Witten / Hattingen. Christian wurde nach einer Halloween-Party auf der Burg Blankenstein auf seinem Heimweg in Witten überfahren. Bis heute ein rätselhafter Fall.

Christian ist immer da, in Gedanken. „Ich denke jeden Tag daran, wenn ich da runterfahre“, sagt seine Mutter Astrid Marks. „Da“ ist jene Stelle an der hügeligen Rüsbergstraße im Hammertal, an der ihr Sohn am 1. November 2010 überfahren wurde.

Es ist eine neblige Nacht, in der man kaum die Hand vor den Augen sieht. Christian, 20 Jahre jung, der die Bundeswehr fast hinter sich hat, geht nach einer Halloweenparty auf Burg Blankenstein offenbar zu Fuß nach Hause. Es wären nur noch wenige hundert Meter bis zu seinem Elternhaus im ländlichen Kämpen gewesen, als er gegen 4.30 Uhr kurz vor der gepflegten Einfamilienhaussiedlung überfahren wird. Wie genau? Das weiß keiner. Vielleicht ist Christian vorher gestürzt, womöglich ausgerutscht. Der Unfallfahrer ist bis heute flüchtig. Zehn Jahre sind seitdem vergangen, in denen sich für seine Eltern eigentlich nichts verändert hat – und trotzdem alles.

Es war so neblig in dieser Nacht in Witten, dass man kaum die Hand vor Augen sah

Natürlich denken sie in diesen Tagen wieder öfter an damals, an diesen schrecklichen grauen Novembermorgen, es ist Allerheiligen, der dichte Nebel wabert noch immer über die nahen Felder, als die Polizei ihnen die Todesnachricht überbringt. Christian, ihr Sohn, der Bruder von Stephanie, der einstige Blondschopf – tot, aus dem Leben gerissen. Kein Abschied. Nichts. Unfassbar.

Am Sonntag werden sie wieder auf den Friedhof gehen: Dann jährt sich der Todestag von Christian zum zehnten Mal. Hier zeigen seine Eltern Andreas und Astrid Marks auf einer früheren Aufnahme ein Foto, das ihren Sohn als Bundeswehrsoldaten zeigt.
Am Sonntag werden sie wieder auf den Friedhof gehen: Dann jährt sich der Todestag von Christian zum zehnten Mal. Hier zeigen seine Eltern Andreas und Astrid Marks auf einer früheren Aufnahme ein Foto, das ihren Sohn als Bundeswehrsoldaten zeigt. © Funke Foto Services/Archiv | Thomas Nitsche

Wie es ihr heute gehe, frage ich, der Reporter, der an jenem Morgen im Jahr 2010 vor Ort war, Astrid Marks am Freitag (30.10.) am Telefon. „Im Grunde hat sich nichts getan“, sagt die 63-jährige ehemalige Justizbeamtin, die heute im Ruhestand ist. „Es hat sich nichts verändert. Nichts an dem Gefühl. Nichts an der Trauer. Und nichts an der Sache überhaupt. Es wurde ja nichts ermittelt.“

Und trotzdem, natürlich, habe sich das Leben seit Christians Tod „total verändert“. Was man oft von Menschen hört, die einen kaum erträglichen Verlust erlitten: „Manches ist nicht mehr so wichtig.“

Nein, richtig gut geht es ihr und ihrem Mann in diesen Tagen nicht. Neben der Trauer ist ihnen die Enttäuschung anzumerken, dass die Unfallflucht nie aufgeklärt wurde – trotz des Aufwandes der Polizei, trotz der Suchaktion.

Ein Opel Corsa soll es gewesen sein, Baujahr 2001-2006. 2500 Fahrzeuge wurden untersucht, hunderte Haushalte aufgesucht, 15.000 Handy-Daten gecheckt, der Fall war in Aktenzeichen XY ungelöst, es wurde eine Belohnung von 5000 Euro ausgesetzt und kurz vor der Verjährung nach fünf Jahren richtete die Polizei noch einmal einen eindringlichen Appell an den Unfallfahrer: „Melden Sie sich, machen Sie reinen Tisch!“ Doch es kam nichts.

Bis heute kann es Astrid Marks nicht verstehen, „dass jemand noch rumläuft, der das verursacht hat und sich seines Lebens erfreut. Das macht mir zu schaffen“. Ebenso wenig Verständnis hat sie dafür, dass die Staatsanwaltschaft den ungelösten Fall zu den Akten gelegt hat. „Wie kann man so was nur einstellen. Vielleicht wäre ja doch noch was gekommen.“ Und ihr Mann Andreas fragt verständnislos: „Wie kann so was nach fünf Jahren verjähren, wenn man nicht genau weiß, wie er zu Tode gekommen ist?“

Lange Zeit erinnern Fotos und Blumen an der Unfallstelle an Christian

Man könnte jetzt den abgedroschenen Satz sagen: Das Leben muss weitergehen. Und trotzdem hat er seine Bedeutung für die Marks gehabt. „Man sagt ja immer „Zeit heilt Wunden“. Ich würde sagen: Zeit macht es erträglich, damit umzugehen“, sagt Astrid Marks. Und sie sagt auch: „Der Schmerz vergeht nie. Man wacht damit auf und geht damit ins Bett.“

Die Unfallstelle, wo sich Angehörige und Freunde lange Zeit mit Kerzen und Fotos an Christian erinnert haben, ist längst abgeräumt. 30 wäre der junge Herbeder heute und vielleicht ja Architekt. Seine Mutter denkt an all die Jahre, die ihr Sohn nicht mehr erleben durfte. Vielseitig sei er gewesen – und eben 20, gerne auf einer Party, einer, dem seine Freunde wichtig waren, der Fußball spielte und Schalke-Fan war. Ein ganz normaler junger Mann eben. Astrid Marks: „Er hat noch so viel vorgehabt.“