Witten. Die Fraktionschefin der Grünen im Landtag stammt aus Witten und liebt ihre Heimatstadt über alles. Ein Gespräch übers Klima und den Hohenstein.
Sie hat turbulente Zeiten hinter sich: Landtagswahl, Koalitionsverhandlungen, Ministerpräsidentenwahl, Sitzungen ohne Ende. Nun freut sich Verena Schäffer (35) über die parlamentarische Sommerpause. Bevor sie selbst verreist, hat die Fraktionschefin der Grünen im Landtag noch Zeit für ein Gespräch. Dafür ist sie mit dem Rad von ihrem Stockumer Zuhause ins Parteibüro an der Bergerstraße gekommen.
Frau Schäffer, die Räume des Ortsverbands wie des Kreisverbands und Ihr Wahlkreisbüro liegen direkt gegenüber vom Hauptbahnhof. Praktisch, oder?
Verena Schäffer: Das ist großartig. Denn viele Mitglieder kommen tatsächlich oft mit dem Zug hierher. Ich selbst auch.
Sie und ihre Partei zählen zu den großen Gewinnern der Landtagswahl. Wie sind die letzten Wochen gelaufen?
Die Zeit ist wahnsinnig schnell vergangen. Es gab unfassbar viel zu organisieren. Wir sind jetzt 39 Abgeordnete und hatten noch nie eine so große Fraktion. Es ist toll, in den Sitzungssaal zu kommen und so viele Menschen dort zu sehen. Wir waren auch noch nie so vielfältig, haben fast 60 Prozent Frauenanteil, viele Mitglieder mit Migrationshintergrund, ein Mitglied sitzt im Rollstuhl. Auch die Altersspanne ist groß. Es ist schön, dass unsere Fraktion jetzt so viele verschiedene Perspektiven einbringen kann.
Sie saßen bei den Verhandlungen für die Regierungskoalition in Düsseldorf mit am Tisch. Wie lief’s?
Es war eine intensive Zeit, die von einem starken Gefühl der Verantwortung geprägt war. Keiner hat versucht, die unterschiedlichen Positionen mit Kompromissformulierungen zu überdecken. Natürlich hat das manchmal gedauert, aber wir haben gute Ergebnisse erreicht.
Sie haben zwei kleine Kinder, drei und sechs Jahre alt. Ihr Mann arbeitet auch. Wie schaffen Sie das?
Es muss möglich sein, in einer politischen Führungsposition zu sein und Kinder zu haben. Wir bekommen viel Unterstützung von den Großeltern. Natürlich wird es trotzdem schwierig, wenn am Nachmittag plötzlich eine Videokonferenz angesetzt wird. Ich weiß aber auch, dass wir Abgeordnete als unsere eigenen Chefs sehr privilegiert sind. Ich habe neulich meine Kinder mal zu einer Sitzung mitgenommen. Das kann eine Kassiererin im Supermarkt natürlich nicht. Außerdem verdienen wir gut und können uns einen Babysitter leisten.
Wie haben Sie die Lockdowns in der Hochphase der Pandemie erlebt?
Kinder betreuen und gleichzeitig im Homeoffice arbeiten – das geht auf Dauer gar nicht. Natürlich kann ich mal für eine halbe Stunde die Sendung mit der Maus einschalten. Ich war zwar froh, dass meine ältere Tochter zu dem Zeitpunkt noch nicht in der Schule war. Aber mir ist trotzdem klar geworden, wie sehr die Perspektiven von Kindern und Jugendlichen in der Zeit gefehlt haben. Entscheidungen wurden oft von Männern getroffen, die noch vom traditionellen Rollenmodell geprägt sind. Ich freue mich, dass wir in der Grünen-Fraktion jetzt viele Abgeordnete mit kleinen Kindern haben.
Ein typisch grünes Thema ist der Klimaschutz. Der Ukraine-Krieg macht da gerade einige Pläne zunichte. Welche Perspektiven sehen Sie?
Dass wir uns so abhängig von fossilen Energien aus Russland gemacht haben, bringt uns in eine schwierige Situation. Zudem haben gerade die letzten heißen Tage gezeigt, wie stark die Auswirkungen der Klimakrise schon sind. Wir müssen das 1,5-Grad-Ziel erreichen. Der Kohleausstieg ist für 2030 festgeschrieben. Daran werden wir nicht rütteln. Der Bundestag hat das größte Gesetzespaket zum Ausbau der Erneuerbaren Energien seit Jahrzehnten beschlossen. Und das Neun-Euro-Ticket zeigt, dass die Menschen bereit sind, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen, wenn man Anreize schafft. Da muss es einen Nachfolger geben.
Was muss noch angepackt werden?
Das Artensterben ist die zweite große ökologische Krise und ein wichtiges Thema in unserem schwarz-grünen Koalitionsvertrag. Wir müssen zum Beispiel den Flächenverbrauch reduzieren, der durch Bebauung entsteht. Das ist auch für den Hochwasserschutz und die Landwirtschaft wichtig. Letztlich geht es immer um die Frage, welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen wollen.
2004 sind Sie bei der Grünen Jugend aktiv geworden. Warum?
Es hätten wegen der Themen eigentlich auch der Naturschutzbund Deutschland oder der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland werden können. Es ging mir aber auch um Frauenpolitik und die Arbeit gegen Rechtsextremismus. So bin ich zur Grünen Jugend gekommen.
Sie waren 2010 die jüngste Landtagsabgeordnete in NRW. Inzwischen stehen Sie an der Spitze der Fraktion. Wie geht es weiter auf der Karriereleiter?
Vor einem Jahr habe ich mich entschieden, dass ich in dieser Legislaturperiode nicht Ministerin werden will, falls wir Grüne Teil der neuen Regierung werden. Ich möchte in der Fraktion bleiben, weil ich sehr gerne Abgeordnete bin und weil ich als Fraktionsvorsitzende Generalistin sein kann. Als Ministerin muss man sich auf ein Thema spezialisieren. Mitte August werde ich mich deshalb erneut als Fraktionsvorsitzende zur Wahl stellen.
Sind Sie aufgeregt, wenn sie am Mikro vor vielen Menschen sprechen?
Im Landtag bin ich nicht mehr nervös. Aber als ich zum Beispiel im April hier beim Frauenmahl der Evangelischen Kirche eingeladen war, war ich total aufgeregt. Meine Mutter saß im Publikum und viele Wittenerinnen.
Welche Vorbilder haben Sie?
Damit tue ich mich schwer. Aber es gibt Leute, die ich gut finde. Claudia Roth gehört dazu, weil sie mit totaler Hingabe Politik macht. Auch Annalena Baerbock finde ich großartig. Die macht so einen wichtigen Job – ebenfalls mit zwei jüngeren Kindern.
Was können Sie in Ihrer Funktion für Witten erreichen?
Wir Abgeordnete sind allen Menschen in NRW verpflichtet. Aber jeder bringt natürlich die Sichtweise aus seinem Wahlkreis mit. Die Altschulden sind ein großes Problem nicht nur dieser Kommune. Wir werden deshalb eine Initiative zur Beteiligung des Bundes an der Altschuldenfrage starten. Wenn der nicht handelt, muss es eine andere Regelung auf Landesebene geben, die wir bereits im nächsten Jahr angehen wollen. Außerdem ist es mir ein Anliegen, für alle Menschen in Witten immer ansprechbar zu sein.
Was mögen Sie hier besonders?
Ich liebe das Muttental, aber vor allem den Hohenstein. Das ist ein cooler Ort für Kinder. Es ist erstaunlich, wie viele den kennen, die nicht in Witten wohnen.
Wie schalten Sie noch ab vom Politikbetrieb?
Das ist meine größte Schwäche. Das kann ich nämlich nicht gut. Jetzt im Urlaub an der Nordsee in Cuxhaven werde ich aber versuchen, mein Handy mal ein bisschen wegzulegen.