Witten. Dass man in Witten Pflegewissenschaft studieren kann, ist ihr Verdienst. Prof. Christel Bienstein wird bald 70. Die Pflege lässt sie nicht los.

Sie leistete Pionierarbeit: Seit 25 Jahren kann man an der Universität Witten/Herdecke (UW/H) Pflegewissenschaft studieren. Den ersten Pflegestudiengang an einer deutschen Hochschule hat Prof. Christel Bienstein gemeinsam mit drei Mitstreiterinnen auf den Weg gebracht. Die gebürtige Schermbeckerin machte sich mit großen Studien bundesweit einen Namen, wurde Deutschlands „Pflege-Päpstin“. Für ihre Verdienste wurde sie jetzt von der privaten Hochschule mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

Mit ihrem Team hat Bienstein nicht nur den ersten Pflege-Studiengang an einer deutschen Uni aufgebaut, sondern war von Anfang an auch dessen Chefin. Bis 2017 leitete sie das Institut für Pflegewissenschaft an der UW/H. Vor vier Jahren verabschiedete die gelernte Krankenschwester, die später Germanistik, Geschichte und Pädagogik studierte, sich offiziell in den Ruhestand. Eine engagierte Verfechterin für die Sache der Pflege ist sie bis heute.

500.000 Pflegefachkräfte gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand

Prof. Martin Butzlaff, Präsident der Universität Witten/Herdecke, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Christel Bienstein, deren „sprühende Tatkraft verbunden mit politischem Geschick“ er würdigte.
Prof. Martin Butzlaff, Präsident der Universität Witten/Herdecke, bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Christel Bienstein, deren „sprühende Tatkraft verbunden mit politischem Geschick“ er würdigte. © UWH | Universität Witten/Herdecke

Seit 2012 ist Christel Bienstein auch Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) mit Sitz in Berlin. In diesem Juni wurde sie für eine weitere Amtszeit wiedergewählt. Der Verband ist mit 20.000 Mitgliedern der größte unabhängige Pflegeberufsverband in Deutschland. Er vertritt die beruflichen Interessen der Gesundheits- und Krankenpflege, der Altenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege.

Mit Bienstein macht sich der Verband stark für die Weiterentwicklung der Pflege, gute und motivierende Arbeitsbedingungen. Alles Dinge, die der 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Wissenschaftlerin sehr am Herzen liegen. 60 bis 70 Arbeitstage jährlich sie deswegen allein in Berlin, wo sie berufspolitische Arbeit leistet. In den nächsten zehn bis zwölf Jahren werden bundesweit 500.000 Pflegefachkräfte das Rentenalter erreichen, sagt sie. „Viele werden früher in den Ruhestand gehen, weil sie die Arbeit körperlich und psychisch nicht mehr schaffen.“

Pflegekräfte müssen sich stärker organisieren, um politisch etwas bewegen zu können

Worauf sie auch hinweist: Mit dem Nachwuchs könne man diesen Verlust an Pflegepersonal nicht abfangen. „Da sind derzeit 50.000 junge Leute in der Ausbildung.“ Von diesen würde aber ein Drittel voraussichtlich später nicht im Beruf arbeiten oder aber die Ausbildung abbrechen. Hinzu komme: „Schon derzeit fehlen bundesweit 240.000 Pflegekräfte. 130.000 in Krankenhäusern und 110.000 in Altenheimen.“

Die ersten Studierenden bewiesen Mut

Die ersten 29 Studierenden bewiesen Mut, als sie 1996 mit ihrem pflegewissenschaftlichen Studium an der Universität Witten/Herdecke begannen. Denn erst drei Jahre später erkannte das NRW-Wissenschaftsministerium den neuen Studiengang als Modellprojekt an.

Dass die private Hochschule ein solches Studienangebot benötigt, davon hatte Christel Bienstein Konrad Schily, den Gründungspräsidenten der Universität Witten, überzeugt. Er habe damals zu ihr gesagt: „Dann machen Sie das mal“, erzählte sie einmal unserer Redaktion.

Eine ihrer Mitstreiterinnen an der Universität war Angelika Zegelin, die später ebenfalls als Pflegewissenschaftlerin der Hochschule bundesweit bekannt wurde. Heute wird das Department für Pflegewissenschaft von Prof. Margareta Halek geleitet.

Wenn man Menschen für die Pflege interessieren wolle, müssten sich die Arbeitsbedingungen verbessern, betont Bienstein. Die Pflegekräfte müssten sich stärker organisieren, um politisch etwas bewegen zu können. Dieser Meinung sei im Übrigen auch Gesundheitsminister Jens Spahn. Was Bienstein sehr begrüßt ist, dass der NRW-Gesundheitsminister sich für eine eigene Pflegekammer in Nordrhein-Westfalen stark gemacht hat. „Auch Ärzte, Apotheker und Architekten sind in Kammern organisiert.“ Minister Josef Laumann hofft, dass es den Pflegenden über die Kammer gelingen wird, ihre Belange selbst in die Hand zu nehmen.

Mit dem Segelboot unterwegs auf dem Harkortsee in Wetter

Die NRW-Kammer, deren Aufbau Ende März 2022 abgeschlossen sein soll, wird rund 200.000 beruflich Pflegende vertreten. Der Pflegekammer werden wichtige Aufgaben übertragen werden, betont Bienstein. Dazu gehöre auch die Festlegung von Qualitätsrichtlinien für die pflegerische Arbeit. Bleibt bei so viel immer noch beruflichem Engagement noch Zeit für Privates? Ja! Die Professorin ist vierfache Großmutter, greift als solche in Pandemie-Zeiten ihrer Tochter unter die Arme, die einen Lehrstuhl inne hat und in Dortmund Lehrerinnen und Lehrer für Sonderpädagogik ausbildet.

Außerdem macht Christel Bienstein, die im vergangenen Jahr nach Schwerte gezogen ist, gerade den Segelschein, ist auf dem Harkortsee in Wetter hier und da auf dem Wasser zu sehen. Eine besondere Reise plant sie gemeinsam mit ihrem Sohn: „Eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn!“ Weihnachten wird Christel Bienstein 70 Jahre alt - ohne Frage eine immer noch Umtriebige.