Wir denken immer, „Niederlande“ sei die angemessenere Bezeichnung. Was denn nun?

Ich glaube nicht, dass es einen Niederländer stört, Holländer genannt zu werden. Wir sind da ganz entspannt. Allerdings fühle ich mich auch immer mehr als Deutscher. Das merke ich, wenn ich in den Niederlanden bin, zum Beispiel während Corona. Hier herrscht mehr Disziplin und Vorsicht. Das ist mir mittlerweile lieber.

Wohnen Sie eigentlich inzwischen mit Ihrer Familie in Witten?

Wir haben den Umzug noch einmal verschoben, weil wir keinen Kita-Platz gefunden haben. Ich sehe meine Frau und die Kinder nur am Wochenende und vermisse sie sehr. Ich mache jetzt immer Filmchen von Eidechsen, die hier übers Gelände huschen, und schicke sie den beiden Jungs. Vor allem der Ältere ist schon ganz neugierig auf die Zeche Nachtigall. Bald wollen wir sie uns gemeinsam anschauen.

Haben Sie neben Beruf und Familie noch Zeit für Hobbys?

Ich fahre tatsächlich gerne mit dem Rad. Und mit meiner Frau abends bummeln und ein Bierchen trinken, das mag ich.

Verraten Sie uns noch, was das „N.“ in Ihrem Namen bedeutet?

Das steht für Nolke, so hieß mein friesischer Großvater mit Vornamen.