Witten. Selbst für Olga Tape aus Witten, die sich um so viele Flüchtlinge kümmert, war’s ein Schock. Erstmals seit dem Krieg hat sie die Ukraine besucht.
Was hat sie geweint, als sie erstmals seit Kriegsbeginn wieder die Grenze zu ihrem Heimatland passiert hat. „Sonst war immer die Vorfreude groß, Bekannte und Verwandte zu besuchen“, sagt Olga Tape, die nimmermüde Ukraine-Helferin aus Witten, die nun einen Hilfstransport selbst begleitete – nachdem sie zuvor 13 bereits organisiert hatte. Tape lebt seit 2008 in Witten.
Hochwertige Medikamente von Witten nach Lemberg transportiert
Dass die Wahl-Hevenerin ausgerechnet diesmal mitgefahren ist, hat einen einfachen Grund. Bis Anfang Juli hätten Hilfsgüter, die mit dem Auto von außen kamen, nicht verzollt werden müssen, sagt Tape. Sie war insgesamt knapp zehn Tage unterwegs. Begleitet wurde sie von der Sängerin und Musiklehrerin Lubov Vogel, die ebenfalls schon viel für die Ukraine-Flüchtlinge in Witten getan hat.
Die beiden Frauen hatten zehn Bananenkartons mit hochwertigen Medikamenten dabei,, die sie in Lemberg ablieferten, dem relativ sicheren Ort im Westen der Ukraine, in der Nähe der polnischen Grenze. Von dort aus wurden die wichtigen medizinischen Güter über andere Kontakte weiter zu ukrainischen Soldaten an der Front gebracht. Diese waren „sehr, sehr dankbar“, sagt die Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt.
Keine Freunde und Verwandte getroffen
Olga Tape selbst war erschüttert, wie nah ihr plötzlich alles war und wie sehr der Krieg ihr Land verändert hat – obwohl sie schon so viele schreckliche Geschichten aus erster Hand von den Flüchtlingen in Witten gehört hatte..
„Alles kam raus, auch die Anspannung der letzten Monate“, schildert die gläubige Christin das heftige Weinen, das sie beim Hineinfahren in die Ukraine schüttelte. Dazu kam die Trauer, nicht wie üblich die Freunde und Verwandten sehen zu können, weil diese überall im Lande oder in Europa verstreut sind – Flüchtlinge eben.
Spenden für Feriencamp benötigt
Neben den im Privat-Pkw beförderten Medikamenten hatte Olga Tape gleichzeitig wieder einen Hilfstransport per Lkw in die Ukraine geschickt. Die 13 Tonnen mit Lebensmitteln, Verbandsmaterial, Pampers und ebenfalls teilweise Medikamenten wurden nach Saporischschja gebracht und von dort aus auch auf andere Städte wie Charkiw, Odessa und Cherson verteilt.
Vom 20. bis 31. Juli planen Olga Tape und Musiklehrerin Lubov Vogel ein Feriencamp für 95, teilweise traumatisierten ukrainischen Flüchtlingskinder im Lukaszentrum Witten. Sie wollen mit ihnen spielen, Ausflüge machen, etwa ins Phantasialand, und vieles mehr – kurz, ihnen positive Erlebnisse bieten. Dafür werden noch Geldspenden benötigt. Kontakt: Olga Tape, Telefon 0175/38798224, Mail hilfemenschen@gmail.com
Immerhin konnte Tape in Lemberg Bekannte aus ihrer Heimatstadt Cherson im Süden der Ukraine treffen, etwa den Pastor und andere Menschen aus ihrer früheren Gemeinde. Was sie zu erzählen hatten, stimmte sie ebenfalls sehr traurig. Cherson ist quasi seit Kriegsbeginn von den Russen besetzt. „Jetzt werden dort russische Pässe und russisches Geld ausgegeben“, sagt Tape. Und die Preise seien explodiert. „Ein Brot, das vorher zehn Grvna gekostet hat, kostet jetzt 60.“
Wer mit den Russen nicht kooperiert, wird weggejagt
Die Einwohner müssten russische Telefonkarten kaufen, wenn sie telefonieren wollten. Und wer mit den Besatzern nicht kooperiere – ob Chefarzt oder andere, beispielsweise in der Verwaltung – werde weggejagt. „Dem Sohn eines Bekannten, der einen Großhandel und ein Restaurant besaß, haben sie das Geschäft und sein Geld weggenommen.“
In Cherson selbst herrsche Ruhe, die Umgebung werde aber bombardiert. Betroffen sei etwa ein Dorf, das in der Nähe eines Militärflughafens liegt. Olga Tape kann viele schlimme Geschichten erzählen – von Raketen, von der Tante einer Freundin, die im Garten von einer Bombe getötet wurden, von einer Cousine in Donezk, die schon 2014 ihren Mann verloren hatte, einen Militärpiloten, und nun auch ihren Sohn, der seinem Vater in die Armee gefolgt war.
Bei Gespräch kommen Wittenerin immer wieder die Tränen
Während des Gesprächs an diesem sonnigen Morgen in der Wittener Innenstadt kommen Olga Tape immer wieder die Tränen. „Die Ukraine war so ein fröhliches Land, mit einfachen Menschen, die sich freuten, wenn sie einen kleinen Hof hatten, die so gastfreundlich waren und für andere ihr letztes Hemd gegeben haben. So ein Land machen die kaputt.“ Dabei sei niemand den Russen feindlich gesonnen gewesen. Auch die Menschen in der schönen Stadt Lemberg, dieser europäischen, historisch reichen Stadt im Westen, wo sie immer gerne gewesen sei, hätten einen bedrückten Eindruck gemacht.
Als Tape zurück über die Grenze nach Polen und weiter Richtung Deutschland fuhr, hat sie Erleichterung gespürt. „Ich dachte, jetzt bist du wieder in Sicherheit. Ich hätte nie geglaubt, dass das einmal wichtig ist.“