Witten. Die Deutschen Edelstahlwerke in Witten ringen noch immer um ihren Fortbestand. Nun sollen die Mitarbeiter aufs Weihnachtsgeld verzichten.

Bei den Mitarbeitern der Deutschen Edelstahlwerke (DEW) in Witten kochen die Emotionen hoch. Denn sie sollen auf ihr Weihnachtsgeld verzichten. So steht es in einem Brief der Geschäftsführung, der Anfang der Woche an die Angestellten verschickt wurde.

„Das muss aufhören. Wir haben genug geblutet“, klagt ein langjähriger Stahlarbeiter, der aus Angst um seinen Job anonym bleiben möchte. Die Stimmung im Unternehmen erlebe er als „so miserabel, das kann man sich gar nicht vorstellen“. Es gebe sehr wenig Verständnis für die Forderung der Unternehmensleitung. „Nein, wir wollen das Weihnachtsgeld nicht abgeben“, spricht der Wittener für sich und – wie er sagt – viele seiner Kollegen. „Wir haben die Schnauze voll.“

13 Millionen an Lohnkosten müssen bei den Edelstahlwerken Witten eingespart

In dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, verweist die DEW-Leitung auf ein externes Gutachten, das auf Verlangen der geldgebenden Kreditinstitute im Zuge der Corona-Pandemie in Auftrag gegeben wurde. Dieses habe das Sanierungskonzept „DEW 2020+“ unter den veränderten Bedingungen neu bewertet. Fazit: Von 2020 bis 2022 müssen jährlich 13 Millionen Euro an Personal- und Lohnkosten eingespart werden.

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Und zwar zusätzlich zu der bereits in dem Konzept beschlossenen „erheblichen Reduzierung der Belegschaft in den kommenden Jahren“, wie es in dem Mitarbeiterbrief weiter heißt. Diese insgesamt 39 Millionen Euro seien „eine ganz wesentliche Voraussetzung für die weitere Finanzierung unserer Konzernmutter durch die Kreditinstitute“, so die Geschäftsführung.

Stahlwerker würden nicht das erste Mal aufs Weihnachtsgeld verzichten

Die Deckungslücke von jeweils 13 Millionen Euro in den kommenden Jahren steht schon länger im Raum. Nun ist klar, dass dieser Betrag alleine über die Mitarbeiter eingespart werden soll – über das Weihnachtsgeld. Bereits 2016 und 2017 haben die Stahlwerker der DEW auf jeweils 75 Prozent der Sonderzahlung zum Jahresende verzichtet, um dem schon damals kriselnden Konzern wieder auf die Beine zu helfen. Das verbesserte das Jahresergebnis um jeweils 15 Millionen Euro.

Betriebsratschef Ralf Peine, Mathias Hillbrandt von der IG Metall, Bürgermeisterin Sonja Leidemann und Bundestagsabgeordneter Ralf Kapschack (von links) sprachen im Juni zu den Vertrauensleuten der Edelstahlwerke. Die Stimmung unter den Arbeitern war schon da sehr angespannt. Sie warfen der Geschäftsführung Untätigkeit vor.
Betriebsratschef Ralf Peine, Mathias Hillbrandt von der IG Metall, Bürgermeisterin Sonja Leidemann und Bundestagsabgeordneter Ralf Kapschack (von links) sprachen im Juni zu den Vertrauensleuten der Edelstahlwerke. Die Stimmung unter den Arbeitern war schon da sehr angespannt. Sie warfen der Geschäftsführung Untätigkeit vor. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

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Insgesamt müssen die Deutschen Edelstahlwerke mit weiteren Standorten in Siegen, Krefeld, Hagen und Hattingen nach eigenen Angaben bis 2025 100 Millionen Euro einsparen. Das sei Teil eines größeren Transformationsprogramms des Mutterkonzerns, der sich kürzlich in Swiss Steel Group umbenannt hat. „Die Einsparungen erstrecken sich auf alle Unternehmensbereiche, davon ist ein wesentlicher Bereich Personal“, teilt die Wittener Geschäftsführung mit.

IG Metall: Beitrag der Beschäftigten ist notwendig

„Die zukünftige Finanzierung des Unternehmens wird nicht ohne Beitrag der Beschäftigten gehen“, bekräftigt Holger Lorek, Unternehmensbeauftragter der IG Metall für DEW. Er könne aber nur ein Teil eines „aus mehreren Elementen bestehenden finanziellen Gesamtkonzeptes“ sein. Dieses müsse etwa auch Kreditzusagen oder Einsparungen beim Management beinhalten.

Entscheidung bis spätestens 30. Oktober

Corona hat die Krise beim Stahlkonzern DEW dramatisch verschärft. Um bis zu 70 Prozent gingen die Aufträge im Laufe des Jahres zurück. Aber bereits 2019 fuhr das Unternehmen einen Verlust von 95,9 Millionen Euro ein. Eine Finanzspritze der Anteilseigner verhinderte damals das Schlimmste.

Die Geschäftsführung hat eine Landesbürgschaft in Höhe von 50 Millionen Euro beantragt. Voraussetzung dafür sei der Abschluss des Restrukturierungstarifvertrags, über den die Konzernleitung mit der Gewerkschaft verhandelt.

Die Konzernleitung möchte eine Entscheidung über das Weihnachtsgeld schnell herbeiführen. Denn in „Anbetracht der anstehenden Auszahlungstermine“ müsse der Verzicht bis zum 30. Oktober „verbindlich sichergestellt“ sein.

DEW ist vom Mutterkonzern Swiss Steel Group abhängig. Dessen Umsatz war im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 42 Prozent auf 470 Millionen Euro eingebrochen. Auch das Geschäft in Deutschland büßte 42 Prozent ein und setzte nur noch 170 Millionen Euro um. Die Geschäftszahlen für das dritte Quartal werden Anfang November veröffentlicht.

Wie viel Prozent ihres Weihnachtsgeldes die Arbeiter abtreten sollen, ist noch nicht ganz klar. Ein völliger Verzicht könne den Beschäftigten aber nicht zugemutet werden, so Gewerkschafter Lorek. Denkbar wäre nach seinen Angaben ein Teilverzicht.

Mitarbeiter sauer auf Gewerkschaft

Ein Teil des Geldes würde dann zunächst einbehalten werden. „Sollte sich dann zeigen, dass alle finanziellen Voraussetzungen für den Erhalt der DEW eingetreten sind und lediglich der Beitrag der Belegschaft noch fehlt, verbleibt das Geld im Unternehmen“, so Lorek. „Wir werden dann ergänzend verhandeln, welcher Beitrag zur finanziellen Absicherung des Unternehmens noch erbracht werden kann, um allen Standorten eine sichere Zukunft zu ermöglichen.“

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Die Haltung der Gewerkschaft erzürnt den langjährigen Wittener Stahlwerker: „Wir knüppeln hier jeden Tag. Und dann sollen wir nur abgeben, abgeben. Die IG Metall sollte zu uns halten.“ Viele seiner Kollegen hätten das Vertrauen in die Gewerkschaft schon verloren. „Wir haben keinen Mut mehr. Wir haben keinen Rettungsring mehr.“

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