Witten. Die Pflege hat es nach der Pandemie bitternötig, neue Kräfte zu gewinnen. So wird bei einer Jobmesse in der Stadtgalerie um sie geworben.

Ob Muffins die Pflege retten? Nun, das wohl nicht, aber jedenfalls könnten sie Interessierten den Einstieg ein wenig schmackhafter machen. Mit dem leckeren Naschwerk begrüßt die Diakonie Mark-Ruhr mögliche Neu-Azubis in der Stadtgalerie. Willkommen bei der ersten Jobmesse „Pflege“.

Fragen wir doch gleich mal die vier netten jungen Leute in blauem Polo-Shirt mit dem weißen Schriftzug „Evangelisches Krankenhaus“, was sie reitet, allen Widrigkeiten zum Trotz doch noch „Pflegefachmann“ oder „Pflegefachfrau“ werden zu wollen. „Man braucht eine soziale Ader. Aber wenn man die hat, macht der Job Spaß“, sagt Collin (18), Auszubildender im ersten Jahr. „Man kriegt viel von den Patienten zurück“, ergänzt die gleichaltrige Cindy. „Es ist schön, soziales Engagement an die Patienten weiterzugeben“, meint Fabian.

Die Jobmesse „Pflege“ findet am Freitag und Samstag (20./21.5.) in der Stadtgalerie in Witten statt.
Die Jobmesse „Pflege“ findet am Freitag und Samstag (20./21.5.) in der Stadtgalerie in Witten statt. © Jürgen Theobald

Wer jetzt glaubt, das Krankenhaus habe nur diese vier zur Jobmesse geschickt, weil sie den Beruf so gut verkaufen können, der irrt. Denn die selbstbewussten Azubis nehmen kein Blatt vor den Mund und erwähnen auch die Schattenseiten. „Vom Pflegemangel merkt man schon etwas. Man muss ganz schön viel laufen“, sagt Collin. In der Nacht sei eine Pflegekraft allein auf der Station, tagsüber zwei oder drei.

Und trotzdem glauben sie an sich und die gute Sache. „Wir wollen die anderen Jüngeren motivieren. Wenn wir es nicht tun, gibt’s irgendwann gar keine Pflege mehr“, sagt Fabian. Und Cindy wirft ein: „Es gibt keinen einfachen Beruf. Und wir tun noch was Gutes.“ Collin: „Wenn wir nach Hause gehen, wissen wir, was wir getan haben.“

„Machst du mit bei uns?“ Am Stand der Diakonie Mark-Ruhr wird besonders für die Arbeit in der Altenpflege im Lutherhaus in Bommern geworben.
„Machst du mit bei uns?“ Am Stand der Diakonie Mark-Ruhr wird besonders für die Arbeit in der Altenpflege im Lutherhaus in Bommern geworben. © Jürgen Theobald

Drei Jahre dauert die generalistische Ausbildung, die sich sowohl an Kräfte in der Kranken- als auch Altenpflege richtet. Einen Stand weiter steht die Diakonie Mark-Ruhr, die mit den Muffins, und wirbt für die Arbeit im Lutherhaus in Bommern. Nina Rosenbaum, seit acht Jahren Altenpflegerin und inzwischen stellvertretende Pflegekraft, greift das in der Öffentlichkeit gern gepflegte Vorurteil denn auch gleich auf: „Ich versteh die Leute nicht, die sagen, dass man nur den alten Menschen den Hintern abwischt.“

In Corona-Zeiten seien sie es gewesen, die Altenpflegerinnen und Pfleger, die „alles für die Patienten“ gewesen seien. Weshalb die 28-Jährige auch sagt: „Ich habe bisher keinen einzigen Tag bereut.“ Natürlich ist längst nicht alles gut. Rosenbaum mahnt vor allem eine bessere Bezahlung an. Als sie anfing, bekam sie 2000 Euro brutto, „mit Zuschlägen und Wochenenden“.

Einrichtungsleiterin Jessica Klinge spricht inzwischen von einem „Einstiegsgehalt von 2700 Euro“, „plus betriebliche Altersversorgung“. Bis zu 3600 Euro brutto könne eine Altenpflegerin verdienen, Pause, „ab dem zwölften Berufsjahr“. Die Pflege-Auszubildenden bekommen gar nicht mal so wenig. Jedenfalls sind die Azubis vom Ev. Krankenhaus mit ihren 1164 Euro im ersten Lehrjahr zufrieden. Bezahlt wird nach Tarif.

Desiree Zilch (links) und Nadine Rehage (re.), freigestellte Praxisanleiterinnen im Evangelischen Krankenhaus Witten, messen mit einem hochmodernen Gerät alle möglichen Vitalfunktionen bei Besucherin Katarzyna Sobczyk.
Desiree Zilch (links) und Nadine Rehage (re.), freigestellte Praxisanleiterinnen im Evangelischen Krankenhaus Witten, messen mit einem hochmodernen Gerät alle möglichen Vitalfunktionen bei Besucherin Katarzyna Sobczyk. © Jürgen Theobald

Die Leitungen, ob im Lutherhaus oder EvK, werben mit flachen Hierarchien, „superguten“ Teams, flexiblen Arbeitszeiten und engen Ansprechpartnerinnen in der Ausbildung. Wenn die Rahmenbedingungen nicht einigermaßen stimmen, lassen sich viele junge Leute, geschweige denn Abiturienten, kaum für die dreijährige Ausbildung mehr gewinnen. „Wir kämpfen um das Personal und besonders die Auszubildenden“, sagt David Siery von der Unternehmensgruppe „Convivo“, die auf der Messe unter anderem für die Arbeit in ihren drei Pflegeheimen in Herdecke wirbt.

„Der Pflegeberuf ist abwechslungsreich und anspruchsvoll“, sagen der 36-Jährige und seine Kolleginnen. Und immer digitaler, wie etwa die Dokumentation. „Das ist für die Schüler wichtig“, sagt Maria Pelka (55) Pflegedienstleiterin in der Tagespflege der Parkanlage „Am Nacken“ in Herdecke.

Felix Wenzel vom EvK beatmet auf der Jobmesse für Pflegeberufe eine Puppe.
Felix Wenzel vom EvK beatmet auf der Jobmesse für Pflegeberufe eine Puppe. © Jürgen Theobald

Die Pandemie hat die Suche nach den Nachwuchskräften noch erschwert, da Praktika so gut wie nicht möglich waren. „Wir müssen jetzt ausbilden, um die Rentenaustritte zu kompensieren“, sagt Dennis Klaebe (33), Pflegedienstleiter des EvK in Witten. Er darf sich glücklich schätzen, Azubis wie Collin, Lara, Cindy und Fabian zu haben. Für die vier bedeutet Pflege mehr als „satt und sauber“. Wie sagt Cindy doch: „Ein, zwei Minuten findet man immer zum Quatschen. Man schweigt doch nicht, wenn man einen Menschen pflegt.“