Velbert. Wim Martin erklärt, warum ihn Politik abstößt, wieso es sich lohnt, Gutes zu tun – und warum die Darstellung von Sex im Roman kompliziert ist.

Wim Martins neuer Roman „BRACHFELD“ spielt in Velbert. Gut, er nennt den Namen der Stadt in seinem Buch zwar nicht, aber die Ereignisse, die die Handlung antreiben – heimliche Verabredungen im Sternerestaurant, die Lokalzeitung, die Politiker abhört und der Bau eines Einkaufszentrums – lassen dann doch wenig Raum für Interpretationen. Liest man das Buch, kann man den Eindruck gewinnen, Martin rechne mit der Stadt ab und habe viel Wut in sich. Woher kommt sein Frust?

WAZ: In Ihrem neuen Roman zeichnen Sie ein düsteres Bild von der Kommunalpolitik, dem Journalismus und der Wirtschaft in Velbert: Der ehemalige Bürgermeister zwingt eine Frau, sich ihre Brust vergrößern zu lassen. Ein Reporter hört heimlich Gespräche ab, in denen Lokalpolitiker illegale Deals vereinbaren. Warum ist ihr Blick so negativ?

Wim Martin: Ich bin eigentlich ein unpolitischer Mensch. Den Roman habe ich in sechs Wochen geschrieben, im Mai und Juni, als das Getöse der bevorstehenden Bundestagswahl losging. Der Impuls des Schreibens war meine eigene Politikverdrossenheit, vermischt mit dem, was in der Kommunalpolitik passiert ist.

Wim Martin hat seinen Roman „Brachfeld“ veröffentlicht – und übt Kritik an Velbert

Was ist denn in der Kommunalpolitik passiert, was Sie so abstößt?

Vor allem die Undurchsichtigkeit. Dass die Herrschaften so honorig tun, aber vor der Kamera nur leere Worthülsen von sich geben. Im Hintergrund wird dann gemauschelt, dass sich die Balken biegen. Die einzigen, die erkannt haben, dass dieser Politikersprech die Bürger verdrießt, ist die AfD. Sie benutzt eine konsequent aggressive Sprache, die vielen Leuten aus der Seele spricht. Von den Inhalten her geht die AfD aber natürlich gar nicht.

In der fiktiven Stadt Brachfeld, um die es in ihrem Roman geht, soll ein neues Einkaufszentrum gebaut werden. Der Bürgermeister Niklas Stürmer bereichert sich, indem er Aufträge nur zum Schein ausschreibt. Kommt sowas wirklich vor?

Ich bin fest davon überzeugt.

Was macht Sie so sicher?

Das ist mein Instinkt. Wenn ich mir die Diäten anschaue, die unsere Bundestagsabgeordneten einstreichen, wundere ich mich. Die bekommen mehrere tausend Euro Gehalt im Monat. Was das für eine Steuerbelastung ist – unvorstellbar.

Haben Sie von Bestechlichkeit auf kommunaler Ebene mal etwas mitbekommen?

Nein, ich kann niemanden bezichtigen. Ich habe nur das Gefühl, dass das geschieht. Ich wollte mit Brachfeld einen spannenden Roman schreiben. Ich habe meinen Frust und mein Ohnmachtsgefühl damit ausgedrückt.

„Ich bin absolut kein Fachmann, was Kommunalpolitik angeht“

Wie haben Sie denn recherchiert, um den Roman zu schreiben? Die Geschichte muss ja, auch wenn sie fiktiv ist, möglichst realistisch erscheinen.

Ich bin absolut kein Fachmann, was Kommunalpolitik angeht. Ich lese auch keine Lokalzeitung mehr, deswegen kriege ich sowas auch nicht mehr so mit. Ich habe im Internet Haushaltsberichte und Ausschreibungen angeschaut. Ich musste mir erstmal aneignen, wie das genau funktioniert. Dabei kam mir auch entgegen, dass mein Nachbar im Stadtrat sitzt. Den konnte ich anrufen, wenn ich mal eine Frage hatte.

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Sie haben 40 Jahre als Model gearbeitet, sind dadurch viel in der Welt herumgekommen. Verändert das den Blick auf die eigene Stadt?

Ich habe eine Riesenkarriere gemacht als Model, obwohl ich ein Mann bin. Das war ein sehr glamouröses Leben. Es war easy money. Zuletzt war ich für ein Shooting in einem der besten Hotels der Welt in Südengland, ich kannte es vorher gar nicht. Ich bekam da die exklusivste Mode, bin mit einem 200.000 Pfund teuren Auto gefahren, speiste fürstlich im Restaurant, das ein Michelin-Stern hat. Meine Suite war zum Träumen.

Das verändert schon die Sicht auf die eigene Stadt. Wobei ich immer bodenständig geblieben bin. Ich liebe Velbert, das sind meine Wurzeln. Leider läuft hier in letzter Zeit viel aus dem Ruder. Die Stadtgalerie ist nicht gerade beliebt, das wollte ich aufgreifen in Brachfeld. Es war eine Totgeburt von Anfang an. Den Raum hätte man sinnvoller nutzen können. Es ist eine Nummer zu groß. Ich habe mich gefragt, warum sich Velbert so ein Ding aufs Auge drücken lässt.

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Gelingt Literatur, ist sie eine Schule der Empathie. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man sich in die Figuren hineinversetzen kann. Das ist in ihrem Roman kaum möglich – die Charaktere wirken sehr unsympathisch.

Das stimmt schon. Melanie Stürmer, die Frau des Bürgermeisters, befreit sich als schmückendes Beiwerk von ihrem Mann und eröffnet eine Pension auf Guernsey. Die ist eine positive Figur. Und dann gibt es ja auch noch den Reporter, der den Betrug aufdeckt. Aber es ist ein düsterer Roman. Mich interessieren diese gebrochenen Persönlichkeiten. Sie sind spannender zu kreieren und zu lesen.

Diese heile Welt alla Rosamunde Pilcher, diese Frauenliteratur, ist nicht mein Metier. Auf einer Veranstaltung hat letztens jemand gefragt, in was für einen Stil ich schreiben würde. Eine Frau hat dann geantwortet, ich würde schreiben wie Patricia Highsmith. Ein Weltstar der Literatur. Ich habe viele Bücher von ihr gelesen, hätte nie gedacht, dass ich ihr ähnle. Ein bisschen was ist aber schon dran.

Was meinen Sie mit Frauenliteratur?

Also Cornwall, Pilcher, was dann im ZDF läuft. Das Romantische – das ist das eine Feld. Aber das weit aus erfolgreichere Feld sind Thriller. Wo es gnadenlos böse zugeht. Mich persönlich hat die Figur des Hannibal Lector immer total fasziniert.

Das neue Buch von Wim Martin: „Brachfeld“
Das neue Buch von Wim Martin: „Brachfeld“ © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Sie sind vom Bösen fasziniert?

Ich bin Moralist – in jedem Fall. Aber ohne mit dem erhobenen Zeigefinger. Meinen Figuren widerfährt bei moralischen Verfehlungen nicht unbedingt das Beste. Zum Beispiel stirbt ja der Alt-Bürgermeister, als er mit der Frau vom amtierenden Bürgermeister Sex hat. Mit den finsteren Gestalten will ich ausdrücken, dass moralische Fehltritte nicht ungesühnt bleiben.

Was meinen Sie damit?

Nicht ungesühnt heißt, entweder drohen juristische Konsequenzen oder psychologische, also dass man an einen Punkt kommt, wo man bereut, was man getan hat.

“Ich schreibe nicht nur für katholisch erzogene Mädchen“

Welche Instanz sorgt dafür, dass Fehltritte nicht ungesühnt bleiben?

Gute Frage. Ich bin durchaus ein religiöser Mensch, auch wenn ich nicht an den alten Herrn mit Bart im Himmel glaube. Sondern: Es gibt Prinzipien, die uns zur Verantwortung ziehen. Vor uns selber und vor anderen. Andernfalls könnte man ja machen, was man will und trotzdem wäre alles in Butter.

Haben Sie mal einen Fehler begangen, den Sie nun bereuen?

Ich? Weiß ich gar nicht. Nein. Ich denke nicht. Nur kleine Fehler.

An was denken Sie da?

Man verdrängt sowas ja allzu leicht, damit man unbeschwert durchs Leben gehen kann. Aber ich habe das erst kürzlich bei einem sehr guten Freund mitbekommen. Er hat eine tolle Familie, eine wundervolle Frau. Dennoch ist er losgegangen, hatte immer wieder andere Frauen. Ich habe ihn gefragt, warum er seine Familie aufs Spiel setzt. Seine Frau hat nach 20 Jahren die Konsequenzen gezogen und ihn rausgeschmissen. Jetzt sitzt er alleine zu Hause und heult. Er hat es sich selber zuzuschreiben. Es ist wie in meinem Buch. Der böse Schurke kommt am Ende immer unter die Räder.

Es gibt ja diese Formel: Das Explizite ist ein Gefährte des Trivialen. In ihrem Buch erfährt man sehr konkret, wo genau sich gerade die Brustwarze einer Frau durch das Gesicht des Alt-Bürgermeisters bewegt. Warum braucht es das?

Dass das Buch Schmuddelkram ist, würde ich weit von mir weisen. In der Literatur gehört es zu dem Schwierigsten überhaupt, Sexszenen adäquat und kompatibel darzustellen. Man gleitet allzu leicht ins Vulgäre und Ordinäre ab. Ich finde nicht, dass mir das nicht passiert ist. Für mich ist die Darstellung dieser sexuellen Abirrungen ein gutes Instrument, um negative Charaktere zu zeichnen. Ich schreibe nicht nur für katholisch erzogene Mädchen.