Witten. Eltern einer Wittener Realschule sind am Ende. Sie melden ihre Kinder aus Angst vor Ansteckung krank. Eine Klasse fehlt fast komplett.

Einige Eltern der Wittener Helene-Lohmann-Realschule schlagen Alarm. Sie würden ihre Kinder angesichts der drastisch steigenden Infektionszahlen am liebsten nicht mehr zur Schule schicken. Aktuell sind 19 der 324 Schüler positiv, davon etwa zehn in einer fünften Klasse.

Auch das Hin und Her der Regeln verunsichert viele. Anfang der Woche musste eine ganze Klasse wegen positiver Fälle in Quarantäne, einen Tag später sollten geimpfte und genesene Kinder jedoch wieder zur Schule kommen. „Es ist der helle Wahnsinn“, sagt eine Mutter.

Wittener Eltern nehmen Fehlstunden in Kauf

Sie selbst hat zwei Kinder an der Realschule in Bommern. „Wir sind bis jetzt alle gut durchgekommen. Corona hat uns noch nicht erwischt.“ Damit das so bleibt, lässt sie ihre Kinder derzeit lieber zuhause – und ist damit nicht allein. Viele Eltern nähmen für ihren Nachwuchs Fehlstunden in Kauf. „Wir versuchen doch nur, uns zu schützen“, sagt die Mutter, die geimpft und geboostert ist. Dennoch habe sie Sorge, auf der Arbeit Menschen anzustecken. Sie arbeitet in der Pflege.

Haben sich Eltern vor Wochen noch für dauerhaften Präsenzunterricht ausgesprochen, wären manche inzwischen froh über Distanzunterricht. „Anders können wir die Infektionsketten doch nicht mehr unterbrechen“, glaubt die Bommeraner Mutter und fragt sich: „Sollen die Kinder jetzt zwanghaft durchseucht werden?“

Lehrerin an Wittener Realschule testet sich täglich

Auch eine Lehrerin der Helene-Lohmann-Schule, die ebenfalls anonym bleiben möchte, ist erschüttert. Anfang letzter Woche habe es bereits vier bis fünf positive Fälle in der fünften Klasse gegeben, jetzt seien weitere dazu gekommen. Sie habe vergangenen Freitag noch zwei Stunden Kontakt auf engstem Raum gehabt – auch mit positiven Kindern. „Ich teste mich zur Sicherheit täglich.“

Inzwischen verteilt die mehrfache Mutter Aufgaben für ihren Unterricht soweit wie möglich von zuhause aus. Denn ihre eigenen Kinder, die teils in Wetter zur Schule gehen, seien gerade „präventiv“ zuhause – mit Erlaubnis der Schule, wie die Lehrerin sagt. Dort würde aktuell auf Distanz unterrichtet.

„Was uns – und anderen Schulen – gerade passiert, hätte nichts passieren müssen“, erklärt die Lehrerin. „Das ist echt bitter.“ Die Kinder hätten nach zwei Jahren Pandemie „unfassbare Wissenslücken“ und „so ein Gewaltpotenzial habe ich noch nicht erlebt“, beschreibt sie brutale Spiele auf dem Schulhof.

„Kinder sitzen keine 30 Zentimeter auseinander“

Auch sei es grundsätzlich schwierig, dass jene daheim sich online zuschalten. Denn in vielen Räumen der Realschule gebe es kein WLAN. Die Ansteckungsgefahr hält sie für hoch. „Die Kinder tragen zwar Masken, sitzen aber keine 30 Zentimeter auseinander. Fenster lassen sich teils nicht öffnen, Luftfilter gibt es nicht.“

Infizierte in 30 Wittener Schulen

Die Fallzahlen in den Schulen steigen rasant. Im Kreisgebiet haben derzeit 868 Schülerinnen und Schüler eine Corona-Infektion. Zusätzlich gibt es 226 positive Pooltests, die noch nicht aufgelöst wurden.

In Witten gibt es Corona-Fälle in 30 Grund- und weiterführenden Schulen. Insgesamt sind in der Ruhrstadt 289 Jungen und Mädchen infiziert. Dazu kommen 23 positive Pooltests.

Erika Hoos, Leiterin der Helene-Lohmann-Realschule, versteht die Sorgen. Doch ihr sind die Hände gebunden. „Wir können nur auf Anordnung des Wittener Gesundheitsamtes handeln.“ Sie dürfe ganze Klassen nicht einfach nach Hause schicken. „Die Entscheidung darüber trifft ebenfalls das Amt und sie ist abhängig von Stadtteil und Schulart.“ So könne es durchaus sein, dass in Wetter geht, was in Bommern gerade unmöglich ist. „Hier herrscht Schul- und Präsenzpflicht.“

Schulleitung meldet Gesundheitsamt positive Fälle

Hoos verweist auf die Schutzmaßnahmen: Masken, Hygiene, feste Sitzordnung. Dreimal in der Woche machen die Schüler einen Schnelltest. Ist ein Ergebnis positiv, muss der Betreffende nach Hause. Die Schule macht Meldung ans Gesundheitsamt.

Tatsächlich seien in der besagten fünften Klasse aktuell nur drei Schüler im Präsenzunterricht. Etwa zehn seien positiv, weshalb die Klasse zunächst komplett in Quarantäne musste. Erika Hoos: „Wenn es innerhalb von zwei Tagen zwei bestätigt positiv getestete Kinder gibt, ordnet das Gesundheitsamt Quarantäne für alle an.“ Die Ausnahmeregelung folgte kurz darauf: Ausgenommen sind Geimpfte und Geboosterte sowie seit weniger als drei Monaten Genesene. „Das kann sich aber täglich ändern.“

Der Schulleiterin selbst liegt der Präsenzunterricht am Herzen, um nicht noch mehr Defizite entstehen zu lassen. Sie appelliert an die Eltern: „Es gab noch keine nachgewiesene Ansteckung innerhalb der Schule.“