Witten. .
Astrid und Andreas Marks haben vor zwei Monaten ihren Sohn verloren. Der 20 Jahre alte Christian wurde auf dem Heimweg von einer Halloweenparty überfahren. Die Gedanken daran verfolgen die beiden Tag und Nacht.
Bis zum 1. November waren die Marks eine ganz normale Familie, wo alles gut lief. Die Tochter (23) wohnte schon bei ihrem Freund, der Sohn (20) war beim Bund und hatte seine Bude unterm Dach. Auf dem Boden seines Zimmers liegt der Bundeswehrsack, an die Pinnwand ist die Mail-Adresse einer Stefanie gekritzelt, vorm Bett steht ein großer Fernseher, an der Wand hängt ein Bild von San Francisco. „Dann drehte sich die Welt“, sagt Astrid Marks.
Sie verlor ihren Sohn in einer nebligen Nacht zum 1. November. Christian wurde an Allerheiligen frühmorgens in der Rüsbergstraße überfahren, auf dem Nachhauseweg von einer Halloweenparty. „Jetzt sitzen wir hier“, sagt die 53-Jährige an diesem verschneiten Donnerstag vor Heiligabend. Draußen vor dem gemütlichen Reihenhaus in Herbede-Kämpen türmt sich der Schnee, drinnen leuchtet ein kleiner Tannenbaum. Normalerweise steht der draußen. Aber Christian hatte sich diesmal gewünscht, dass das Bäumchen die gute Stube schmückt.
Gewartet, ob er nicht doch um die Ecke kommt
Am 21. Dezember hätte er seinen Wehrdienst bei den Fallschirmjägern in Bremen beendet. Gefreut hatte er sich, aufs Weihnachtsfest, aufs Nachhausekommen. „Das war ihm ganz wichtig. Das Zusammensitzen, das gemeinsame Essen in der Familie. Aber es wird nie wieder so sein wie vor dem 1. November“, sagt Astrid Marks leise. Es gibt Tage, da geht es wieder, erzählen die Eltern, und Tage, die „böse“ für sie sind: Tage ohne Antrieb, mit quälenden Fragen wie: „Wofür noch leben?“ Die Gedanken an den schrecklichen Unfall, der bis heute nicht geklärt ist, weil sich der Fahrer aus dem Staub gemacht hat, verfolgen die beiden Tag und Nacht. Würde sich der Fahrer endlich stellen, sagen sie, könnten sie zumindest damit abschließen. Christian wird ihnen immer fehlen.
Die ersten Tage habe er immer oben am Fenster gestanden und „darauf gewartet, dass mein Sohn um die Ecke kommt“, sagt Andreas Marks (46). Unvergessen ist der Morgen, als ihnen Polizisten um 7.15 Uhr die Todesnachricht überbrachten. „Wir konnten es nicht glauben.“
Die ersten drei Wochen nach Christians Tod weinten sie und weinten und weinten und konnten gar nichts anderes mehr tun, nichts essen, hatten kaum die Kraft, sich anzuziehen. „Er ist einfach so aus dem Leben gerissen worden. Da ist jetzt ein Riesenloch“, sagt die Mutter. Am Anfang wollte sie nicht mehr nach oben in sein Zimmer gehen, konnte es nicht ertragen, wenn seine Tür offen stand. „Das bedeutete früher immer, dass Christian nicht da war.“
Der Tochter gehe es bis heute nicht gut. Sie, die Eltern, sagen sich Sätze wie: „Das Leben muss doch weitergehen.“ Doch an Normalität ist auch für sie nicht zu denken. Astrid Marks: „Man versucht, Tag für Tag zu überstehen.Wir funktionieren nur, von Leben kann man nicht sprechen.“
Sein Zimmer ist unverändert
Und doch können sie ab und an wieder lächeln, wenn sie von Christian erzählen. Stolz wie Oskar sei er gewesen, als sie ihn noch kurz vor jenem tragischen Halloweenabend in seiner schicken grauen Gefreitenuniform mit dem roten Barett fotografiert habe, sagt Astrid Marks. „Christian sagte immer: Die Pommes auf den Schultern sind wichtig.“ Und sobald er im Auto saß, hätte er von seiner Woche beim Bund erzählt, „als Höhepunkt kam dann noch der ,Spruch der Woche’.“
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Jetzt gehen Astrid und Andreas Marks wieder regelmäßig in Christians Zimmer, wo alles unverändert ist. Sie haben doch genug Platz im Haus. „Manchmal spreche ich dort mit ihm, mit den Bildern“, sagt die Mutter. Fotos zeigen Christian mit Mädchen („er wollte sich nicht festlegen“), ein Bild entstand mit der Familie im letzten Türkeiurlaub. Ende Januar wollten die Eltern mit Christian nach Ägypten fliegen: das Tal der Könige besuchen und auf Kamelen in der Wüste reiten.
„Du hast doch noch so viel Zeit“, pflegte seine Mutter immer zu sagen, wenn Christian die vielen Reisegeschichten seines Vaters nicht mehr hören wollte. Andreas Marks ist in der Installation des finnischen Rolltreppenkonzerns Kone tätig und kommt viel rum. „Sein Leben fing doch gerade erst richtig an“, sagt Astrid Marks, die beim Amtsgericht Bochum arbeitet. Ihr Sohn wollte Architektur studieren, ein Haus aus Pappe hatte er sich schon gebaut.
Wenn der Schnee irgendwann schmilzt, können sie wieder zum Grab gehen und Kerzen anzünden. Der Bruder von Astrid Marks ist Friedhofsgärtner. Er hat eine aufgehende Sonne gepflanzt.